Sunday, September 03, 2006

Elbhangfest 2005: Sieg im Drachenbootrennen & weitere Geschehnisse eines denkwürdigen Wochenendes

 

24. Juni 2005, Elbhangfest Dresden
Wissmut

Kirschkerngroße Schweißperlen rinnen durch den Bus; Herr Mikus parkt am Straßenhang, Herr Olaf und Doktor Pichelstein zieht es rasch zur Wissmut-Marktbühne, quer durch alle Absperrungen. Es ist Elbhangfest in Dresden nach Schillermotto und wie beinahe in jedem Jahr qua Bands, Bier, Langos usw. eine feiernde Großbaustelle unter glühend heißer Sonne. 

Nach wildfeinem Wissmut-Gig ein erstes Gewitter, denn Merke: Gewitter geht immer. Regen peitscht von allen Seiten und zwängt die Menschen an den Ausschankstätten dicht zusammen. Die Gerste fließt, Doktor Pichelstein trifft auf Frau Kern, Mitglied der Sektion Marianowka, was bei Kiew liegt. Gemeinsam wurde jüngst die Ukraine bereist; forschen wollte man auf Pratajevs Spuren, wurde allerdings von jähen Nachbarn bereits früh morgens zur Wodka-Destille geführt. Eine ganze lange Woche.

25. Juni 2005, Elbhangfest Dresden
Konzert in der Schwüle



Auferstanden als Ruine trifft Doktor Pichelstein Stunden später aus der Herberge wieder am Festelbgelände ein. Weit ist der Weg vom Blauen Wunder bis zum Gare de la Lune, dem heutigen Auftrittsort der Russian Doctors, gefühlte 50 KM in sengender Hitze, sind es reell doch nur knapp 4 KM. Insgesamt wird auf 7 KM Länge beidseits des Gehens gefestet, anfangs auf 3 Ebenen: am Elbufer, an Hang & Straße. 

Im Biergarten, vor einer abschlagenden Örtlichkeit, sitzt Doktor Makarios am Eimerchen voller 20-Cent-Stücke. Als Klomann-Vertretung inkognito und alles zahlt wie geheißen. Auf der Bühne stellt eine viel später russisch tönende Band die Instrumente auf Start, dann kommt es, dann kracht es, das nächste Gewitter. The Russian Doctors eilen an Gitarren in die mondänen Innereien des Gare de la Lunes hinein und bleiben auf der großen Tangosaal-Bühne stehen. Ein Soundcheck, ein Hellbier und ab dafier; die Veterinäre aus Murmansk legen sich ins Set und nach weit über einer Stunde ist mit einem pratajevschen Rundblick die letzte Zugabe geschmettert. Nass im Schweiße der Schwüle versuchen die Doktoren verlorene Flüssigkeit eiligst wieder aufzufüllen. Der Rest des Tages wird zwischen nächstem Gewitter, Wolkenbruch und Sonne verlebt. Abends, am Bootshaus, trifft man auf verschworene Vertreterinnen der LPG, auch: "Lustige Paddel Gesellschaft" genannt, und heckt den morgigen Geheimplan fürs Pratajev-Drachenbootrennen aus: 20 junge Frauen - jede bestückt mit Katzenshirt und schwarzem Kopftuch - an den Paddeln, eine sehr junge schwangere Fell-Trommlerin an ausgestopfter Katze, ein Drachenboot in der Lady-Cup-Disziplin, Frau Doktor Pichelstein führt das Lager an. Besser geht es nicht.

26. Juni 2005, Elbhangfest Dresden
Drachenboot-Rennen und 2 Konzerte

Neuste Meldungen:

Ergänzend zu den Forschungsberichten des Phillipp von Tanell (Sexualität, Fetischismus und Kastration) hat Fillipow Loraschin weitere interessante Ergebnisse im lyrischen Werk Pratajevs und seines treuen Begleiters Prumski zu vermelden. (Vgl. Pratajev Almanach- Almanach, Band I, Leipzig 2003, Seite 125)

In seinen Leer- und Studienjahren bereisten die zwei berühmten Künstler auch die entlegensten östlichen Regionen des Saxoniziwer Rayons. Im kleinen malerischen Fischeflecken Loschwitzowo, an dessen Furt sie die majestätisch dahinströmende Arig-Elbo überqueren wollten, leisteten sie einen unschätzbaren Beitrag zur Emanzipation. Ihnen fielen zahlreiche tote Katzen auf, die aus unerfindlichen Gründen in den Obstbäumen hingen, die mit bis zum Boden gebogenen Ästen fruchtbeladen in den Vorgärten der Fischerkaten standen.



