Sunday, September 03, 2006

Weiter geht's...



28.12.2015: Na das wird ein Spaß. Blog.de hat den Schnapsladen dicht gemacht & somit ziehen die Doctoren wieder hierher. Alle Tourtagebücher der jüngsten Zeit gibt's aber stets auf: www.therussiandoctors.de



Am Set

Der zweite Film: Der Wirt und DU

18. - 21. August 2005 / Filmdreh: Pratajevs Wanderjahre

Von wegen Bonjour, Tristesse! Die Sonne kommt zur Vernunft und ist am Drehwochenende mal nicht das Trojanische Pferd, für das man sie in den letzten Wochen getrost halten konnte. Am Donnerstag, ab 16 Uhr, finden die letzten Stellproben für den zweiten Pratajev-Film am Haupt-Drehort, der Magerite in Leipzig-Stötteritz statt. In langen Wochen zuvor wurde der Film durch die Filmkult Leipzig geplant, wurden Rollen gecastet, wurde C.S. Linientreu als Grafiker verpflichtet, Wolfgang als Kameramann engagiert, das Drehbuch noch und nöcher umgeschrieben. Selbst beim Cateringservice wurde umgeplant, der Filmbus bestellt, die Technik gesichtet, Requisiten beschafft usw. Als letztes trafen zwei handgefertigte Zipfelmützen aus Erfurt ein und so ist schließlich beisammen, was beisammen gehört. Im Vorhof der Magerite probt der Choreograph mit den 6 Kriminalkommissars-Assistentinnen die Pavlowitsch-Szene, in der später Max Reeg den Kommissar geben wird. Regisseur Ralf Esche treibt die Schauspieler der einzelnen Innen-Szenen auf die Bühne, entspannt und locker läuft der Tag zur Nacht über. Noch ein paar Runden im Flowerpower, dann ist Freitag, der 19.


Leipzig staut sich zur Blech-Völkerschlacht am Denkmal; Pfarrer Mikus quält den blauen Bus über die Prager Straße zum Außendreh nach Probstheida. Der Park am Bruno-Plache-Stadion ist erste Szene; Pratajev-Darsteller Herr Krause windet sich im Dreck, ersticht eine Wildschweinbache. Volly Tanner, Herr Pauli, Rüsselhund Balou spielen sich in Szene, Doktor Makarios sitzt im Schaukelstuhl und rezitiert Schiller. Doktor Pichelstein stimmt die Gitarre, den "Schlips aus Lurch" fängt die Kamera ein; nach 4 Morgenstunden geht's zum nächsten Drehort, zur Schlussszene nach Stötteritz. Große Tumulte, dann wieder Doktor Makarios als Professor für Medizinische Schriften.


Im Auditorium sammeln sich die Statisten; es wird Abend.
Max Reeg, auch als "Die Frau von Opa Unger" bei Radio PSR mehr als Begriff, belfert, kreischt und winselt den Pavlowitsch, dass es schöner kaum sein kann. Regie, Regieassistenz, Kamera, Ton und Licht befeiern sich gegenseitig. Die Choreographie gelingt prächtig unter Discogeflacker. Making-Off- Kameramann Herr Nüchterlein hält jede noch so kleine Ironie fest. Pfarrer Mikus tut's ihm gleich. 

Drehsamstag: Von Früh bis 18 Uhr Szene "Medizinische Schriften" - Ane Kretschmar als Schwesternschülerin, Leonard Emaro als Matrose, der seinen Namen auf See über Bord warf; Pratajev ist Szenedoc, der dem Matrosen ein von Holzwürmern befallenes Auge richten soll. Die Würmer aus dem Fischgeschäft erweisen sich unter den Scheinwerfern als quicklebendig und dringen immer wieder unter die Pastellmasse, die Leonard Emaros linkes Auge bedeckt. Pause bis 20 Uhr. Dann Szene "Beim Bücken" mit Henner Kotte als Verleger Wallgold und Muriel Zibulla als Irina, der sehr jungen Verlegerpraktikantin. Man sieht Pratajev-Darsteller Herrn Krause den Job der letzten Tage an; textsicher spielt er zu, gibt den Pratajev, wie er sein soll: Immer etwas verwundert darüber, warum irgendeine herzhafte Sottise gerade ihm geschieht, ihm, der doch nur die Finger vom Stift der Poesie nicht lassen kann.


Am Sonntag: Aufräumarbeiten bis nachmittags, die Magerite erhält ihren Ursprung als Kulturkneipe zurück. Die Regie filtert bereits Gedanken, die längst im Schneideraum sein wollen und so darf stark vermutet werden, dass "Der Wirt und Du - Pratajevs Wanderjahre" bereits Ende des Jahres in den ersten Programmkinos rund um Leipzig zu sehen sein wird.



Tote Narren im Wind


15. August 2005 / Inselfest Laubegast
Doctor Pichelstein weiß gar nichts mehr und schwalbt dahin

Frühstück in Mirkos Grün; der Holzhund kaut und spuckt. Vor Nachbarsgarten hat wer ein Schild geparkt. Mitte der 50er Jahre verfasste Pratajev folgendes Gedicht:

Der Hund ist nicht das Schwein
Die Katze nicht die Kuh
Der Hund ja gar nicht grunzen kann
Die Katz macht niemals Muh
Der Hase ist kein Pferd
Das Huhn ist auch kein Pfau
Kein Hase hat jemals gewiehert
Das Huhn ist blind - genau
Der Hund ist nicht der Wolf
Die Katze nicht die Frau
Denn wer das weiß, der weiß schon viel
Der weiß das ganz genau

Doktor Makarios frohlockt. Hier, an der Pillnitzer Landstraße, wird er verehrt, S.W. Pratajev, der Puschkin von Miloproschenskoje. Hier, zwischen Laube, Liebe und Hoffnung im Kampf gegen Unkraut, Hundescheiße und Nacktschnecken steht ein Schild und darauf wurd' geschrieben: Der Hund ist nicht das Schwein. 

Am Frühstückstisch leidet derweil Doktor Pichelstein verlangsamt vor sich hin. Jedes Aufschneiden herkömmlichen Gebäcks wird zur Großtat. Als die Butter drauf fällt, sind 10 Minuten vergangen. Der Holzhund schlabbert durch die Krümel am Boden und der ist viele Meter tief. Noch 4 Stunden bis zum Konzert auf dem Inselfest Laubegast, die Wolken werden dichter, die Hoffnung ist fern. 

