
13. März 2009,
Leipzig/Villa
Auf dem nassen Kajalstrich (169)
Ein Jahr, in dem es wohl nie
Frühling wird, wir schreiben bereits Mitte März; nach langer Die-ART-Tour
endlich das erste 09-er Doctors-Konzert. Dazu noch ein Heimspiel in der Villa.
Zum 6. Geburtstag des Schwarzen Leipzigs. Zwergfledermaus und Dr. Wanderer sei
Dank, unter anderem natürlich. Die gemeinsame Abend-Formation, Puppets on
strings, checkt den Sound, sinister klatscht draußen der Regen auf die
Kopfsteinbühne, in den Rauchbereich hinein. Der Wind dazu sei mein Stylist, mag
sich Doktor Pichelstein denken und stemmt sich gegen einen Langschläfertag wie
diesen. „Mein Doktor, lass uns mal den Whiskey probieren“; Worte, die bereits
früh am Abend fallen und das noch vor der Nudelgabe im Backstage. Am Merchstand
herrscht derweil reges Treiben; unterschiedliche Formen und Ausmaße der
Trunkenheit werden weiblich diskutiert. Shiva und Pichelstein stoßen scheppernd
an, Doktor Makarios mixt sich eine Cola-Basis zuleibe. Und dann wird es auf
einmal richtig voll. Schwarzes Leipzig lockt! Das, obwohl allerorten Buchmesse
ist. Pratajev-Verleger Herr Reiffer gerät unter den Gästestrom, ein Rattchen
wird entdeckt. Es trägt Fototasche und wird die bühnenumsegelte Nacht später
noch ins Visier nehmen wollen.
Kampfberaucht beim letzten
Puppets-Stück geht’s in die Katakomben hinunter, vorbei an einem
„Schwesternzimmer“, ausgerechnet. Das Intro läuft, das Publikum sieht
hinreißend aus. Einfach schwarz und schön, im herrlichen Kontrast zum Wetter.
Ein Kajalstrich besonderer Nuance öffnet seine arrivierten Pforten zu den
Heimatliedern für Heimatlose. Grüße von der Bühne aus nach Torgau, Magdeburg,
nach Halle, Weißenfels, nach Braunschweig, Freiberg, nach Karl-Marx-Stadt mit
Herz und in die Südvorstadt. Doktor Wanderer bringt den zweiten Wodka, Doktor
Makarios antwortet mit Pratajevs Liedtext „Gelber Schnaps“. Die Reihen lichten
sich erst, als Musik aus dem Player ertönt, die letzte Zugabe gespielt ist und
Doktor Pichelstein kann erstmals damit angeben, vor seinem Gitarrengewitter
einen Ordner gesichtet zu haben. Soviel sei noch verraten: Eingreifen musste er
nicht, nein, beide Doktoren benahmen sich weder unbotmäßig noch stürmten sie
das Publikum. Eher stürmte es draußen und am Merchstand kehrte später sanfte
Ruhe ein, mit einem Whiskey in der Hand, destilled and matured in Scotland.
„Racke Rauchzart“ war sein Name und der Beschafferin sei Lob, sei Dank, sei
very special Trank.
20. März 2009,
Chemnitz/Bunker
Götter folgen immer auf Halbgötter (170)
Mal schauen, was das LVZ-Horoskop
Dr. Pichelstein heute beschert: „Kleinere Aufregungen positiver Art sorgen für
einen recht bewegten Tagesablauf“, steht da schaafig ungeschoren. Nun, wenn es
so ist. Im upart-Büro des Doktor Makarios tauscht man sich über Portugal aus.
Und wie diese Südperle an Spaniens Backe irgendwie mit den Fliehenden Stürmen
zu tun hat. Gen Portugal zieht’s in diesem Jahr beide Pratajevianer, mit den
Göttern des besseren Punkrock wird heute im Chemnitzer Kühlschrank, dem Bunker,
gespielt. Am B95-Rand pullern irgendwo in der Tristesse Landkinder zur
Frohburger Piste, winken dem Tourauto hinterher. Als Alternative zum Counterstriken
vielleicht. Familienministerin von der Leyen wäre begeistert - und unter vergleichenden Aufzählungen
sämtlicher Kreuzigungen am Straßenrand, weiterhin dem Pichelstein-Horoskop eher
gleichgültig gestimmt, wird in der Folge Chemnitz erreicht.
Draußen ist es wärmer als
drinnen; der Tag des Frühlingsanfangs 2009 mag als Unhold ins Jahrbuch
eingehen. Dort soll er mal schön erklären, warum der Erderwärmung weiterhin
scheinbar gänzlich getrotzt wird. Bunkerengel versorgen dickbemantelt zunächst
die Doktoren, dann die Stürme mit Heißgetränken. Lagerfeuermündig geht’s zu
Kaltgetränken über, zum Soundcheck, ins Subway zum frittierten Gastmahl des Erdbodens.
Unter heimlicher Zufuhr von Bockwürsten; Mario sei Dank.

Der Club der toten
Katzen (deutsch kratzt so im Hals)
25. März 2009 – Prag, U
VYSTŘELENÝHO OKA PUB
Am
05. März 2005 spielten die Russian Doctors erstmals genau hier, im
„Zerschossenen Auge“ ihr 70. Konzert ewiger Tourrechnung. 101 Konzerte später
hat sich eigentlich gar nichts geändert; der Pub ist gefüllt bis auf die
hintersten Plätze, die Gläser noch mehr und das Gulasch schmeckt zum Pivo beim
Schnapse umso besser. Die Staus fanden vorab woanders statt; über
schneeverhangene Erzgebirgskämme war man gefahren, mit leichtem Schnaufen im
Gesicht wurde die tschechische Grenze überrollt. Gut in der Zeit und all das
vor Augen, was später eintrifft: wenig Falschverkurvung, steile Auffahrt zur
Pension 15 in Žížkov an gebuchtem Parkhof, Beräumung eines maximal
10m²-Doppelzimmers mit dicken Jacken und Pullovern. Denn die Jahreszeit, die
kalendarisch ist, soll noch nicht sein. Winde fegen aus Ost, mischen sich mit
Regen und Doktor Makarios raunt: „Das nächste Mal will ich hier nur noch im
Sommer spielen.“

100
Kronen Taxameter später entlädt sich die Backline vorm Oka. Hinein geht’s in
die kiffumrauchte Schwemme. Tourmanager Jarda Švec versucht sich am Beamer;
nichts passt rein kompatibel zum anderen, ein neues Laptop wird gereicht und
schon läuft der Film, der immer laufen muss, wenn The Russian Doctors in der
Nähe sind: „Pratajev in Prague feat. Phil Shoenfelt as Charles
Cockburn, BBC London, for Culture of the sheep”. Pavel Cingl sitzt am reservierten Tisch dem
Holzfäller gegenüber. Vermutlich holzt er gar nichts, verfügt aber nur noch
über wenige Finger, die dennoch emsig Joints basteln können. Jedenfalls wird er
es sein, der nach dem Konzert von der obersten Türschwelle des Oka bis vors
Aquarium fallen wird. Mit einem großen Pivo in der Hand und zwei Meter
Liegenschaft dazwischen. Kleine Pivos sind übrigens Verhandlungssache, werden
im Oka gar nicht gerne serviert, resp. nachgereicht. Denn bestellen muss man
nichts; nur irgendwann einmal abbestellen, aber so weit ist es lange noch
nicht. Zuzana, tschechisch versierte Pratajev-Übersetzerin, erklärt den
Doktoren auf Schwitzerdütsch, dass sich tags zuvor in Prag der „Club
der toten Katzen“ gegründet hat. Irgendwer zeigt Handyfotos mit mumifizierten
Katzen herum und man jauchzt überm selbst gebrannten, 54%igen Apfelschnaps
drüber, den Jarda besorgt hat.
Mit
jener Brennglasfüllung im vollen Bauch („Dr. Pi is getting bigger“, murmelt
Phil Doktor Makarios zu) geht’s auf die Bühne in Kaminfeuernähe und selbiges
wird in der Folge musikalisch abgebrannt. Schnell, heftig, laut, versehen mit
rasanten Trinkpausen. Davor, danach tost der Beifall und als alles gesungen und
gespielt ist, fehlt selbst den meisten Tschechen die Stimme. „Deutsch kratzt so
im Hals, ich kann nur noch englisch sprechen“, entschuldigt sich Zuzana beim
Doktor Makarios. An den Tischen kehrt ein wenig Ruhe ein. Und auch jener
Gastdoktor, den es während des Konzertes öfter auf die Bühne zog, um
tschechische Bluesgesänge zum „Jägerlatein“ oder zum „Gelber Schnaps“
vorzutragen, natürlich schwer umjubelt, schläft jetzt.