Neugierig geworden unterbrachen die Reisenden ihre Flussüberquerung und suchten den natürlichen Versammlungsort der Dorfbewohner, die Fischerkneipe Blaue Wolke auf. Tatsächlich hatten sich fast alle männlichen Dorfbewohner dort versammelt, nur der Fischereikolchosvorsitzende fehlte: er litt an einer chronischen Schluckröhrenlähmung und war hilflos den Launen des Alltags ausgesetzt. Eine gar wundersame Geschichte erzählte man den Reisenden zum grausigen Anblick der toten Haustiere: Nachdem die Fischer die spontane Destillation gegorenen Fischrogens zu hochprozentigem Eierlikör entdeckt hatten, ergaben sich alle nur zu bereitwillig dem Trunke. Die Boote fuhren nicht mehr zum Fischen, das Feuerholz blieb ungehackt, die Dorfwege versanken im Schlamm, da die Instandsetzung durch die Reparaturbrigade "Volles Loch" unterblieb. Dieses Treiben rief natürlich schärfsten Protest der Bäuerinnen hervor. Doch was konnten sie schon tun? Wie jeder weiß, ist neben der alkoholisierenden Wirkung von Eierlikör auch die ernährungswissenschaftliche Eignung bewiesen: alle erforderlichen Kalorien, Nährstoffe, Vitamine und existenziellen Aminosäuren können ausschließlich durch dieses Getränk zu sich genommen werden. Die armen Frauen sahen keinen anderen Ausweg, als einen Weibergeheimbund zu gründen, um diesen Zuständen ein Ende zu setzen.



Aber ein Treffen der Frauen war nicht möglich, da ja die Wege unpassierbar waren. Die Hunde, die vielleicht Nachrichten hätten überbringen können, gab es nicht mehr, da schon längst verhungert. Lediglich die zähen Dorfkatzen mit ihren 9 Leben wären die letzten Haustiere - aber leider nicht zur Nachrichtenübermittlung abzurichten. Lautes Rufen verbot sich von selbst, da dann die Männer vom geheimen Plan erfahren hätten. Also kam die Aktivistin und Meistermelkerin Sisischnaja Henkerowa auf die Idee, ihrer dürren Katze kurzerhand den Hals umzudrehen. Sie band eine Nachricht an die Nachbarinnen am Halsband fest und schleuderte gekonnt die tote Katze über die Strasse zum Nachbarhaus. (ob diese kreisförmige Wurfmethode auch Geburtsstunde des Hammerwurfs war, muss Gegenstand einer weitergehenden Untersuchung sein).
Begeistert griffen die anderen Fischerfrauen und Bäuerinnen diese Methode auf und so waren nach wenigen Tagen fast alle Häuser des Fleckens mit toten Katzen zur Nachrichtenübermittlung ausgestattet. Die Aufbewahrung in den Bäumen war ein geschickter Kompromiss: erstens dienten sie so auch zur Starenabwehr und eine Aufbewahrung im Haus verbot sich auf Grund der Geruchsbelästigung von selbst.
Als Pratajev und Prumski nun Loschwitzowo erreichten, befand sich die Stimmung auf dem Siedepunkt und drohte jederzeit in einem Pogrom zu enden. Mit Schürhaken, Waschbrettern, Äxten und angeschliffenen Stechpaddeln standen sich die Kontrahenten zeternd gegenüber. Pratajev und Prumski hatten auf ihren ausgedehnten Wanderungen durch die östlichsten Ausläufer der Ore-Berge genügend verlassene und dem Vergessen anheim fallende Dörfer gesehen, so dass sie sich nach kurzem Augenkontakt der Lösung des Problems annahmen.



Sie schlugen den gegnerischen Parteien einen sportlichen Wettkampf in den größten Fischerbooten des Dorfes vor, bei dem der Sieger dem Verlierer die Bedingungen eines unbegrenzten Waffenstillstandes diktieren konnte. In ihrer Verblendung glaubten die paddelerfahrenen Fischer leichtes Spiel mit den "Toten Katzen" zu haben. Doch durch übermäßigen Eierlikörverzehr geschwächt und ohne perfekte Zusammenarbeit (jeder Fischer glaubte am besten zu wissen, wie das Boot vorwärts zu bewegen sei und so drehte sich das Männerboot nach wenigen Metern hilflos im Strom) unterlagen sie den wutgeladenen Frauen, die geradezu tsunamiähnliche Wellen bei ihrer Siegesfahrt erzeugten.
Doch die Siegerinnen ließen Gnade vor Recht ergehen - noch einmal in der Woche durften die Fischer in der Blauen Wolke dem Eierlikör zusprechen. In der restlichen Zeit gingen sie wieder brav ihren Tätigkeiten nach und der soziale Friede war wieder hergestellt. Das Lied "Tote Katzen im Wind" ist auf diese Begebenheiten zurückzuführen. Und Fischer und Bauern sollten dieser lehrreichen Geschichte stets gedenken: vor allem wenn ein Haufen Frauen mit Paddeln stilisierte tote Katzen auf ihrer Kleidung trägt!
Die Nachkommen der "Toten Katzen" sind heute in der LPG " Am Blauen Wunder" zu finden. Einige militante "Katzen" emigrierten in das flussabwärts gelegene Riesa und nennen sich heute "Chamäleons". Aus dieser Zeit hat sich die Paddelwut und das damit verbunden Drachenbootfahren auf der Elbe entwickelt. Wer am heutigen Leben der Nachfahren teilnehmen will, melde sich beim Wasser-Sport-Verein am "Blauen Wunder"…