Auf dem Weg zur Bühne tröpfelt erster Regen; Mischer und Doctors entscheiden den Gig eine halbe Stunde vorzuverlegen. Doktor Pichelstein treibt sich an, das THC will und will nicht fort. Schlaff lassen sich erste Akkorde beim Soundcheck ertasten. Die alte Gitarristen-Weisheit: Minus mal Minus gleich Plus wird umgesetzt: Schwarzbier auf den verdammten Keks, noch eins und noch eins. Leben wird es geben und tatsächlich. Als der Dresdner Drachenbootclub fast vollzählig vor der Bühne versammelt ist, das Intro abläuft, die Veterinäre im Refrain gelingen, da ist klar: Eine Keksschwalbe macht zwar noch keinen Sommer, doch je mehr Regen aufs Publikum niedergeht, desto weniger schwalbt der Gitarrendoktor dahin und bringt das Konzert beflügelt zu Ende.


Gegen fünf am Abend schüttet es Elbe von oben. Das 3. Laubegaster Inselfest, nach der Flut 2002 ins Leben gerufen, eben weil Laubegast darin zur trockenen Insel wurde, reißt die Doctors abrupt auseinander. Doktor Pichelstein wird ins Taxi gen Dresden gelenkt, um im Hause Kern einer aufwärmenden Whisky-Verkostung beizuwohnen. Doktor Makarios und Pfarrer Mikus steigen in den Tourbus; der gebotene Regenschangel wird hinter sich zu gelassen. Ein Tag, wie zum Betonanrühren gemacht.

Mutig ins Gebäck gebissen


14. August 2005 / Pirna I und II 
Ein grün durchwachsener Keks 

Die 4. Hofnacht zu Pirna lockt zahlreiche Menschen ins Elbische; zugestopft sind die Gässchen der Altstadt, der Tourbus zieht sich mühsam übers Kopfsteinpflaster. The Russian Doctors stoppten vorher an der Pillnitzer Landstraße in Dresden, um DD-Booker Mirko einzufrachten. Zurück blieben leere Kaffeebecher, ein Holzhund und einige unrasierte Jungkatzen. 

Die Lange-Straße ist das Ziel; Anlage und Instrumente werden in den lauschigen Hoch-Hinterhof eines der Dutzend Romantikhöfe gebracht, der Sound klingt fein, es regnet nicht, welch Wunder. Publikum strömt durcheinander mit viel Gewese, schwenkt Weinkrüge, sitzt früh auf Bänken vor der Bühne und beklatscht bereits den Soundcheck. Doktor Makarios hält eine Pratajev-Laudatio; richtig voll wird der Hof und so starten die Doctors rasch, bevor auch die Bühne noch Stehplatz wird. Schön, die Reisegruppe aus der ersten Reihe, klatscht und belfert anfeuernd. So was kam ihnen noch nie ins Ohr. Songs wie "Schleim am Arm", "Lange Haare" - alles kulturelles, tiefes, russisches Neuland. Eine Hamburger Radwander-Familie kämpft indes mit Freudentränen als Doktor Makarios die "Toten Katzen im Wind" nach dem "Besonderen Vorkommnis" anstimmt. Wahrhaft, ein Publikum, das Pratajev gerade erst entdeckt, ist ein dankbares. Doktor Pichelstein schrammt die letzten Akkorde vorm Ende des ersten Gigs, der zweite soll in einer Stunde, gegen 23 Uhr, gespielt werden. Nachhaltige Gutlaunigkeit erleichtert schwer den Merch-Koffer um viele Platten und Bücher.


Positionswechsel auf der Bühne; Doktor Pichelstein muss ans künstliche Licht, es dunkelt schwer. Mit balkenhaft versuchter Eleganz gelingt es den Betrunkenen den Hoch-Hof zu erklimmen. Pfarrer Mikus lehnt vom Veranstalter bereitgestelltes THC-Gebäck dankend ab, Doktor Pichelstein wird ein grün durchwachsender Keks in die Sakkotasche gestopft. Doktor Makarios beginnt: "Veterinäre aus Murmansk". Das Dorado der Hofbesucher ist der Ausschank, es füllen sich Bänke bis Stehplätze und bis zur letzten Zugabe herzen Pratajevs Wanderwahrheiten die Menschen in Pirna. Die minderen Momente des Lebens werden beiseite geschoben und als Doktor Pichelstein viel später mutig ins Gebäck beißt, wird die Wahrheit geboren, dies doch in Zukunft besser nicht mehr zu tun. Auch ein tiefer Schnellschlaf in der Dresdener Herberge hilft nicht wirklich.

Auch die Katze hat ein Herz

22. Juli 2005 / Rendezvous im Zoo 
Als es bereits Hunde und Katzen regnet

Wie im Jahr zuvor lädt die Leipziger Volkszeitung - via Agentur Schaltkreis - zum Sommerhappening im Leipziger Zoo Russische Doktoren ein. Tags zuvor ging ein Regen durchs Land, den Doktor Pichelstein nach seinem Solo-Auftritt in Wladimir Kaminers legendärer Russendiskoauflege "Kaffee Burger" am Donnerstag aus Berlin mitbrachte. So werfen an diesem Freitagnachmittag feiste, prall gefüllte Wolken böse Blicke auf die Speaker's Corner-Bühne und ein wenig scheu blickt man oben stehend zurück. Das viele Publikum flaniert mit dickeren Stofflagen als sonst um diese Jahreszeit durch den Zoo, ist behangen mit Thüringer Bratwürsten, rastet am Bierstand des Robbenbeckenvorplatzes, dem Quell der Kleinkunst. Es lesen Fünffinger-Autoren über Tiere, über Wurst und tief schürfende Menschheitsgewichte. Hernach quälen Mundart-Vertreter des Leipziger Pfeffermühlenkabaretts den so genannten "gespielten Witz" aus sich heraus. Rasch verschiebt sich dabei das Durchschnittsalter der bänkelnden Zuhörer auf älteres Windelniveau jenseits der 80.



The Russian Doctors verschanzen sich indes weit hinter der Bühne, sind als nächstes dran, und versuchen die aussichtslose Lage im 18 Uhr-Radeberger zu ertränken. Doch weg mit dem Eskapismus - beinahe als Trophäe werden später jeweils die Mikros in drei separaten Songblöcken ergriffen. Unterbrochen noch durch eine Vollplayback-Bravo-Show der "Connewitzer Kammerspiele", eine Kreisler-Darbietung und - als es bereits Hunde und Katzen regnet - durch die fabulösen "Süßwasserpolypen", die mit hartem Post-NDW-Punk die 80er noch einmal durchschreiten. 

So wird es doch noch ein halbwegs gelungener Abend mit doktoristischen Zugaben und es sei auch erwähnt, dass Doktor Makarios statt "Auch die Ratte hat ein Herz" jenes Schlagorgan versehentlich der Katze im Text zusprach, was wiederum der Ratte nicht sonderlich gefallen dürfte.