PS:
Spät nachts überlegen die Doktoren noch, ob das Stück „Jägerlatein“ mit seiner
Refrainzeile „Eine Ladung voll Schrot und alles ist tot“ nicht derzeit ein
wenig unschmeichelhaft erscheint, zumal vor zwei Wochen der Amoklauf von
Winnenden durch alle Medien tickerte. Andererseits müsste man Pratajevs Werk
dann aber mit dem Titel „Schülerlatein“ umdeutend versehen und das Viehzeug im
Text durch Personen des öffentlichen Lehrkörpers ersetzen. Doch nein, keine
Sorge, alles bleibt gut so wie es ist.
PPS:
Noch später in der Nacht überlegt Doktor Makarios, ob es nicht an der Zeit
wäre, endlich den lange geplanten Fotokalender „Katzen im Straßenverkehr“
herauszugeben. Wo es doch mittlerweile selbst in der tschechischen Hauptstadt
einen „Club der toten Katzen“ gibt.
26. März 2009, Prag/Bunkr
Parukářka
Der böhmische Killervirus (172)
Die Pension 15 wird von
russischen Inhabern geführt und nach dem Frühstück darf mit ganzer, rührender
Schwermut geklagt werden. Über ausbleibende Touristen, schlechtes Wetter,
steigende Preise und Doktor Pichelstein notiert sich einen Satz, warum auch
immer. Er lautet: Einer Bierstadt darf man nicht mit Weißwein kommen. Langsam
ziehen Erkältungen ein; zunächst fröstelt Doktor Makarios, spekuliert
optimistisch auf die Leuchtkraft der Prager Märzsonne, doch leichte Strahlen
verschatten sich rasch zu einem sprenkelndem Einheitsgrau. Drückt nicht nur
aufs Gemüt, sondern auch auf die Blase.

Mit schnarchwunden Gaumenzäpfchen
geht’s per Taxiirrfahrt gen Parukářka-Hügel, von dem aus man postkartenschön
den babykrabbelnden Fernsehturm um die Ecke bringen kann. Die letzten, sehr
bösen Meter zu Fuß, beladen mit Koffern und Gitarren, weil’s eben eine
Taxiirrfahrt war und nicht jeder Tscheche seine Stadt so gut kennt, wie er es
kronengerecht müsste. Übrigens gibt es ein neues Gericht auf Prager
Speisekarten, in der Nähe diverser Kafka-Ehrungen. Essbares mit „Katze“ drin...
Bevor es 18 Meter tief in den
Prager Atombunker geht, heißt es kneipend oberhalb: warten bis der Wirt kommt.
Und er kommt sehr oft, prallen Tablettes, sehr zum Genuss des frühen Abends.
Mut antrinken für den Gang in die Tiefe. Noch hungern die Doktoren, später wird
indes eine Pizzeria konsultiert, denn die warnenden Worte des Makarios: „Mein
Doktor, wir müssen was essen vorm Konzert, sonst wird’s vergessen und bei all
dem Schnaps hier…“ sprechen Worte der Weisheit. Der böhmische Alkoholpegel
liegt nun einmal durchschnittlich bei 1,4 Promille, also: gesagt und später
noch getan.

Wer weiterhin nicht auftaucht sind
die jungen Tschechinnen und, was viel wichtiger ist: DJ špína. Übersetzt man diesen Königstitel der
Turntables, würde „DJ Schmutz“ (den Doktoren im Oka versprochen und vorgestellt)
dabei herauskommen. Nun denn. Die pichelsteinsche Gitarre erreicht rasch
Lichtgeschwindigkeit, Doktor Makarios hält sich tapfer am Mikro fest und singt
düster drein. Der Sound auf der Bühne ist ohrenbetäubend; weil die Monitorboxen
vermutlich gerade nicht vorrätig waren, hatte man einfach eine weitere,
kleinere PA für den Innenbereich angeschlossen und burschikos aufgedreht. Es
fiept und koppelt und beschnapst spielen die Doktoren das Konzert nach einer
Stunde zu Ende. Mit nassem Weißhemd stürzt Doktor Pichelstein ein schnelles
Pivo, während Doktor Makarios einer tschechischen Deutschlehrerin die umwobene Pratajev-Story
näher bringt.
Mal schauen, eingeladen sind die
Doktoren nun irgendwo auf dem Land, denn dort wäre es schön für ein Konzert
unter freiem Himmel. Aber nur im Sommer, noch in diesem Leben und somit endet
der heutige Untertagesausflug mit der Geschichte eines kürzlichen Pornodrehs im
Bunkr. Erzählt von der Band Secret 9 Beat, die einen Schacht weiter hinten
proben – doch um diese interessanten Umstände und Details noch genau
wiedergeben zu können, hätte es gewiss mehr Aufmerksamkeit bedurft.
27. März 2009,
Dresden/Chemiefabrik
Chemotherapie (173)
Russische Pensionsinhaber treiben
russische Doktoren mächtig an; nach einem unmotivierten Spätstück (Interieur
des Speiseraumes besteht aus Arbeitsmaterial vormütterlicher Nähstuben, alte
Bilder an den Wänden von alten Männern und sehr jungen Tschechinnen der
vielleicht 20er Jahre) und der abspeisenden Erkenntnis: Heute schmeckt
irgendwie gar nichts, folgt rascher, warmer Duschregen, besaitet Dr.
Pichelstein die Hauptgitarre fürs Abendkonzert und das findet in Dresden statt.
Was nicht sehr weit ist, doch bekanntlich treibt der böhmische Killervirus
beiden Doktoren aktuell triefende Schleimtiraden (durchsiebt mit fast allen
Frühlingsfarben) gesichtsauswärts ans Stubenlicht. Gebuttert mit einem Hauch von
Restalkoholität ergibt das – vor allem für den Fahrer des Tourautos – kein
gutes Omen. Der Prager Mittagsverkehr kennt, wie erwartet, auch kein Pardon und
so tattert Dr. Pichelstein, mit stets offener Seitenscheibe, dahin. Viele
Kilometer lang. Aus Prag heraus, durchs steile Gebirge, auf die Autobahn
hinauf, durch Kreisverkehre, in denen sich mittenmang alles zu drehen beginnt.
Gestoppt wird erst tankend, dann halsbonbonskaufend am tschechischen Supermarkt
vor der Grenze. Vorn im Auto sitzt Frau Holle und schüttelt Tempotaschentücher
aus. Doktor Makarios, für Navigation und Beschallung der gesamten Fahrt
verantwortlich, legt kassettenweise Aufnahmen der Fliehenden Stürme nach. Immer
wieder geht „Mein langsamer Tod“ daraus hervor. Wie gut das jetzt passt.
Auf nach Pirna; die gesamte,
verehrte Hutbühne-Crew hatte sich zum eigentlich für morgen vorgesehenen,
letzten Prag-Konzert der Russian Doctors angesagt. Nun, zwei Dinge sprechen
heute bereits dagegen, morgen erneut in die andere Richtung fahren zu müssen.
Erstens kennt man als russischer Doktor den Verlauf einer, wenn auch
böhmischen, Virusität nur zu genau, ergo: Es kommt immer alles noch schlimmer,
wenn die heimatliche Patientenrolle rückwärts in immer weitere Fernen rückt.
Zweitens wird am Samstag, also morgen, überall in Europa WM-Qualifikation
gespielt. Das Konzert im tschechischen Pub hätte bereits spätestens um 19 Uhr
beginnen müssen. Und wäre kurz vor acht rapide, mit dem Click zum
Sportfernsehen der tschechischen Republik, beendet worden. Dafür, unter
ersteren Umständen, zwei Leben riskieren? Nein, liebe Freunde aus Prag, wir
kommen gerne wieder. Nur nicht am Samstag. Um es hier vorweg zu nehmen: Leben
wurden gerettet; Doktor Pichelstein trollte sich Anfang der Woche nächtens zur
Notaufnahme der Leipziger Thonberg-Klinik (akute Bronchitis, AU-Schein: 14
Tage), Doktor Makarios wurde mit einem Sack Medizin versorgt. Als beide
Doktoren sich übers Befinden am Telefon austauschen wollten, sprachen eher
sibirische Steppenwölfe aus ferner Zeit miteinander.
Bei Übermittlung des
Konzertabsagebeschlusses an die Tschechen war man nicht glücklich, doch Verständnis
obsiegte. In der Langen Straße zu Pirna wird der Besuch der Doktoren dazu
genutzt, Pause zu machen. Ein Jever vielleicht? Nein, immer. Nur jetzt gerade
nicht. Und dann geht’s weiter nach Dresden, zur Currywurst am Straßenrand der
Neustadt. Während im Auto Doktor Makarios nickert, speist Dr. Pichelstein Würze
in sich hinein. Stunden vergehen hernach, die Chemiefabrik wird gesucht,
gefunden. Ein Bunker wie in Chemnitz, nur voller Grafittisprühe daran. Die
Nasen laufen, die Nasen machen krach. Paracetamol und Aspirin, Bronchientropfen
und zwei Schlücke Racke Rauchzart (Rest vom Villa-Konzert neulich). Die Lungen
atmen schwer, der Mund macht krach. Nur das Taxi, was auf der anderen
Straßenseite eine Straßenbahn rammt, ist etwas lauter.