In diesem Sinne startet nach Doktor Pichelsteins anfeuernden Gitarrenweisen das Boot "Tote Katzen im Wind" zum Elbhangfest, umjubelt von angereisten Fans aus aller Damen Länder. Unter den Bootsfrauen befindet sich gar eine weit gereiste Vertreterin Japans, liiert mit einem Rostocker Matrosen. Parole und Schlachtruf, angestimmt durch die schönste der Frauen im Boot, lauten ukrainisch: Kischka! Kischka! Dawai Dawai! Der Vorlauf wird für "Tote Katzen im Wind" im Sturm genommen; das Finale ist erreicht, Damenschaft an Doktor Pichelstein werden auf die Bühne gebeten und erstmals erschallt's an diesem Tag übers weite Rund, das Lied der toten Katzen. Doch gefeiert wird noch nicht, heiße Sonne schmilzt die Aufregung, Doktor Makarios wird per Fähre aus Pillnitz eingeschifft. 

Das Finale: "Tote Katzen im Wind" paddelt sich nach vorn. 350 Meter sind zu absolvieren, "Kischka! Kischka! Dawai Dawai!" brüllen die Fans am Elbufer. "Tote Katzen" fällt zurück, wird beinahe überrundet vom 2. Finalboot. Letzte Katzenkräfte werden mobilisiert, Trommel hämmert, ausgestopfte Katze weht, Schlagzahl wird erhöht, Sieg, unbeschreiblicher Jubel. Am Ufer wie an Bord schwebt man sich in nasse Arme. Herr Mikus bannt die Szenen auf Kameraspeicher, filmt vor Wonne alle Füße. Nicht mehr weit ist nun die große Siegerehrung; The Russian Doctors - inmitten des Damenchores der "Toten Katzen im Wind" - spielen das Lied der Lieder, die Weise der Weisen. Ein großer Auftritt wie gemalt; unten an der Bühne drängt sich die Masse. Als Zugabe stimmt Frau Doktor Pichelstein den russischen Rotarmisten an. Im Feld fragen sich viele, was das alles zu bedeuten hat, sind schlauer nun, einen Auftritt später werden sie wieder da sein, am Gare de la Lune gegen 16 Uhr 30. 

Die Katzenschaft der Paddlerinnen nimmt derweil den Pokal in Empfang, bekommt vom Moderatorenduo nebst stoffbezungtem Sponsormann eine Makro-Eistorte und viel Sekt gereicht und so trinken sie dahin, zurück zum Bootshaus, direkt an die verdienten Zapfhähne, aus denen es schwarz und helle fließt.


Um 15 Uhr haben Makarios und Pichelstein den Biergarten am Gare de la Lune erreicht. 20 heiße Minuten zu Fuß sind kein leichter Sonntagsspaziergang, sondern eher gemein meditativ: Der Gitarrenkoffer wird schwerer und schwerer… Mirco schlägt als Auftrittsort der Doctors diesmal die Bühne zur Straße vor. Gesagt, ausgetrunken und getan: wenig später ist die Bühne spielfertig und, ja, es wird eines der unbeschreiblichsten Top 10-Konzerte seit Beginn der Doctors. 

Nachdem das von Makarios erdachte Set - bei den Russian Doctors gibt es seit längerem keine festen Liedfolgen mehr; auf Stimmung und Zuspruch der einzelnen Pratajev-Themen kommt es an - eigentlich vorbei ist, geht's noch mal richtig los. Der Straßenhof jubelt und feiert jede noch so lang nicht gespielte Zugabe aus den Doctors heraus. Beim "Wanderer" springt die 3. Saite des Tages, da wird er halt später noch einmal gespielt. Doktor Pichelsteins Finger sind malade wie im März nach einer Woche Prag, Doktor Makarios versucht nach dem 2. Extremzugabeblock durch eine Gemäuer-Holztür zu flüchten. Es nützt alles nichts und der Spaß kennt nur die Grenze, dass vor Erschöpfung bald wirklich nichts mehr geht. So soll es sein, findet auch Herr Mikus, der den Bus später durch den Feierpegel des Elbhangs zurück übers Blaue Wunder, hinaus in den Leipziger Spätabend, lenkt.

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