Raketa-Knoblauchsamen. Manchmal erhältlich

Pratajev-Sommerfest 2005

16. Juli 2005, Pratajev-Sommerfest-Extra / Halle
Eine Wodkatafel im Schatten des MDR 

Das 75. Konzert der Russian Doctors findet seinen angemessenen Rahmen als Hallenser Pratajev-Gedenktag und zwar im Café Schwarz, in der Gerberstraße. Chefkochveranstalter Sascha rührt die Töpfe voller russischer Essweisen mit einem Löffel aus Holz, das Fenster zum MDR wird mit weißer Filmleinwand aus Wäsche behängt, Doktoren richten den Sound. Ein Leipziger Nissan entlässt Insassen zur Wodkatafel; langsam füllt sich das Café und Doktor Makarios ruft luzid zum Auftritt. Ein Novum gibt es an diesem Abend auch: Doktor Pichelsteins rote Kirschholzgitarre samt Ledergurt aus Rind.


Nach erstem Songblock folgt filmisch "Der Wirt und Ich", aus der seit langem vergriffenen DVD "Schnaps und Weiber". Im Applausanschluss gibt's den zweiten Konzertblock im Festprogramm - eine knappe Stunde querbeet durchs Set. Pratajev-Darsteller Herr Krause wird umringt von menschlichen Nadelträgern und kostet sich durch luftgewärmte Weißschnapsvorräte. Zum Schluss balgen sich die Clips der DVD sowie die Doku "Pratajev in Prague" auf der Leinwand, dann geht es rasch mit Doktor Pichelstein bergab. Auch Belebungsversuche mittels Zufuhr von Schierker Feuersteinen und gelben Zitronenschnäpsen helfen nicht mehr. Zwischen drei und vier, als die Trunkenheit ihr weiches Ziel vollends erreicht, schlendern russische Doktoren in Saschas Privatgemächer um ein paar Stunden, bis zur nächsten Behandlung, zu ruhen.

Tote-Katzen-Boot-Sieg im Rennen, Live im Schweiße & Dr. Wissmut



Elbhangfest 2005: Sieg im Drachenbootrennen & weitere Geschehnisse eines denkwürdigen Wochenendes

 

24. Juni 2005, Elbhangfest Dresden
Wissmut

Kirschkerngroße Schweißperlen rinnen durch den Bus; Herr Mikus parkt am Straßenhang, Herr Olaf und Doktor Pichelstein zieht es rasch zur Wissmut-Marktbühne, quer durch alle Absperrungen. Es ist Elbhangfest in Dresden nach Schillermotto und wie beinahe in jedem Jahr qua Bands, Bier, Langos usw. eine feiernde Großbaustelle unter glühend heißer Sonne. 

Nach wildfeinem Wissmut-Gig ein erstes Gewitter, denn Merke: Gewitter geht immer. Regen peitscht von allen Seiten und zwängt die Menschen an den Ausschankstätten dicht zusammen. Die Gerste fließt, Doktor Pichelstein trifft auf Frau Kern, Mitglied der Sektion Marianowka, was bei Kiew liegt. Gemeinsam wurde jüngst die Ukraine bereist; forschen wollte man auf Pratajevs Spuren, wurde allerdings von jähen Nachbarn bereits früh morgens zur Wodka-Destille geführt. Eine ganze lange Woche.

25. Juni 2005, Elbhangfest Dresden
Konzert in der Schwüle



Auferstanden als Ruine trifft Doktor Pichelstein Stunden später aus der Herberge wieder am Festelbgelände ein. Weit ist der Weg vom Blauen Wunder bis zum Gare de la Lune, dem heutigen Auftrittsort der Russian Doctors, gefühlte 50 KM in sengender Hitze, sind es reell doch nur knapp 4 KM. Insgesamt wird auf 7 KM Länge beidseits des Gehens gefestet, anfangs auf 3 Ebenen: am Elbufer, an Hang & Straße. 

Im Biergarten, vor einer abschlagenden Örtlichkeit, sitzt Doktor Makarios am Eimerchen voller 20-Cent-Stücke. Als Klomann-Vertretung inkognito und alles zahlt wie geheißen. Auf der Bühne stellt eine viel später russisch tönende Band die Instrumente auf Start, dann kommt es, dann kracht es, das nächste Gewitter. The Russian Doctors eilen an Gitarren in die mondänen Innereien des Gare de la Lunes hinein und bleiben auf der großen Tangosaal-Bühne stehen. Ein Soundcheck, ein Hellbier und ab dafier; die Veterinäre aus Murmansk legen sich ins Set und nach weit über einer Stunde ist mit einem pratajevschen Rundblick die letzte Zugabe geschmettert. Nass im Schweiße der Schwüle versuchen die Doktoren verlorene Flüssigkeit eiligst wieder aufzufüllen. Der Rest des Tages wird zwischen nächstem Gewitter, Wolkenbruch und Sonne verlebt. Abends, am Bootshaus, trifft man auf verschworene Vertreterinnen der LPG, auch: "Lustige Paddel Gesellschaft" genannt, und heckt den morgigen Geheimplan fürs Pratajev-Drachenbootrennen aus: 20 junge Frauen - jede bestückt mit Katzenshirt und schwarzem Kopftuch - an den Paddeln, eine sehr junge schwangere Fell-Trommlerin an ausgestopfter Katze, ein Drachenboot in der Lady-Cup-Disziplin, Frau Doktor Pichelstein führt das Lager an. Besser geht es nicht.

26. Juni 2005, Elbhangfest Dresden
Drachenboot-Rennen und 2 Konzerte

Neuste Meldungen:

Ergänzend zu den Forschungsberichten des Phillipp von Tanell (Sexualität, Fetischismus und Kastration) hat Fillipow Loraschin weitere interessante Ergebnisse im lyrischen Werk Pratajevs und seines treuen Begleiters Prumski zu vermelden. (Vgl. Pratajev Almanach- Almanach, Band I, Leipzig 2003, Seite 125)

In seinen Leer- und Studienjahren bereisten die zwei berühmten Künstler auch die entlegensten östlichen Regionen des Saxoniziwer Rayons. Im kleinen malerischen Fischeflecken Loschwitzowo, an dessen Furt sie die majestätisch dahinströmende Arig-Elbo überqueren wollten, leisteten sie einen unschätzbaren Beitrag zur Emanzipation. Ihnen fielen zahlreiche tote Katzen auf, die aus unerfindlichen Gründen in den Obstbäumen hingen, die mit bis zum Boden gebogenen Ästen fruchtbeladen in den Vorgärten der Fischerkaten standen.