09. April 2009,
Leipzig/Flowerpower
Musikalische Doktorspiele (174)
Ein grüner Donnerstag unterm
unbeleckten Sonnendach. Blaue Wolken, wenig Beinkleid. Da ist er nun, der
Frühling, bunt und rund. Wurde auch mächtig Zeit. Im Flowerpower wirbelt der
Strobi, davor lassen es sich die Doktoren bänkelnd gut gehen. Der Soundcheck
sitzt, Doktor Makarios entschwindet kurz in die Moritzbastei zum Buffet der
Künstlerpaten. Doktor Pichelstein reibt sich die Augen: Nach 36 Sekunden führt
ManCity 1:0 in Hamburg – doch der HSV mit seinem holländischen
Nussknackertrainer ist kein militant beweinungswürdiger FC Bayern und dreht die
Rasenstory noch für sich zum 3:1. Das Spiel liegt in der 90. Minute; Pratajevs
Erben preschen vor die Mikros, in die Saiten, genau so wie die LVZ morgens
bereits prächtig bunt getitelt hatte. Die musikalischen Doktorspiele starten
unterm Heißlicht; Doktor Pichelstein durchlebt eine Schwitzkur besonderer Güte.
Letzte Grippesporen fließen ins Hemd, in die Augen und ganz so dolle ist’s noch
nicht mit der sonst gewohnten Lässigkeit. Viel „Puh“ und Geschnaufe dabei.
Voll ist’s vor der Bühne, der DJ
trägt ein CCCP-Russenshirt auf geschenkte Order vom Chefwirt André Streng. Es
schmettert die Gitarre am pratajevschen Gesang. Aber nur kurz; nach einer
Stunde gibt’s die erste „Schnapsbar“; danach folgt eigentlich der 2.
Wunschkonzertblock fürs Publikum. Heute weit gefehlt – der übermotivierte DJ
schnipst eine CD an und überlebt’s ungeschoren. „Hang the DJ“, skandieren
einige, aber gut. Dann geht’s eben anders weiter. An der echten Schnapsbar und
die hat es hier im Flowerpower zu Leipzig wirklich in sich. So fließt der
Vodka, mit Feigen oder ohne, springt über von einem zum anderen und jetzt, wo
Karfreitag ist, dünstet er langsam aus. Nächsten Samstag, in Wittenberg, gibt’s
dann ein Dreistundenkonzert. Versprochen.
18. April 2009, Wittenberg/Irish Harp Pub


Willi W. muss zur Ü-30-Party, gar
zweimal wird vor Ort Geburtstag gefeiert, die Lage entspannt sich im Irish Harp
Pub. Manch eine Gefesselte soll noch rasch verpartnert werden, so ist es hier
nun einmal. Im stillen Schweiße hockt Doktor Pichelstein, bauchbekratzte
2,5-Stunden Konzert hinter sich, auf einem hölzernen Barhocker und versucht die
Eindrücke zu ordnen. Während Doktor Makarios den letzten, halbvollen Gin-Tonic
an seinen Gitarrendoktor verfüttert. Nun auf in die Bierstuben, denn oben
drüber wartet warm und weich das herrliche Matratzenreich. Sterne sehen gehen.
19. April 2009,
Berlin/Duncker
Wir sind doch nicht bei de Russen! (176)
Schwach, sehr untüchtig tuckert Doktor Pichelstein
den Bus durch den rapsgelben Fläming hindurch. Umringt von sonntäglichen
Motorrad-Psychosen, die zumeist halsbrecherisch knatternd eine unbestimmte
Weite suchen. Und das maschinenschwer. Frischer Frühling pustet durchs offene
Seitenfenster, Doktor Makarios blickt besorgt fahrerkabinig nach links. Nach
einem Frühstück bei DSF und Doppelpass geht’s gen Beelitzer Spargel. In Treuenbrietzen
kommt der Bus zum Erliegen. Es lockt die Gaststätte Sonneneck in der Großstraße
88. Irgendwo mag es sicherlich die dazu passende Kleinstraße geben. Nun.
Zwei Spargelkönigsdoktoren harren der
Dinge und natürlich der verehrten Speisekarten. Doch zunächst werden sie Zeugen
einer später noch lang erzählten Finesse. Zunächst taucht eine Kleinfamilie
auf, verlässt vollends glücklich das Sonneneck und trampelt über die spärlichen
Sandrabatten, querbeet an Blumenkübeln und – eben - russischen Doktoren vorbei auf
die Straße. Statt einen kleinen, gehwegverdächtigen Umweg zu nehmen. Doch nicht
ohne den Kellner, eben noch beschäftigt im Sinne der Freundlichkeit und
Anteilsnahme. „Wir sind doch nicht bei de Russen!“, belfert er im tiefsten,
trutzigsten Potsdamer Slang den ehemaligen Gästen hinterher. Bass vor Staunen
dauert es schon ein paar Augenblicke, ehe das Familienoberhaupt zurückbellt.
Der Abtausch schlagkräftiger Kofferwörter dauert noch eine Weile, und wenn der
Kellner gewusst hätte, dass er eben doch bei „de Russen“ gewesen wäre,
vermutlich hätte er beide Doktoren nicht so fürstlich umsorgt und bedient. So
aber gelingt der Bus-Stop zum Schmause, oh ja! Von der Szene existiert sogar
ein Foto. Wir reichen es an dieser Stelle nach, sobald der Film entwickelt ist
(kann noch eine Weile dauern, hat gerade Heuschnupfen).
Durch Berlin scheint pietätvolle,
gar blendende Sonne. Ein seltenes Bild; die vorangegangenen
Doktoren-Heimsuchungen der Hauptstadt unseres krisenreichen Landes fanden
vornehmlich entweder im Nieselregen oder im Dauerregen statt. Wenngleich
Berliner Konzerte eigentlich immer toll sind, so muss man die wettergepeinigten
Einwohner stets ein wenig glücklich machen. Pratajev macht glücklich, das
spricht sich hier seit Jahren herum. Und der Duncker-Club füllt sich im Rahmen
feingründiger „Dark Poetry Sessions“, veranstaltet von den Lautmalern,
vielleicht gerade deshalb recht bemerkenswert. Für einen Sonntagabend muss man
sagen, an dem niemand so recht weiß, wie denn nun Hertha BSC heimgespielt hat.
Eisern Union gewann vorab, das zählt.
Das Publikum reiht sich
perlenkettig, Sitz für Sitz auf; wahre Wunder geschehen. Eine Mädchenband sitzt
in der ersten Reihe, alle sind sie um die 15 Jahre alt, ihre Lieblingssongs
heißen zum Beispiel „Biber“, „Auch die Ratte hat ein Herz“ und „Schlips aus
Lurch“. Pratajev-Mitglied Eademakow, gezeichnet vom eher kleineren, wenn nicht
gar mittleren Nachwuchs-ins-Bett-bringen,
stößt mit den Doktoren auf den kommenden Pratajev-Kongress an und schon
beginnt die Lesemusikshow mit den Russian Doctors. Abwechselnd steigen Autoren
in den Ring. Sogar Herr Lautmaler trägt bei und erntet für die körperliche
Liebe zum graugroßen Zoogetier
mannigfaltigen Applaus. Den Abschluss veranstalten Makarios und
Pichelstein mit einem Stundenkonzert, werden schließlich beim Schnapse gepackt
und zur Bar entführt. Alles federleicht, selbst die Beine. Chapeau, Duncker!
Am folgenden Tag ist über die
Nacht zu berichten: Die nächtliche Wodka-Flasche aus dem Spätverkauf kaum
getrunken, dafür geburgert, was das Zeug hält. Vermutlich ging’s nicht ganz so
spät zu Bett.
Und über den Weg zum Bus
(Friedrichshain, Ecke H4- & o2World gen Duncker, Prenzlauer Berg mit der
Straßenbahn) ist zu berichten: Warum in Herrgottsnamen erlaubt man wahrlich
schrecklichen Kita-AngestelltInnen die Nutzung von privaten Handys im
öffentlichen Nahverkehr? Nicht an jedem Leben möchte man schließlich ungefragt
teilnehmen. Ist es nicht furchtbar genug, solcherlei erziehendes Krähengefüß
auf wehrlose Kinder loszulassen? Oder eben auf russische Doktoren, friedlich
dämmernd, das vor sich hin.
23. April 2009,
Hamburg/4rulesclub im Riff
Dorfpunks und indische Laufenten (177)
Leipzig unterhält wirklich kein
Brauchtum wie jede andere Heldenstadt. An dieser Stelle müssen wir das einfach
mal scharfblickig räsonieren! Kaum anderswo wird nämlich soviel auf einmal
gemacht, gebaut, aufgerissen und somit für den fahrenden Verkehr gesperrt. Wäre
man fanatischer Leserbriefschreiber, fänden die Abgründe diesbezüglicher, ja
erschreckender Klugheiten keine Grenzen. So stehen beide Doktoren zunächst
unerwarteter Weise frühnachmittags lange im heimischen Umgehungsstau, weil
umleitungsverdächtige Gemengelagen hier in etwa so funktionieren: Zunächst, im
Jahr 1, gibt’s neue Abwasserkanäle, in allen dann folgenden Jahren: neuen
Straßenbelag (2), neue Straßenbahnschienen (3), neue Erdkabel (4). Im 5. Jahr
beginnt die Malträtierung hütchenspielender Bauarbeiter wieder von vorn bei den
Kanalarbeiten.
Auf diese erlesene, epische
Verfehltheit fällt heute Regen, dem das Tourauto Richtung Schkeuditzer Kreuz
schließlich doch noch entkommt. Man fährt der Sonne entgegen, nach Hamburg.
Genauer: Nach Volksdorf, ein beschaulich grüner Stadtteil in dem der Film
„Dorfpunks“ gerade hochkonjunkturelle Früchte trägt. Im Begegnungstreff
Koralle, am Marktplatz. Darin verborgen befindet sich der heutige Auftrittsort
der Russischen Doktoren, das Riff. Um die Lupe noch etwas mehr zu wetzen:
Konzertiert werden darf in der kultigen Veranstaltungsreihe des 4rulesclubs.
Heute gemeinsam mit einer aufstrebenden, weil tourreichen, Hamburger Band unter
bulgarischem Stimmungsgemenge. Anderntags wird hier riffgejazzt und ge-Üt (Ü30,
Ü50 usw). Die abendliche Konkurrenz ist hart, das wird erwähnt. Irgendwo sollen
Mutabor spielen. „Nie gehört“, sagt ein Doktor zum anderen. Klingt aber lustig.
Wie Muff Potter. Oder Puff Mutter.
Beim Autoausladen ergibt sich ein
schönes Bild: Einige Volksdorfpunks verlassen geschlossen den Film Dorfpunks
und haben Tränen in den Augen. Showdown und Abspann müssen schrecklich traurig
gewesen sein. Hinein zum Döner um die Ecke. Pizza wird nicht mehr ausgeschenkt.
Das Schild müsse erneuert werden, sagt der Verantwortliche. Was soll’s. Im Club
herrscht noch Frieden, die kleine Theke ist
festlich gefüllt. Ilka sorgt für alles und ein wenig gästet es
mittlerweile durch den Raum. Die Hamburger Band spielt bereits schön und laut,
Doktoren harren der Dinge. Astra fließt dem Becks hinterher. Feinste, innigste
Momente der Gegenwart werden nur mittels zweier wankender Drogenkonsumenten
unklarer Genesen missbraucht. Einer trägt gar Fanartikel des heiligen FC St.
Pauli an sich, was zur schmählichen These hinreißen lässt: Nicht jeder Anhänger
deines favorisierten 2.Ligaclubs ist grundsätzlich angenehmer Natur. Nein, es
gibt überall Exoten, getrieben davon, dir ordentlich Essig in den Wein zu
kippen. Um es vorweg zu nehmen: Mitte des Sets streiken beide Doktoren in bester
russischer Bergarbeitermanier. Die Forderung lautetet: Die oder Pratajev? Mit
leichtem Gezerre - und dem speedkifftrunkenem Ruf nach „Arabien, Arabien“
entledigt sich das personifizierte Problem dankenswert von selbst.
Um weitere Dinge gleich mit
vorweg zu nehmen: Schöner Abend, kurzes Konzert, doch noch Zugaben - und selbst
den beiden älteren Menschen um die Ecke vorm Merchstand bleibt einfach keine
andere Wahl: Eine CD muss erworben werden, wenn nicht gar unerworben behalten
werden. Zurück bleiben Schnapsgläser, leer getrunken. Und als der Ilkabus gen
Schlafstätte ins Nachbarstädtchen rollt, bleibt ein Dankeschön für die
Einladung ins nachtdunkle Idyll, welches sich am nächsten Tag als
freischaffendes Paradies erweisen wird. Die darin handelnden Tiere sind: eine
Katze auf der Flucht vor einem hektisch schnatternden indischen Lauferpel.
Seine in einem mardersicheren Verschlag brütende, weibliche, indische
Laufentengeliebte. Einige Singvögel -
sobald auf dem Rasen gelandet, schon vom Erpel vertrieben.
Es scheint wie bei menschens zu
sein: Kaum wird das Männchen vom Weibchen vernachlässigt, wird es giftig und
beißt. Jene Quadratur findet sich selbst bei Pratajev wieder, im Lied vom
Bösen.
24. April 2009,
Rostock/Pleitegeier
Der Ostrockesel (178)
Sachten Tempos rauscht das
Tourauto, rauchen die Doktoren gen Nordost. Viel Zeit macht sonnige
Küstenlaune. Einer tankstellenreichen Bevorratung innerer und äußerer
Bedürfnisse folgt ostseekuckend das Örtchen Rerik. Seebrücke, Spuren im Sand,
Howard Carpendale im Ohr. Alte Menschen greisen umher, schnuppern Salzluft.
Ihre unwesentlich jüngeren, gesetzlichen Betreuer schieben erbreiche
Familienableger lustlos, strandwärts vor sich her. Ein kleiner Schups, schon
wäre man aus der Krise, mögen manche denken. Doch nein, Abwrackprämie hin oder
her.

Martins Rostocker Rolltor ist
pünktlich erreicht; das Auto herzt hindurch. Lange nicht gesehen, seit Wismar,
schon wird erschöpft (wovon eigentlich?) weich gesessen. Leichte Instruktionen
für das Abendkonzert im Pleitegeier um die Ecke folgen, dann ein erlauchtes
„Bis morgen“ - Martin muss zurück nach Niex, zur größten Party des hiesigen
Wochenendes. Russische Doktoren spielen dort morgen und Dr. Pichelstein folgt
Instruktion Nummer 1: „Im Kühlschrank steht Rostocker Pilsener“. Herrlich.
Augen zu und durch da. Auf der Couch, neben dem Kräutersammelbuch, dämmert Dr.
Makarios vor sich hin.

Jedenfalls startet das Konzert
gegen 20:30 Uhr, schnell muss es gehen, alle Songs sind auf maximale
Geschwindigkeiten geeicht. Das Publikum hat sich, im Vergleich zum gestrigen
Abend, um ein vielfaches lautstark gesteigert. Doktor Makarios jongliert sich
durch frühe Heimatlieder hin zum Tierliederblock; der ein oder andere Schnaps
wird zur Bühne gereicht. Danke! Lecker! Zugaben folgen, im Stockwerk drüber
wähnt man besagte Nachbarn vor Röhrengeräten, weißknöchrige Runzelfinger halten
sich an Bierflaschen vorm knallbunten Stammtisch-TV fest. Unweit der Telefone
mit der Kurzwähltaste zur 110. 22:15 Uhr vergeht, 22:30 Uhr bricht an. „Der
Abend ist gelungen“, noch mal raus zur „Schnapsbar“. Ein Wettlauf mit der Zeit.
Die Nachbarn drüber erheben sich geschlossen
- vielleicht gefällt ihnen das, was sie da mithören dürfen? Niemand wird
es je erfahren, Nachbarn zeigen sich schließlich nur beim Bäcker und in
Boulevardmagazinen live. Durch Sätze wie diese fallen sie darin auf: „Das hätte
ich nicht gedacht. Da wohnt man schon so lange hier. So eine nette Familie.
Immer ruhig gewesen, nie hat man Krach gehört. Und jetzt das, alle tot.
Schrecklich!“ Da halten sie gerne ihre Köpfe hin, für die brisanten Kameras der
Drehscheibe Deutschland.
Später futtern sich die Doktoren
durchs Chilliangebot, werden reich-, und trinkhaltig vom torpedoschnellen
Geierpersonal umsorgt. Ein Hauch von Niex liegt in der Luft, da wollen morgen
alle hin. Nur die Nachbarn nicht, denn – frei nach James Dean - wissen sie
nicht, was sie tun. Dann geht’s um die Ecke, zur Rolltorwohnung. Ein weiblicher
Ostrockesel mit seinem Fahrradkorb geht bei der Schlepperei zur Hand. Er weiß
viel über den Liedermacher Holger Biege zu berichten und über all die anderen,
vor denen sich Doktor Makarios musikalisch so fürchtet. Auf ein letztes
endemisches Bier, auf gleich, dann wird Niex sein.