Neugierig geworden unterbrachen die Reisenden ihre Flussüberquerung und suchten den natürlichen Versammlungsort der Dorfbewohner, die Fischerkneipe Blaue Wolke auf. Tatsächlich hatten sich fast alle männlichen Dorfbewohner dort versammelt, nur der Fischereikolchosvorsitzende fehlte: er litt an einer chronischen Schluckröhrenlähmung und war hilflos den Launen des Alltags ausgesetzt. Eine gar wundersame Geschichte erzählte man den Reisenden zum grausigen Anblick der toten Haustiere: Nachdem die Fischer die spontane Destillation gegorenen Fischrogens zu hochprozentigem Eierlikör entdeckt hatten, ergaben sich alle nur zu bereitwillig dem Trunke. Die Boote fuhren nicht mehr zum Fischen, das Feuerholz blieb ungehackt, die Dorfwege versanken im Schlamm, da die Instandsetzung durch die Reparaturbrigade "Volles Loch" unterblieb. Dieses Treiben rief natürlich schärfsten Protest der Bäuerinnen hervor. Doch was konnten sie schon tun? Wie jeder weiß, ist neben der alkoholisierenden Wirkung von Eierlikör auch die ernährungswissenschaftliche Eignung bewiesen: alle erforderlichen Kalorien, Nährstoffe, Vitamine und existenziellen Aminosäuren können ausschließlich durch dieses Getränk zu sich genommen werden. Die armen Frauen sahen keinen anderen Ausweg, als einen Weibergeheimbund zu gründen, um diesen Zuständen ein Ende zu setzen.



Aber ein Treffen der Frauen war nicht möglich, da ja die Wege unpassierbar waren. Die Hunde, die vielleicht Nachrichten hätten überbringen können, gab es nicht mehr, da schon längst verhungert. Lediglich die zähen Dorfkatzen mit ihren 9 Leben wären die letzten Haustiere - aber leider nicht zur Nachrichtenübermittlung abzurichten. Lautes Rufen verbot sich von selbst, da dann die Männer vom geheimen Plan erfahren hätten. Also kam die Aktivistin und Meistermelkerin Sisischnaja Henkerowa auf die Idee, ihrer dürren Katze kurzerhand den Hals umzudrehen. Sie band eine Nachricht an die Nachbarinnen am Halsband fest und schleuderte gekonnt die tote Katze über die Strasse zum Nachbarhaus. (ob diese kreisförmige Wurfmethode auch Geburtsstunde des Hammerwurfs war, muss Gegenstand einer weitergehenden Untersuchung sein).
Begeistert griffen die anderen Fischerfrauen und Bäuerinnen diese Methode auf und so waren nach wenigen Tagen fast alle Häuser des Fleckens mit toten Katzen zur Nachrichtenübermittlung ausgestattet. Die Aufbewahrung in den Bäumen war ein geschickter Kompromiss: erstens dienten sie so auch zur Starenabwehr und eine Aufbewahrung im Haus verbot sich auf Grund der Geruchsbelästigung von selbst.
Als Pratajev und Prumski nun Loschwitzowo erreichten, befand sich die Stimmung auf dem Siedepunkt und drohte jederzeit in einem Pogrom zu enden. Mit Schürhaken, Waschbrettern, Äxten und angeschliffenen Stechpaddeln standen sich die Kontrahenten zeternd gegenüber. Pratajev und Prumski hatten auf ihren ausgedehnten Wanderungen durch die östlichsten Ausläufer der Ore-Berge genügend verlassene und dem Vergessen anheim fallende Dörfer gesehen, so dass sie sich nach kurzem Augenkontakt der Lösung des Problems annahmen.



Sie schlugen den gegnerischen Parteien einen sportlichen Wettkampf in den größten Fischerbooten des Dorfes vor, bei dem der Sieger dem Verlierer die Bedingungen eines unbegrenzten Waffenstillstandes diktieren konnte. In ihrer Verblendung glaubten die paddelerfahrenen Fischer leichtes Spiel mit den "Toten Katzen" zu haben. Doch durch übermäßigen Eierlikörverzehr geschwächt und ohne perfekte Zusammenarbeit (jeder Fischer glaubte am besten zu wissen, wie das Boot vorwärts zu bewegen sei und so drehte sich das Männerboot nach wenigen Metern hilflos im Strom) unterlagen sie den wutgeladenen Frauen, die geradezu tsunamiähnliche Wellen bei ihrer Siegesfahrt erzeugten.
Doch die Siegerinnen ließen Gnade vor Recht ergehen - noch einmal in der Woche durften die Fischer in der Blauen Wolke dem Eierlikör zusprechen. In der restlichen Zeit gingen sie wieder brav ihren Tätigkeiten nach und der soziale Friede war wieder hergestellt. Das Lied "Tote Katzen im Wind" ist auf diese Begebenheiten zurückzuführen. Und Fischer und Bauern sollten dieser lehrreichen Geschichte stets gedenken: vor allem wenn ein Haufen Frauen mit Paddeln stilisierte tote Katzen auf ihrer Kleidung trägt!
Die Nachkommen der "Toten Katzen" sind heute in der LPG " Am Blauen Wunder" zu finden. Einige militante "Katzen" emigrierten in das flussabwärts gelegene Riesa und nennen sich heute "Chamäleons". Aus dieser Zeit hat sich die Paddelwut und das damit verbunden Drachenbootfahren auf der Elbe entwickelt. Wer am heutigen Leben der Nachfahren teilnehmen will, melde sich beim Wasser-Sport-Verein am "Blauen Wunder"…

In diesem Sinne startet nach Doktor Pichelsteins anfeuernden Gitarrenweisen das Boot "Tote Katzen im Wind" zum Elbhangfest, umjubelt von angereisten Fans aus aller Damen Länder. Unter den Bootsfrauen befindet sich gar eine weit gereiste Vertreterin Japans, liiert mit einem Rostocker Matrosen. Parole und Schlachtruf, angestimmt durch die schönste der Frauen im Boot, lauten ukrainisch: Kischka! Kischka! Dawai Dawai! Der Vorlauf wird für "Tote Katzen im Wind" im Sturm genommen; das Finale ist erreicht, Damenschaft an Doktor Pichelstein werden auf die Bühne gebeten und erstmals erschallt's an diesem Tag übers weite Rund, das Lied der toten Katzen. Doch gefeiert wird noch nicht, heiße Sonne schmilzt die Aufregung, Doktor Makarios wird per Fähre aus Pillnitz eingeschifft. 

Das Finale: "Tote Katzen im Wind" paddelt sich nach vorn. 350 Meter sind zu absolvieren, "Kischka! Kischka! Dawai Dawai!" brüllen die Fans am Elbufer. "Tote Katzen" fällt zurück, wird beinahe überrundet vom 2. Finalboot. Letzte Katzenkräfte werden mobilisiert, Trommel hämmert, ausgestopfte Katze weht, Schlagzahl wird erhöht, Sieg, unbeschreiblicher Jubel. Am Ufer wie an Bord schwebt man sich in nasse Arme. Herr Mikus bannt die Szenen auf Kameraspeicher, filmt vor Wonne alle Füße. Nicht mehr weit ist nun die große Siegerehrung; The Russian Doctors - inmitten des Damenchores der "Toten Katzen im Wind" - spielen das Lied der Lieder, die Weise der Weisen. Ein großer Auftritt wie gemalt; unten an der Bühne drängt sich die Masse. Als Zugabe stimmt Frau Doktor Pichelstein den russischen Rotarmisten an. Im Feld fragen sich viele, was das alles zu bedeuten hat, sind schlauer nun, einen Auftritt später werden sie wieder da sein, am Gare de la Lune gegen 16 Uhr 30. 