25. April 2009, Niex/Party
2009
Prädikat wertvoll & voll nachhaltig (179)
Irgendwo im Raster zwischen der
A19 und A20, unweit Rostocker Hansekoggen gelegen, trifft man aufs
Ortseingangsschild Niex. Das Tourauto durchkurvt hernach wildes, braches Nutz-
und Weideland und gelangt schließlich ans Ziel der dritten Tagesetappe beider
Doktoren, dem örtlichen Schullandheim. Seit einigen Jahren steter
Partyleuchtturm schlechthin, Prädikat wertvoll & voll nachhaltig. Zwei
weitere Tagesetappen liegen da bereits in gefühlter, weiter Ferne.

Überschaubare Hunde beißen
Kindern Bälle weg, Martin führt übers Gelände. Große Bühne in der Scheune,
lorbeerverdächtige Theke darin. Im Innenhof scheint nicht nur die Sonne
herrlich warm, bald wird der gulaschkanonierte Grillfestteil lecker eröffnet.
Allerorten große Geschäftigkeit, Doktoren zischen Rostocker Pilsener und Lemon,
das Paradies muss ähnlich sein. Zumindest könnte es, so formatiert, als
highlige Vorlage dienen.
Drei Partyliveacts wurden
arrangiert; in der Poolposition: die Russian Doctors, soundgecheckt, bestens
versorgt - und welch wahre Freude ist’s wieder mal, gar monitorversorgt, vor
ganz großem Publikum zu spielen. Ohne jede Enge; selbst die Gitarrenkabel
schlangen ausgelassen übers Bühnenholz. Doktor Pichelstein geht’s besonders
schnellgut, mit jedem Bühnenschnaps steigt das Tempo. Das Set perlt durch die
Menge, kaum Zeit für längeres Saitenstimmen. Schließlich ist das hier
Speedfolkpunkrock; Biermann, Lakomy, Reinhard Mey und all die anderen
Sitzhockerspieler sollten bei den Doctors ruhig mal in die Lehre gehen.
Makarios resümiert des Öfteren Richtung Schnapsbar-Ausklang, doch nein. Zugaben
müssen folgen, sogar den „Tierarzt“ gibt’s live. Brüste beben, Schlipse
lurchen, viele Kinder direkt vor der Bühne, Mütter und Väter dahinter. Die
Mütter im Takt, die Väter mit wippendem Rostocker in der Hand. Jeder Schluck
ist ein guter, keine Frage. Und nach der allerletzten Schnapsbar wandert eine
Flasche echten russischen Gebräus gen Bühne. Schmeckt herrlich wie der Tag, der
Abend und die Nacht.
Jene welche wird ausklingen mit
nachfolgenden Bands - unter Zufuhr nicht mehr zählbaren Stehtischtrankes. Mit
einem Besuch bei der Gulaschkanone - dem Schlachtruf: Es lebe der Erbsbrei
- und einem verwirrend schönem Gefühl,
nennen wir es einfach: Niex.
12. Juni 2009,
Leipzig/Moritzbastei
Schwanger durch Döner (180)
Das ehrwürdige Gemäuer der
Leipziger Moritzbastei hält dem ewigen Dachregen nicht mehr stand.
Sanierungsarbeiten müssen her. Und da die Einnahmen und Fördertöpfe bestimmt
nur diverse laufende Kosten zu decken in der Lage sind, stampften die verehrten
Macher einen Benefizabend aus dem Boden. Motto: Trocken Rocken. Eine feine
Sache. Russische Doktoren sagten gerne zu, verzichteten auf Gagen und
Gästelisten.
Portugalgebräunt, fadogewürzt und
genesen durch Vinho Verde und Medronho, geht’s nach Dienstschluss ans Werk, zunächst durch die Stadt.
Es sebastianbacht allerorten zum jährlichen Feste; im VIP-Zelte am
Augustusplatz friert die Sponsor-Prominenz im Schafskälte-Look. Ja, wenn es um
Klassik in der Stadt geht, lassen sich die Schecks nun einmal leichter zücken.
Klassik ist die Droge der Larmoyanz. Das wusste bereits Charles Bukowski
damals, in den 70erm, sehr genau. Wir wollen sie gar nicht verurteilen, die
Freunde der sanften Muse - und auf ihren GEMA-Sünden herumtrommeln schon gar
nicht. Nein, Klassik darf bleiben. Als Sammelsurium einer betuchten Minderheit,
für die, nun aber Schluss damit, sehr viel unsinniges Geld ausgegeben wird.
Das heutige Doktoren-Konzert findet in der
MB-Ratstonne statt, gegen halb 10 soll’s los gehen. Ohne Intro diesmal, denn
kein DJ der Welt arbeitet mit CDs, logisch eigentlich. Und selbst der
Mischpultmann kennt nur USB-Sticks. Am Trocken-Rocken-Bratwurstgrill vorbei
schieben sich die angesnackten Körper der Besucher langsam durch die Türe nach
innen. Ganz groß – Abordnungen der Pratajev-Gesellschaften Karl-Marx-Stadt und
Frankenberg sind darunter. Doktor Schnittecht, nebst Buchhalter, kam aus
Dresden angereist und erzählt gleich mal Geschichten aus der Neustadt. Etwa die
von dem Dönerladen mit der festgestellten, arg erhöhten Einweißkonsistenz im
weiß-milchigen Knoblauchsaucenvorrat. „Schwanger durch Döner“. Eine tolle
Schlagzeile. Nur, ob sich Frauen jemals einen Döner aus der Dresdener Neustadt
einführen lassen würden? Wer weiß das schon? Wir reden hier immerhin von der
Dresdener Neustadt.
Wie dem auch sei. Das Konzert beginnt und
schlagartig löst sich der Fado-Knoten beim Doktor Pichelstein. Kleine, rote
Augen, grelles Licht, wirres Haar, weißes Hemd an rasanter Besaitung. Sieht
alles etwas gespenstisch aus. Doktor Makarios dagegen: ganz in schwarz neben
den Monitoren, am Mikro, Pratajev im euphorischen Sinn. Und so geht’s Konzert voran,
die Ratstonne füllt sich beachtlich. Im zweiten Konzertsaal, der VT, scheppert’s
anderweitig. Veranstalter & Trockenrocker dürften mit dem Abend schon jetzt
mehr als zufrieden sein. Aufs Dachs der Moritzbastei wird getrunken, was die
Flaschen und Gläser hergeben; nach zwei Zugabeblocken lässt man die Doktoren
gehen. Platz für die nächste Combo aus Salsa und swingendem Getöse. Doktor
Pichelstein hört sich weitere, spannende Geschichten aus der Dresdener Neustadt
an. Doktor Makarios versorgt den konzertgeschwächten Orkus mit flüssigen
Elektrolyten.
Vielleicht hier noch die Geschichte von der Kiste
Hanfbier: In der Neustadt zu DD braute ein Braumeister namens Lenin bis vor
kurzem Hanfbier. Die hiesige Gesundheitskontrolle verhängte – nach
einhergehendem Laboratorium – allerdings ein Verbot der Mixtur. Warum? Nun,
wenn man 24 Flaschen Hanfbier am Stück und in rascher Folge trinken würde, so
das erstaunliche Gutachten, wäre man berauscht. Und zwar vom Hanfgehalt des
Bieres. Von was auch sonst. Wir verstehen das und trinken lieber weiter nach
dem Reinheitsgebot Pratajevs.
26. Juni 2009,
Dresden/Gare de la Lune (Elbhangfest)
Mehrzweckhosen am Welterbe-Trauertag (181)
Ach, diese Rockys. Immer wieder
eine große Sache. Denn wo die Rockys sind, da ist die plörrende Vita-Cola-Elbe
schwarz wie einst. Da fahren schwule Dampfer mit dem Namen „Leipzig“ drauf und
aus dem „LAS-Ketchup Song“ singt Olaf Schubert am Schlagwerk hanebüchen schön,
wie Männer sich mit Frauen durch Geschäfte schlagen. Und was Männer dabei
wirklich denken. Nämlich, hier kommt der Refrain: „Sie sagt Hätähätähätähätä….“
Ja! Beide Doktoren hinterm Open-Gare-de-la-lune-Mischpult freut’s arg. Getränke
fließen vorbei, die Klosterfrau verschenkt cremigen Schnaps und die Elbwiese
tost unter vorbeirollenden Bierfässern. Der Strom ebbt gar nicht ab; die Masse
hat Durst und bleibt sogar wirklich trocken. Obwohl im ganzen, restlichen Land
alle Junikäfer nass werden. Ein wissmutiger Kamenz-Schuhdiver, stark gepierct
von Kopf bis Scrotum, hatte es vor Beginn der Bert-Rock-Show noch eilig. Führte
ein Diktiergeräteinterview mit Makarios & Pichelstein in bankbreiter
Klonähe. Es ging, wie immer eigentlich, um S.W. Pratajev, den großen,
russischen Dichter. Hat er denn tatsächlich gelebt? Aber natürlich hat er das.
Wer’s immer noch nicht glaubt, der besuche den nächsten Pratajev-Kongress im
September zu Dresden, im Zschonergrundbad.

Der Mischer tont sich rasch
durchs Equipment, das Intro läuft nach wenigen Minuten und los geht’s mit dem
Rotarmisten im Keller, der nach zwei Stunden immer noch nicht wieder
aufgetaucht ist. Zweiter Zugabeblock, dritter, dann geht’s nicht mehr. Doktor
Pichelsteins Finger befinden sich im Bergarbeiterstreik und wollen mit roter
Fahne zur Schnapsbar marschieren. Doktor Makarios’ Stimme wird langsam
schlupfhörig – es war ein langer Tag und es kommen noch ein paar Stunden. Auf
geht’s mit dem halbgähned leeren Merchkoffer, über die Wachwitzer Kirmes, zur
Grottenwirtschaft. Dort soll sonntags gespielt werden. Lang ist’s noch hin und
Henrik schürt’s Feuer im wunderfeinen Elbegarten. Eine letzte belegte Schnitte
gibt’s für die Zeit bis zum Pensions-Frühstück. Wirt Dr. Große wird’s später
richten - und beide Doktoren werden die weichen Eier kalt werden lassen.
Eieiei.
28. Juni 2009
Dresden/Grottenwirtschaft (Elbhangfest)
Eines jener Radrennen im Geiste Tutukins (182)

Vom Gare de la lune über die
Wachwitzer Kirmes, zur Grottenwirtschaft, will das Tourauto mit dem
Live-Equipment drinnen. Eigentlich eine knappe Sache von Sekundenbrüchen, doch
nicht am heutigen Sonntag. Dabei sind es gar nicht die um diese mittägliche
Uhrzeit herumstromernden, angesäuselten Dresdener Graulocken. Gut, es wird, wie
in jedem Jahr, vereinzelt auf das Leipziger Nummernschild geschimpft. „Ihr habt
hier nicht zu fahren“, rufen Rentner am Stocke. Und: „Leipzig, hau ab mit dem
Dampfer“. Das ficht Doktor Pichelstein alles nicht an. Rentner müssen so sein,
sonst wären sie keine. Es gibt aber auch liebe, die ihre letzten
Energiereserven zum Beispiel den Russian Doctors widmen und frenetisch jeden
Pratajev-Song beklatschen. Oft schon erlebt! Dann aber steht vor den
Absperrgittern ein Security-Blasebalg. Nun gut, ein Anruf zur Grottenwirtschaft
und schon fegt der heute wertvollste Radfahrer des gesamten Elbhangfestes
zöpfelnd herbei. Blasebalg lässt zähneknirschend passieren. Der Mann auf dem
Rad ist heute sein Chef.

Dazu muss gesagt werden, dass es
bei keinem Russian-Doctors-Konzert eine ungefähre Liedfolge gibt. Auf den
Setlisten steht immer nur ein leiser Hauch von Ahnung, was eventuell kommen
könnte. Doch Doktor Pichelstein wäre nicht Doktor Pichelstein, würde er’s nicht
galant meistern. Bis über den 2. Zugabeblock hinaus, im Sog des nassen, weißen
Bühnenhemdes. Während vom Merchstand her Rekorde im Veräußern von Tonträgern
und Büchern gemeldet werden. Beeindruckt und geschafft geht’s heim. Ganz ohne
Dampfer und sehr froh ist jeder, der nicht selbst fahren muss. Elbe und Asphalt
schwanken schon beachtlich.
01. August 2009
Pirna/Hutbühne (Hoffest, 20:30)
Sonnenkollektoren für Dr. Pichelstein (183)
Das Leben ist kein Fernsehgarten,
liebe Freunde des Tourtagebuches. Selbst Ilona Christen kam
neulich darin um. Sturz und Blutvergiftung. Vielleicht war das Blut von Ilona
Christen ja auch sturzbetrunken. Wer weiß? Beim Radio-Abhören dieser durchaus
schockierenden Nachricht sind beide Doktoren schon ein gutes Wegstück
vorangekommen. Am Autobahnrande brennen erste Autos, vielleicht sind’s gar
französische, und machen auch sonst eher schlapp, denn große Sprünge. Wie gut,
dass es den Tourbus gibt. Fährt zwar nur 120 km/h, trägt voller Stolz seit
neuestem indes eine rote Umweltplakette und ist auch sonst bestens bestückt.
Auf der Rückbank weht kein Lüftchen, vorne glimmen die Flüppchen. Zin-Gitarrist
Vincent stattete am ARTigen Proberaum vorab Dr. Pichelstein mit
Sonnenkollektoren aus. Damit er noch schneller in die Saiten schlagen kann.
Wenn das kein gutes Omen ist, eine tüchtige Triebfeder heutiger
Geschichtsschreibung.
Es ist bald 18:00, als beide
Doktoren zum Anliefern diverser Musikpräparate in der Pirnaer Langen Straße
eintreffen. Die Sonne prallt zuckersüß vom Himmel, lässt alles unter sich
zerschmelzen. Schleim am Arm verteilt sich bedenklich und das Team der Hofnacht
zapft sich am Bierhahn einen gefährlichen Rüsselhund. Dr. Pichelsteins
Sonnenkollektoren sind aufgeladen; halb Pirna könnte er heute versorgen. Aber
niemand will sich so recht mit den örtlichen Stadtwerken anlegen. Wo doch schon
die hiesige, ganja-grüne Beschützerei in keinem guten Hofnacht-Rufe steht.
Bisher kamen sie zu jedem Fest, was vielleicht mit den Russian Doctors zu tun
haben könnte. Dann steht die Bühne nach kleinem Soundcheck, Doktor Makarios
sieht aus, als käme er direkt aus einer Hemden-Sauna. Doktor Pichelsteins
erstes Halbgott-Abend-Shirt muss streng in die Wäsche. Doch nein, dafür reicht
die Zeit nicht aus. Im gesunden 10-Minuten-Rhythmus trottet es sich
ausgezeichnet gen Theke ins Ebengeschoss. Veitstänze führen dort die ersten um
eine holzbefeuerte Soljanka-Pfanne auf. Ja, und da kommt er, der Kuchen. Frisch
aus dem Ofen, doch nein, erst muss gespielt werden, worauf langsam gedrängt
wird. Im schwerlichen Bühneerreichen, voll ist’s und kein Durchkommen gilt
mehr, nimmt Doktor Makarios Fahrt auf und einige Spezial-Wünsche entgegen. „Die
Geburt“ soll gespielt werden und vor allem „Der Tierarzt“.
Intro ab, los geht’s, die
Sonnenkollektoren leisten dankbare Arbeit. Doktor Pichelstein schlägt Michael
Phelbs um eine Schlagarmlänge und Herrn Biedermann (was für ein Name für einen
schwimmenden Papst-Hooligan) um eine runde Bauchlänge. „Die Geburt“ kommt zum
Zuge und jener Jungpionier, der sie sich wünschte, weiß selbst nicht genau,
warum. Doktor Makarios richtet ergo die Frage an die betreffende Kindsmutter
weiter: „In dem Text heißt es doch gleich: Das Fohlen kommt nicht aus der Stut,
das Kind quer aus der Frau… was möchte Dein Sohn uns da sagen?“ Nun
denn, wie es immer heißt, wenn es rasant weiter geht. Schweiß tropft
Gitarrensaiten rostig, im Lipgloss der Damen spiegelt sich bereits die
untergehende Sonne. Hackepetra und Hackepeter hören sich unten johlen. Pirna
erwacht in grauer Nacht, die Spots malen die Hofnacht hell und nach zwei
Stunden endet das erste Konzert in visueller Üppigkeit. Bis gleich, bis später.
Auf an die Schnapsbar.
02. August 2009
Pirna/Hutbühne (Hoffest, Geisterstunde)
Tote Oma zum Frühstück (184)
My-Space-Freundin „me…“ und alle
anderen, die das erste Konzert nur halb mitbekamen, respektive gar nicht,
pfeifen beide Doktoren zurück auf die Bühne. Nichts da, Schnapsbar andauernd.