Die Katzenschaft der Paddlerinnen nimmt derweil den Pokal in Empfang, bekommt vom Moderatorenduo nebst stoffbezungtem Sponsormann eine Makro-Eistorte und viel Sekt gereicht und so trinken sie dahin, zurück zum Bootshaus, direkt an die verdienten Zapfhähne, aus denen es schwarz und helle fließt.


Um 15 Uhr haben Makarios und Pichelstein den Biergarten am Gare de la Lune erreicht. 20 heiße Minuten zu Fuß sind kein leichter Sonntagsspaziergang, sondern eher gemein meditativ: Der Gitarrenkoffer wird schwerer und schwerer… Mirco schlägt als Auftrittsort der Doctors diesmal die Bühne zur Straße vor. Gesagt, ausgetrunken und getan: wenig später ist die Bühne spielfertig und, ja, es wird eines der unbeschreiblichsten Top 10-Konzerte seit Beginn der Doctors. 

Nachdem das von Makarios erdachte Set - bei den Russian Doctors gibt es seit längerem keine festen Liedfolgen mehr; auf Stimmung und Zuspruch der einzelnen Pratajev-Themen kommt es an - eigentlich vorbei ist, geht's noch mal richtig los. Der Straßenhof jubelt und feiert jede noch so lang nicht gespielte Zugabe aus den Doctors heraus. Beim "Wanderer" springt die 3. Saite des Tages, da wird er halt später noch einmal gespielt. Doktor Pichelsteins Finger sind malade wie im März nach einer Woche Prag, Doktor Makarios versucht nach dem 2. Extremzugabeblock durch eine Gemäuer-Holztür zu flüchten. Es nützt alles nichts und der Spaß kennt nur die Grenze, dass vor Erschöpfung bald wirklich nichts mehr geht. So soll es sein, findet auch Herr Mikus, der den Bus später durch den Feierpegel des Elbhangs zurück übers Blaue Wunder, hinaus in den Leipziger Spätabend, lenkt.

Buchmesse: Kai Uwe Kohlschmidt liest böses im BAFF & erstmals, live: Goldeck-Songs (HGB)


Buchmesse 2005: Flowerpower, BAFF, HGB

17. März 2005 / Buchmesse Leipzig
Annett verteilt Katzenblut

Im Rahmen einer "Langen Indisch-Russischen Fünffingerbuchnacht" spielen The Russian Doctors in ihrer erklärten Lieblinskneipe "Flowerpower". Eine ganze Reihe von Autoren drängt sich in der Spielecke; DJ Bert "Wallgold" Hähne legt Platte um CD auf, Volly Tanner moderiert, der Inder Anant Kumar vereidigt in langer Thekenrede sein Heimatland, Annett verteilt Katzenblut, die Docs warten auf ihren Einsatz. Richtig voll wird das Flowerpower erst bei Konzertbeginn, dem letzten vor längerer Pause.


Einige Weilchen vorm Auftritt schrieb Doktor Pichelstein die Kinospotmusik "Flowerpower-Sun", gesungen von Makarios himself, aufgenommen im Wissmut-Studio von Shiva, der heute ebenso anwesend ist. Man hat zu trinken, hat zu tun. Spricht am Tresen mit André Streng, dem Flowerpower-Chef, und weiß um die noch anstehenden Buchmesse-Veranstaltungen. Für morgen wurde Kai Uwe Kohlschmidt ins BAFF gebucht. Einen Tag später, in der Hochschule für Grafik und Buchkunst, wird Doktor Pichelstein den Mantel des goldeckschen Schweigens zart belüften. Doch das ist, wie vieles auf Erden auch, eine völlig andere Geschichte.


Kaum sind die ersten Songs der Doctors gespielt, taucht eine Kopie des Leipziger "Komüne, es lebe die Komüne" Bühnenritters Wollenberg vor der Bühne auf und schellt außer Takt mit einer Rassel. Damit nicht genug, beim nächsten Song rasselt er bereits vor Pichelsteins Mikrofon herum, der drauf und dran ist, die musikalische Bestimmung der Pratajev-Gitarre einer schlagenden unterzuordnen. Ignorieren hilft nichts. Der Mann macht weiter. Und rasselt. So viel Narzissmus verkauft sich gerne an schlimmere Formen der Bühnenstalkerei. Kaum ertönt "Schleim am Arm", trägt der Rassler ein schlimmes Fellklopfinstrument direkt neben Makarios' Mikros und berserkert drauf ein. Beide Doktoren haben so was noch nie erlebt, wollen es schlussendlich auch nicht mehr ertragen und obgleich Makarios den Song abbricht und freundlich mahnende Verschwindeworte spricht, der Mann bleibt. Das Publikum rettet schließlich das Doktorenkonzert, indem es die Wollenbergkopie handgerecht wegklatscht. Dann geht es weiter. Und es geht zu Ende. Nach 2 Zugabeblöcken. 

Das Flowerpower ist ein schöner Ort für Nachfeiern und so soll es immer bleiben. Wenn es auch manchmal in der Nacht allerlei Verrückte anzieht. Wollen zu den Blumen, sind keine Bienen, sind Fliegen nur und trinken doch vom Nektar. Wenn man sie erwischt, versuchen sie wegzufliegen, doch ihre Flügel sind verklebt. Das ist und bleibt die Kraft der Blumen.

Abschluss-Gig in trauten Runden & on stage feat. Phil Shöenfelt




































Russian Doctors in Prague: Der Bobri rennt durchs Dorf

05. März 2005 / Prag-Žížkov / U VYSTRELENÝHO OKA PUB
Die verkaterte Lederjacke 

Das 70. Konzert. Bis dahin nährt die Hauptstadt der Zeitgeschichte heftiges Schneetreiben. Der Königsweg, vom Pulverturm Richtung Karlsbrücke, möchte ob der Eiszeittemperaturen volle Kartusche genommen werden, doch Frau Kern, frisch kreuzbandgerissen, kann nicht so schnell. Aufwärmend labt man sich später an Käseplatten in finstren Schankräumen, wo das geschwärzte Nass zum Besten schmeckt. Touristisch schwebt man durch die archäologisch vollendete Ruhe Prags, um einen letzten Blick aufs Nationalmuseum am Wenzelsplatz zu werfen. Einen Glühwein, einen heißen, Tram 17 wartet bereits.