Spielen! Gesagt getan, dann mal los. Es wird ein halbes Set, denn genauso voll
sind nur noch die Sonnenkollektoren des Dr. Pichelstein. Das weiße Hemd klebt
wie Uhu-Allesfest am Orkus, vom Innenleben der schwarzen Langhose wollen wie
nie mehr sprechen. Erste Tropfen erreichen daraus Schuh’ und Strümpf’. Mario am
und unterm Hut, gefühlter Präsident der Freunde von Einsiedlerbräu e.V. (oder
wie das heißt), tröstet sich über die Abwesenheit der Gattin mit „Beim Bücken“
oder „Der Abend ist gelungen“ bereits zum zweiten Mal gefasst hinweg. Ach, wäre
sie nur da. Aber beim nächsten Mal in der Gegend, beim Pratajev-Kongress im
Zschonergrundbad, soll es so sein. Viele Grüße an dieser Stelle. Dann geht
nichts mehr, die nächste Schnapsbar brennt und auf geht’s erneut zur
Pirna-Medizin in kleinen Plastebechern.
Am nächsten Tag, vorm Himmelbett
der Pension Donatus, stauben die Stimmen schwer, Doktor Pichelsteins
Fingerpartien gleichen einem Blasentrümmerfeld. Andrea Kiewel heißt die aktuelle Moderatorin des ZDF-Fernsehgartens;
beide Doktoren schauen in die Ferne und sehen einer Gast-Oma zu, die mit 85
noch dazu genötigt wird, ihre schwerkalibrige Sonnenbrille abzusetzen. „Meine
Güte, da sind ja kaum Falten!“, bellt Frau Kiewel aus dem Flachbild heraus.
Immerhin – diese Oma lebt noch; als beide Doktoren das festlich gedeckte,
sonntägliche Hoffest-Frühstück erreichen, liegt im dampfenden Blechnapf eine
andere Oma im Sterben. Und wird sogleich lecker aufgefuttert. Tote Oma gibt es
zum Frühstück. „Lecker! Ich überwinde ein Schulspeisungstrauma“, wird gerufen.
„Ich auch“, hallt es schlabbernd durchs Haus. Einer bestellt sich noch einen
Teller, der Koch wird rot vor Glück.
Aber was, so denken viele in der Runde, wenn die
Tote Oma wieder auferstehen möchte? Hier, bei Tisch? In diesem Sinne auf nach
Hause; Doktoren trollen sich verabschiedend und sagen tausendmal Danke für
alles und schwitzen gen Leipzig noch jede Menge Schnapsbier aus. Kreislauf,
lauf - und mach’ nicht schlapp. Die Überholspur wird zum Usus, denn auf den
rechten Rillen tritt seit ewigen Kilometern ein komplettes Enten-C4-Treffen die
Heimreise an.
22. August 2009
Lengenfeld/Schützenhaus
Wer Andrea Berg hören will, geht lieber nach nebenan (185)
„Mein Doktor, es geht ins
Vuchtlond“, versucht sich Makarios bereits während der Hinfahrt am Vogtländer
Dialekt. Der Bus zieht Kreise, die Bundesligakonferenz lässt nicht auf sich
warten und Mainz 05 siegt gegen den FC Bayern mit 2:1. Bergig, hügelig, wellig
wird’s; der sächsische Teil des Vogtlandes mit seinen spektakulären Feuerwehrfest-Plakatankündigungen
scheint via A72 erreicht zu sein. „Stanislaus Tillich“, wie er inbussig
umbenannt wird, droht andernplakates mit „Der Sachse“. Meine Güte, wie einem da
schaurig-königlich um die russische Seele wird. Nebenan äugt Frau Merkel mit
„Wir haben die Kraft“ aus der Pappe hervor und das blonde Mandy- oder Cindygift
von der FDP sagt besser gar nichts. Außer: „Sachsen!“ Eingepresst ins
Freizeitdress, ganz wie Juraboss Guido ins westerwellende Dellengesicht. Bald
sind Landtags-, danach Bundestagswahlen. Kurz wird man daran erinnert, dass
Demokratie ist. Danach herrscht wieder Ruhe im Karton und die
Blitzlichtgewitter beschränken sich aufs Wetter. Ebenda gehören sie hin.
An jener Stelle, wo sonst die
Schützengesellschaft Lengenfeld von 1708 ihr zweifelhaftes Unwesen treibt,
bestimmen am heutigen Tag zwei Festivitäten das Leben von glücklich
Eingeladenen nachhaltig. Im großen Saal wird gehochzeitet. Im kleineren,
feineren, gleich nebenan feiert sich ein 60. Geburtstag bei Warmbuffet, an der
Schnapsbar, in bunter Runde von Mann zu Frau und Kind zu Oma. Doktoren tragen
ein wenig Gerätschaft in den Raum, werden indes gleichwohl immer wieder zur Bar
beordert. Noch ein Schnäpschen, ein Gläschen dies und das, ein Hoch auf die
Geburtstagsgönnerin Margitta. Und bei Tische darf getafelt werden, bis kaum
noch etwas hineingeht. Satten Bauches also kurz und gut zum Kulturprogramm.
Eines gibt’s ab zehn Uhr, eines zwei Stunden später. Mutters Hendrik wird
dahingehend älter, nur nicht runder. Darauf einen Kümmel zum Geiste.
Das erste Set spielt auf zur
unerschrockenen Ruhe, Beifall gibt’s hernach und unglaubliches Staunen.
Pratajev sorgt für ordentlichen Saalfuror; die Hochzeitsgesellschaft nebenan
besteht auf geschlossene Türen. Worauf dem DJ, im Beipackprogramm der Russian
Doctors, augenblicklich einfällt: „Wer Andrea Berg hören will, geht lieber nach
nebenan“. Ja, die Andrea, unsere doppelbergige Schlagerqueen. Zeit vergeht im
Trunk; von weitem schallt bereits wieder der DJ von der Höh’: „Und gleich noch
einmal, die Russsssian Tocktooooors“. Maurenpünktlich beginnt das 2. Set mit
der Uraufführung von „Angler in der Dämmerung“. Margitta wird davor für die
nächste Zeit von täglich’ Freunden eine Reise gen Barcelona geschenkt und bis
zur harten Wirtin in der Parkgaststätte, 08485 Lengenfeld, brennt allen
weiterhin genügend Licht, um die Gläser reichlich zu befüllen. Dann dünkelt’s.
Als erstes droht Doktor Pichelstein der Stuhlschlaf; sanften Mutes weckt man
ihn, führt ihn aus dem Saale hinaus ins Freie. Über Baustellen, durch den
hundertjährigen Park, hinein ins Lotterbett auf einen dankbaren Schnarch.
19. September 2009
Schwerin/Zeppelin
Als das Wasser kam (186)
Schwerin wird heimgesucht. Es
blühen die Blumen und verwelktes Volk macht sich busweise übers weite Geblühe her.
So geht Bundesgartenschau nun einmal; der örtliche Antennensender lässt sich
derweil auch nicht lumpen: Mit schäumend preisverdächtigen Slogans wie: „Bei
uns tanzen sogar die Blumen“, werden beide Doktoren im Tourauto begrüßt.
Aufpassen muss Doktor Pichelstein, dass er bei erlaubten 30 km/h nicht in einen
Rollator rast.



Besagtes Schnitzel will vertilgt
werden, hernach bedarf es einer ganzen Standarte von Kräuterschnäpsen, um
verdauendes anregen zu können. Um es nicht unerwähnt zu lassen: Im Zeppelin
schnitzeln sich auch XXXL-Versionen. Wer es schafft, diese vermuteten 3 Kilo
Panadenleckerlis stante pede in sich
hinein zu schaufeln, muss hinterher nichts dafür bezahlen. Für diverse Euronen
wird ebenso ein Eimer Schnaps feilgeboten. Die Betonung liegt hier auf: Eimer.
Und einen 5-Kiloburger aus der Nähe zu betrachten, ist beileibe durchaus
interessant.
Satten Bauches, kruden Ganges
will die Bühne aufgebaut werden. Wie gut, dass der Lange vorab bereits in
dieser Disziplin recht fleißig war. Ein paar Kabel klicken sich bereit, der
Soundcheck ist eine Wucht, und draußen wollen die ersten nach drinnen. Bis zum
ersten Startintro dauert’s derzeit eine Schnapsbar-Weile; Hotte schaut mit
Doktor Pichelstein tief ins Glas und definiert „Fotografie“ in kleinstem
Seminar. Restlich erschöpft beginnt schließlich eines dieser Konzerte, das sich
fast von selbst spielt. Makarios stellt Pratajev bereits zum 2. Mal im Zeppelin
vor; voll ist’s wie beim 1. Mal, laut und prächtig. Was für ein Anblick. Doktor
Pichelstein rammt von Zeit zu Zeit den Lichtmast, was indes einigen
Kräuterschnäpsen geschuldet sein könnte. Geradeso erklären sich unweigerlich
ein paar Gitarrenaussetzer, aber sei’s drum. Dann wird eben ein bisschen
schneller gespielt. Merkt keiner.
Und plötzlich gibt es Wasser.