Das Konzert ist ein einziger perfekter Guss auf zunächst feuchtem Gemütlichkeitsterrain bis hin zum Exzess durchs komplette Repertoire. Der Kamin gibt Wärme und Doktor Pichelstein wird zum Wirt, der seinen Gitarren lüstern einschenkt. Doktor Makarios singt den Pratajev mit rebelloiden Gesten, spielt Ball mit dem Publikum und füttert die bereits Überzeugten. Mittenmang befinden sich gar Landsleute; es wird geschunkelt "Beim Bücken", der "Bobri" rennt durchs Dorf, die Frauen sind "Spoutaná", "stará slepice, ach stará slepice" schallt's durch den rauchkräutergeschwängerten Raum. "Mrtve kocky ve vêtru" bleibt da noch zu sagen. Mit fetten Beats, das Saxophon heult dazu jurassisch.



Phil an verkaterter Lederjacke, Jarda posiert im Katzenshirt, Frau Doktor Pichelstein trinkt sie glücklich, die 77-prozentige Grüne Fee, Frau Kern bestellt Runde um Runde, Herr Mikus bannt alles digital, Mr. Švec hat's Konzert auf MD mitgeschnitten. Der Wirt offeriert den verblüfften Doctors Pub-Textilien, unterm Tisch macht sich ein Hund fallender Gulaschkartoffeln habhaft, reges Getriebe herrscht und dann muss gegangen werden. Weil es schöner nicht werden kann.
Am nächsten Tag, im verwinterten März, wird, auch wenn es verwunderlich klingt, Leipzig ohne Schaden an der Eiszeit zu nehmen, erreicht.

Prag, mich wundert gar nichts mehr


Russian Doctors in Prague: Aus den Nasszellen bellt der Jubel

04. März 2005, Prag-Žížkov / PARUKÁRKA PUB
Durstige Hunde

"Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden." Franz Kafka schrieb diesen Satz einst nieder, er passt, denn heute gibt es fließend' Wasser. Aus den Nasszellen bellt der Jubel. Nach dem Frühstück bricht Doktor Makarios gen City auf. Beide Doktorengattinnen haben sich für heute angekündigt - obwohl nur eine der Gattinnen das abendliche Konzert im gefürchteten PARUKÁRKA PUB erleben darf, dafür jedoch 500 Kronen für eine falsch fallende Straßeneinfahrt berappen muss. Dies weit im Vorfeld und zu ähnlichem später. 

Nachmittags suchen Fahrer Mikus und Doktor Pichelstein ein Restaurant und lernen tschechisch sprechende Speisekarten auswendig. Hinein geht's in die Kaffeehäuser bis mystisches Halbdunkel sich ums Denkmal des Jan Hus reformiert. Die Tram fährt am Botel vorbei; man läuft ein wenig länger. 

17:30 - Botelbar, die über ein reichhaltiges Cocktailangebot verfügt. Besonders seien hier die Baileys-Wodka-Absinth-Mischungen genannt, die um diese Zeit besser unangetastet bleiben. 18:00 - Fahrt zum Pub, um 20:30 steht die Bühne, dann beginnt das bisher beste Konzert der Prague Russian & International Doctors. Der Jubel ist heftig. Nach knapp zwei Stunden steigen Phil und sein befreundeter Londoner Squeeze-Sänger für ein paar Zugaben in die Show, dann Doktor Pichelstein & Mr. Švec, die mit einem russischen Rocker Lou Reed-Songs spielen. Durstigen Hunden werden indes Pivokrüge gereicht, Schweiß fließt im Bretterhaus langsamer als Vodka (das will was heißen). Draußen sehen um diese Zeit die den Fernsehturm erklimmenden Babys noch echter aus und ein Blick auf Žížkov - vom Vrch Svatého Kríže aus - wird zum winterlichen Rundblick, zum erstürmten Gebiet.


Ungefähr zu dieser Zeit blickt Doktor Pichelstein aufs Handtelefon und zählt die Anrufe. Es sind 15. Die Doktorengattin, angereist mit Drachenbootlerin Frau Kern, verzweifelte arg und während auf der Bühne Gitarren verbrannten, kurvte immer dasselbe Taxi durch Prag, ohne den PARUKÁRKA PUB jemals finden zu können. Später, im Botel, fließt der Frankovkawein durch Zimmer 16 und nicht nur alles, sondern auch wirklich alles ist gut. Man hat es sich verdient.

Sacher!

The Russian Doctors in Prague: Jieper auf tschechische Sachersünden



03. März 2005 / Prag-Žížkov / NÁD VIKTORKOU PUB
Skat bei Pferd- und Hasengulasch 

Leicht geschwächt bis ungewaschen labt sich die Crew durch echte Prager Schnittchen am Wenzelsplatz. Die Altstadt ragt in die Optik wie eine ungeküsste Muse. Langsam durchwandert sie sich Stück für Stück, hält Cafés bereits, in denen köstliche Sacher-Torte eine befreiende Laufmasche ins Genussgefühl sprengt. The Russian Doctors empfehlen hiermit für alle Zeiten das "KAMENNÝ STUL" schräg gegenüber dem Altstädter Rathaus und geben den zügellosen Jieper auf tschechische Sachersünden weiter. 

Um die Rezeptionsfrau auf dem Botel Racek nicht jede Nacht aus dem Schlaf reißen zu müssen, wird das Pivo für Zimmer 16 im Laden gekauft. Doktor Pichelstein probiert das erste Ambrosia-Blech bereits beim Neubesaiten der schwarzen Irrwischgitarre. Draußen plätschert die Moldau, verwinterte Enten schnattern um Sonne und Brot. Doktor Makarios füttert sie an. Mit Kippen.



Der Pub erweist sich als Skatspielertreff. Schwer ist es nach Pferd- und Hasengulasch für Euphorie zu sorgen. Da um 22 Uhr bereits Ruhe sein muss, starten The Russian, resp. International Doctors, eine Stunde eher durchs Set, geben alles, doch Skatspielerhände klatschen sich schwer. Im Pub sind Hunde und Joints tabu, Jarda Švec leidet laut. Die Katze von Jolana spielt Phil übel mit. Seinen Berichten zufolge muss es sich um einen unkastrierten Fetischkater handeln, der, wenn die Paarung ruft, alles ledernde heftig markiert, besonders Gitarrenkoffer und Jacken. Warum Jolana ihn nicht kastrieren lasse, will Doktor Makarios wissen. Phils Antwort bleibt legendary: "Jolana likes balls very much - even my balls."



Der Bus schlendert zurück zum Botelparkplatz. In der Bar fließt Becherovka. Der Kellner ist lustig und bringt es immer wieder: Das letzte Getränk.

2. Gig feat. Mr. Švec on Saxophone

Russian Doctors in Prague: Der Vodka geht aufs Haus

02. März 2005 / Prag-Vinohrády / KAVÁRNA CAJOVNA SOUTERRAIN
Mikus und Makarios bleiben ungewaschen.

"Prag ist groß genug um kosmopolitan zu sein und klein genug um ein künstlerisches und musikalisches Zentrum zu haben.'' Phil Shöenfelt irrte bereits 1999 nicht, als er "Infomusic" diese Zeilen einbläute.

Es hat manchmal aber auch kein Trinkwasser, dann, wenn Leitungen in Prag 3 und 4 vor Kälte bersten. Heute ist so ein Tag. Doktor Pichelstein träufelt sich mit Mineralwasser die Seife vom Kopf. Mikus und Makarios bleiben ungewaschen. Morgen kann warten. Vorweg sei genommen: Morgen wird die Wasserzufuhr ebenso nicht funktionieren. 

Bis um zehn gibt es Frühstück. Die Wurst ist orangensaftfarben aber lecker. Man sammelt sich, auch um den Tag zu planen. Doktor Makarios schreitet in die Tatrabahn 3 Richtung Karlsbrücke; alle frieren mit. Doch wärmt die Schönheit Prags. Umrankt und durchtrieben von dünenden Schneeteppichen, schmeckt das Staropramen-Pivo zum Gulasch im "Casanova Café", gleitet die Crew dahin und veranlasst Mikus zum Ausruf: "Bald kommt er, der Prager Frühling."



Das Konzert soll heute ab 21 Uhr im Café Souterrain stattfinden. Nachts zuvor gab Mr. Jarda Švec Doktor Makarios einen ganzen Pivodeckel falscher Telefonnummern. Zum Café irrt der Bus in alle möglichen, ebenso falschen Richtungen. Das Souterrain ist von weitem gut zu erkennen an der Bêlehradská 82, nur führt ein schwerlich Weg dorthin. Angekommen im hippieesken Ambiente ratlost es sich sehr. Kein Mr. Švec, kein Phil, keine Anlage. Am Telefon nur ein Mr. Švec, der in fernen Gemengen unverständliche Anweisungen gibt. Aber so will es die Chaostheorie: Um 21 Uhr stehen The Russian - und später - The International Russian Doctors auf der Bühne. Sehr zur Freude des Publikums. Budweiser und Plum-Vodka nährt die Gäste.



An der Theke steht ein runder Golem-Mann, der eigentlich längst tot sein müsste. Daneben spricht ein Verfolgter des kommunistischen Regimes trunken auf Doktor Pichelstein ein: Interviews müssen jetzt sofort geführt werden. Der Mann gibt sich als Journalist zu erkennen. Er habe einige Zeit in Karlsruhe verbracht, sei dann nach England ausgewandert und interessiere sich sehr für die Jugend aus Ostdeutschland. Doktor Pichelstein, 2001 von Münster nach Leipzig gezogen, berichtet von schrecklichen Auftrittsverboten seiner vielen DDR-Bands bis 1989. Der Lederjackenmann mit der schweren Zunge frohlockt. Der Vodka geht aufs Haus.

Der Weg nach Prag & 1. Konzert im Biker-Pub



Russian Doctors in Prague: Female chicken

01. März 2005 / Prag-Žížkov / MOTORÁJ - BIKERS PUB
Herr Mikus fährt so weit, bis Doktor Makarios' Stadtplan beendet ist

Es zeichnete sich ab. The Russian Doctors würden irgendwann im goldenen Prag spielen. Dass gleich fünf Konzerte einer kleinen Tour zusammenkommen würden, konnte im Vorfeld dennoch niemand ahnen. Umso größer ist die Freude aller Beteiligten, als der Alternative-Art-Bus über die A17 Richtung Zinnwald Schneegestöber hinter sich lässt, ungeahnt dessen, was hoch droben noch an Weißen Weihen parat liegt. Denn es ist immer noch Winter und die blauen ToiToiToi-Toiletten an den Mautstationen sind eingeschneit bis zum Dach.




Die Grenzhäuser zur Tschechei sehen aus wie eisgraue Fransenlampen; es ist kalt, wie auf einem Bibelfeld bei Groitzsch. Steile Serpentinen geht es hinauf und hinab, vorbei an hölzernen Knusperhäuschen, aus denen Rauch aufsteigt, in denen fast Nackte wohnen. Sie tragen Büstenhalter in tschechischen Nationalfarben und äugen gelangweilt fensterwärts. Hinter Teplice, einer erstaunlichen Stadt, die nur aus Freudenhäusern, Tankstellen und Hotels zu bestehen scheint, das erste Hovenzi Gulas für The Russian Doctors und Fahrer Mikus, kurz bevor es aufgeht in eine Prager Irrfahrt hinein, auf Botelsuche, denn die Unterkunft der nächsten Tage liegt direkt als Schiff an einer Seite der Moldau. In Žižkov, dem kulturellen Prager Underground. Jan Žižka, Held des 15. Jahrhunderts, thront über allem hoch zu Ross with big balls. 

Herr Mikus fährt so weit, bis Doktor Makarios' Stadtplan beendet ist. Nie fährt er rechts rein, das wäre immer richtig gewesen. So checkt man spät ein, im Botel Racek, die Zimmer werden verteilt. Makarios kajütet gen Nummer 14, Pichelstein und Fahrer Mikus entern Doppelzimmer 16. Pavel, Gitarrist und Geiger aus Phil Shöenfelts Band "Southern Cross" wartet bereits an einer OMV-Tankstelle, die geradeaus zu erreichen ist. Fahrer Mikus indes biegt nun öfter mal rechts ab, was wiederum falsch ist. Doktor Makarios brütet über einem Geduldstopf. Von der OMV geht's hinter Pavels Rücklichtern her zum MOTORÁJ - BIKERS PUB.




Mr. Švec, welcher Pratajevs bisher einzig aufzufindender Enkel ist, begrüßt The Russian Doctors heftig erfreut. Ebenso Phil Shöenfelt, dessen Frau Jolana, und so geht es Handdrückhallo einige Zeit. Pivo 0,5 fließt aus dem Zapfhahn des Pubs. Mr. Švec, geliebter Tourtechniker mit der Ruhe eines grasenden Tundrageschöpfes, bittet zum Soundcheck auf die Bühne, über den Tischen lodern Joints, die Faustkraftballanlage scheppert in der Ecke.




The Russian Doctors zum 66. Mal live auf einer Bühne. Erstmals in Prag. Doktor Makarios lehrt Pratajev; gibt englische Anekdoten zu den Songs; auf den Tischen liegen einige davon ins Tschechische übersetzt. Wie aus einem Fass wird heftig applaudiert, mitgesungen; das Publikum ist erstaunlich. Es hat Fragen: "What means: Old chicken? Old women?" - "No. is a: female chicken!" 

Makarios: gerührt, Pichelstein: noch ein bisschen ungestümer als sonst. Michael Mikus hat die 1VS vom Film e.V. an einzig verstehender Seite. Man spricht tschechisch-englisch, Trunkenheit und Glück liegen Hand auf Herz. Mr. Švec spielt Saxophon mit den russischen Doktoren im Set. Dann vier Beattracks feat. Phil on Guitar. The Russian Doctors werden zu den International Russian Doctors - "Der Kuh geht's gut", "Der Hermelin", Dead Cats In The Wind" & "The Birth". Nach Zugaben über Zugaben hinein ins Meer aus Pivo und Prag, ins Pragpivo, Film ab für "Pratajev in Prague" auf großer Leinwand; um zwei zurück zum Botel. Man muss den Wachmann zum Aufschließen des Parkplatzes animieren, die Nachtportiersfrau wecken, um mehr Pivo erstehen zu können. Man muss mindestens noch zwei Stunden in Kajüte 16 sitzen, um das alles begreifen zu können. Und ganz sicher beginnt in wenigen Stunden ein neuer anzählbarer Tag.

Der Schnee trägt ondulierte Locken

26. Februar 2005, Oschatz/E-Werk
Gäste in Entensäcken

Winterreifen sind toll. Still stehen sie alle viere vor der "Sammelschiene" des E-Werks in Oschatz. Während in der großen Konzerthalle für die Flutopfer im Dorf Mullaittivu, was irgendwo in Sri Lanka liegt, netzweise Marktkauf-Bälle gewichtige Besitzerinnen wechseln. Künstler und Schüler lärmen auf. Die Percussions-Gruppe "Caramba" der Oschatzer Musikschule zweckt gut vor sich hin. Die Russischen Doktoren lassen sich im Audi einschneien, lauschen der Endphase des Bundesligaspieltages, werden vom Veranstalter Sven eingelassen und stärken sich am Kaffee. Aus den Boxen erklingt Funny Van Dannens "Das tollste Tier, das ich hatte, war eine flache Ratte". 

Techniker Enno bespricht mit Doktor Pichelstein den Bühnenaufbau. Akkordfragen zum Liederbuch Pratajevs werden geklärt. Techniker sind meistens selbst Musiker. Das macht sie noch wertvoller. Aus den Boxen kommt: "Kein Alkohol ist auch keine Lösung" von den Toten Hosen. Die Jägermeisterzapfanlage auf der Theke vibriert dazu. Schon strömen in Entensäcken und Ponchos verpackte Gäste in die warme Stube, drängen sich vorm Zapfhahn herum. Voll wird die Sammelschiene - umso voller, weil niemand mehr dem guten Zweck der Halle entrinnen kann. Frost setzt draußen ein und legt den Heimverkehr lahm.


Das Intro brennt's Konzertfeuerwerk an; als hätte es kein gestriges Weimar gegeben, spielen sich die Doktoren wie hungrige sibirische Wölfe durchs Set. Es dauert nur bis zum Veterinärsblock, dann hallt ein Klatschen von annehmbarer Güte durch den Raum und es dauert noch ein wenig länger, dann ist die Sammelschiene erobert. Zugaben reihen sich ein, man prostet sich zu. Wie bereits beim 2003-er TRD-Konzert an selber Stelle: Noch einmal "Tote Katzen im Wind", "Als das Eis kam" und Schluss für heute. Es muss gut sein, damit dem anfangs gehörten Song der Toten Hosen Tribut gezollt werden kann. 

Die Pension Ruth Thieme stellt ihr Parkblick-Zimmer mit der Glückszahl 13 zur Verfügung. Lange suchen Doktoren im Schweiße danach. Draußen legen sich Minus 20 Grad auf die baldige Landesgartenschaustadt Oschatz und am nächsten Morgen trägt der Schnee ondulierte Locken.

Schwesternschülerin Natascha

Weimarer Wildheit

25. Februar 2005 – Weimar, Gasthof Luise  
Eindrücke flüssiger Gangbilder 

Der Leipziger Zoo verabschiedet seine beiden Flusspferde Brandy und Stenek gen Südafrika. Die haben’s gut. Die fahren in die Sonne. The Russian Doctors indes frieren und bedürfen Sitzheizungsstufe 6. Im Schneegriesel dampft der Audi durchs Thüringer Weiß. Weit über drei Stunden dauert die Anreise via Landweg zum Gasthof Luise. Autobahnen sind zu gefährlich; Kati Witt weilt nicht unterm Motorblock und Gummireifen haben keine Kufen. Vielleicht hätte man doch anders entschieden, wenn bekannt geworden wäre, dass Weimar für den Landverkehr weiträumig abgeriegelt wurde. Nicht wegen des entfernten US-Präsidentenbesuches, nein, die Bundesstraßenschilder sind einfach rot durchgebalkt. Kaum ausgewiesene Umwege über Land, interessant wie ein Fußbad, müssen in Kauf genommen werden.

In Weimar geschieht Doctor Pichelstein an der Ampel Wielandplatz/Ecke Humboldtstraße Seltsames. Um den Audi in Parkposition zu bringen, muss ein U gefahren werden. Plötzlich reißt eine unbekannte, reifere Frau in besten Kleidern die Beifahrertür auf und springt in den Wagen. Pichelstein wundert sich. Die Ampel springt auf Grün, die Frau frohlockt zunächst, blickt dann Richtung Fahrersitz, erschreckt und salbadiert: „Ich dachte, das wär mein Mann!“ Weg ist sie. Ein gewiss typischer Weimar-Fauxpas.

Was sagt die Presse zum heutigen Tag? „Freitag ist es soweit. Die Russian Doctors spielen in der „Luise“. Das schneidige Duo präsentiert uns russische Volksweisen mit akustischen Gitarrengewittern in rasanter Geschwindigkeit - gekreuzt mit schwarzem Humor. Anschließend Party.“ Alles richtig. Die Veterinär-Büchsen sind geladen, Conrad Hoffmann liefert die Anlage zur Beschallung des Publikums; es ist eindeutig schwarz gewandeter TRD-Personatag und die meisten Gäste vermitteln früh den Eindruck eines eher flüssigen Gangbildes.

 


















Dem schönen Gasthof sieht man die „Pure Weimarer Wildheit (PWW)“ auf den ersten Blick gar nicht so an – ungeahnt aller noch bevorstehenden Abendwirren verzehren beide Doctoren schweinerne Himmelsteller aus der reichhaltigen Speisekarte. Freund Mirko aus Dresden ist da, Natascha nebst Thorstenmann, dem es im Laufe der PWW-Nacht kaum gelingen wird, die Gattin im Zaume zu halten. Um hier abzukürzen, sei vermerkt: Die Abreise nach Erfurt erfolgte mit nur noch einem Brillenbügel, den anderen holte sich mittenmang ein Teufel namens Absinth. 

Und im Nachtrag dieses Tourtagebuches darf stolz geschrieben werden: Kindeszeugung fand mutmaßlich auch noch statt.