Irgendwann, zwischen Fetisch-Songs und Heimatliedern stellt buchstäblich-tatsächlich
die technische Flink-Begleitung des Langen zwei volle Gläser Wasser auf die
Bühne. Hinterher wird sie sich rausreden wollen: „Das ist doch so üblich und in
Schwerin trinken alle Musiker Wasser auf der Bühne“. Weit gefehlt. Heute sind’s
Russische Doktoren und die waschen sich damit bestenfalls. Na gut, das klappt
im Verlaufe der Schwerin-Reise eher weniger, ist aber eine ganz andere
Geschichte, die wiederum mit der Bundesgartenschau zu tun hat. Aber wir können
sie gerne vorziehen:
Im letzt verfügbaren Zimmer der
Pension Eckhaus liegen beide Doktoren gegen 7 Uhr früh, tags drauf, in den
Pritschen. Ein Doktor nach dem anderen weiß nicht so recht, wie er hier her
gekommen sein soll. Ein Klo gibt es nicht, kein Wachbecken, keine Dusche. Was
wird in solchen Situationen vorgezogen? Genau. Man pullert in den Garten.
Doktor Makarios geht voran und schon schreit der Eckhaus-Nachbar: „Ich weiß ja
nicht, wo Sie herkommen…“ Ungerührt wird das strahlende Werk dennoch, unter
dröhnender Schimpferei, zu Ende geführt. Ganz aufgebracht steht der
Pensionsnachbar im morgendlichen Feinripp auf dem Erdgeschossbalkon und kriegt
sich nicht mehr ein. Von dieser Art dröhnenden Gezeters vollends geweckt,
stapft Dr. Pichelstein hernach ins Freie und nimmt gerade Position ein, an der
Mauer unterhalb des Balkons, als die Schimpfkanone, diesmal noch eine Spur
fassungsloser, zur Höchstform aufläuft: „Ich kipp Ihnen gleich einen Eimer
Wasser auf den Kopf; das ist die Höhe, nee, wo Sie herkommen, wo ist das?“
Doktor Pichelstein antwortet wahrheitsgetreu: „Aus der Pension. Das Klo ist
abgeschlossen“. „Das glaub ich ja jetzt nicht…“ Der Mann ist dem Herztod sehr
nahe und droht erneut mit dem Eimer Wasser. Doktor Pichelstein ergreift die
Flucht in den Frühstücksraum; dort, um die Ecke, befindet sich tatsächlich eine
Ablass-Stätte. Endlich in Sicherheit. Ja, die Bundesgartenschau mit ihren
Graulocken. Alle Zimmer mit Klo und Dusche wurden diesbezüglich okkupiert. Das
verdient Strafe und der nächste, der sich bei Doktor Makarios unrühmlich beschwert,
ist so eine graue Locke: „Na vielen Dank, dass ich die ganze Nacht nicht
schlafen konnte bei ihrem lauten Organ“. Solche Laune kommt vom vielen
Blumengucken. Ganz bestimmt und keine Frage.
Nach dem Wasser-Fauxpas im
Zeppelin enthalten die Gläser nun eine hochkalorische Schnapsmelange; der
zweite Konzertblock beginnt und endet in diversen Zugaben. Aller Sound hat
trunkene Fleißbienen verdient; der Lange ist wahrlich ein Genuss am Pult. Gerne
hätten beide Doktoren theoretisch weitergespielt. Aber am Ende schwächeln dann
doch die praktischen Kräfte ein wenig im Sog aus langer Fahrt und
Schnitzelschnaps. Im Schwitzehemd steht Doktor Pichelstein vorm rauschenden Zeppelin
- und freut sich auf eine verdiente Dusche echten Wassers.
25. September 2009,
Dresden/Zschonergrundbad
Mit Schnaps und Weibern dem Morgenrot
entgegen (187)
Eine ausführliche Depesche zum X.
Pratajev-Kongress
Wir
schreiben den 25. September 2009. Nach unzähligen Vorbereitungsorgien, letzten
Telefonaten mit dem gesetzten Moderator Max Reeg (Der MDR lässt mich nicht weg
aus Halle – es kann nur ohne mich laufen), startet der bis unters Dach beladene
Tourbus ab Leipzig gen Dresden, zum Luftkurort Zschonergrundbad. Die Sonne gibt
sich redlich Mühe, blendet wie trockenes Heu auf einer Miloproschenskojer
Mistgabel, Kälte-Sänger Shiva hält Kurs. Saitenfachmann Gabor passt mittels
energetischer Zurufe nach vorne auf, dass das ja so bleibt. Pünktlichkeit ist
sehr gefragt, auch wenn die boxenpassende PA-Endstufe friedliebend im
Die-Art-Proberaum zurückbleibt. Dr. Pichelstein besitzt ein weniger belastbares
Gerät zur Aufnahme diverser Endgeräte-Bühnenstecker, nun gut. Später, beim
Prumskibeat-Auftritt wird es livehaftig zum Ersatzeinsatz geschickt, vorgesehen
war es eigentlich für die Lesebühne. Mikros mag das Gerät, fette Gitarren und
dichte Einspieler eher weniger. Zum Zeitpunkt des Soundchecks, beim ersten
Nachmittagsbier, weiß das aber keiner so genau.
Doktor
Gerd, Hauptwirt des Zschonergrundbades, sorgt mit seiner grundgütigen
Thekenschaft dafür, dass nichts aus dem Rahmen der Speisen und Getränke fällt.
Schon blubbert die Soljanka, rechtzeitig
dampfen die Pelmeni, Brote flutschen wie geschmiert auf silbernen
Tabletts herum. Der Vodka zeigt
Nachttemperaturen. Später lässt sich die Pratajev-Forscherin „me…“,
unterstützt von Myspace-Sir Disorder, darob
zu folgender, papierner Aussage hinreißen:
Sto Gramm
zum frühen Morgen
Sto Gramm
zur Mittagszeit
Sto Gramm
zu jeder Stunde
Rein
damit, in meinen Kopf hinein
Und danach
frag ich mich:
Das soll
Janka sein?
Um dem
Abschnitt späterer Spontandichtungen im Publikum noch mehr Auftrieb zu
verleihen, dürfen diese Zeilen (wir fanden sie kurz vom Aufbruch in die pensionierte
Herberge, beim Allerlei-Sammeln) nicht fehlen:
Das Dresdener Kriechmädchen
Wohl ist
ihr völlig gleich
Nach Hause
zu kommen
Das
Dresdener Kriechmädchen
Hört die
Musik
Sie hört
die Bässe
Mitten in
der Nacht
Russian
Doctors haben sie um den Schlaf gebracht
Der Sound
ist neu und die Texte sind genial
The
Russian Doctors
Zum
allerersten Mal
Womit
bewiesen sein dürfte, dass Dresdener Kriegsmädchen auf dem Kongress weilten,
ausgebombt und durstig. Spricht und schreibt der Dresdener doch kein „g“ - alles klingt irgendwie gerne nach „ch“, nü?
Begrüßt wird weiterhin erst einmal Pratajev-Verleger Andreas Reiffer und wäre
die Klosterfrau mit Ukrainischem Vodka etwas früher um alle Großenhainer Ecken
gekommen, wer weiß, ob die damit flüssig Gefütterten hernach in der Lage
gewesen wären, treppab das Kongressinnere je zu erspähen? Doch nein, mehr als
zufrieden darf die Pratajev-Gesellschaft mit der Besucherscharf bereits früh am
Abend sein. Noch ehe Doktor Makarios, nach und bei erstem Liedgut der Russian
Doctors, die Feierlichkeit eröffnet, finden sich 80 Kongressteilnehmer auf den
akribischen Einlasslisten unserer verehrten Frau Dr. Manjoschka Gnatz wieder.
Gesamt sollen es um die hundert Besucher gewesen sein. Und im Leseblock, dem
ersten, begrüßt Doktor Pichelstein moderatorisch das Haus aus Stein. Mit ihm
seine vielen anwesenden Forscher und Forscherinnen aus aller Welt. Aus
Karl-Marx-Stadt, Münster, Berlin, Soltau, Wismar (Preis des „Weitesten
Kongress-Weges“: Ein Schnitzwerk aus dem ukrainischen Marianowka), Halle u.v.m.
Die Jury für den Rüsselhundmalwettbewerb
wird derweil bestimmt und Dr. Eademakow übernimmt den Rundtisch für neuste
Berichte aus der Pratajev-Berlin-Forschung.
Draußen,
unterm Zelt Richtung Schnapsbar, steht wenig später ein indoktrinierter Raucher
aus Leipzig, nicht aus Bolwerkow. Doch genau diesen Stand treiben ihm alsbald sämtliche anwesende Kongressteilnehmer ergreifend aus –
lange, viel zu lange hat es gedauert. Die Pratajev-Bibliothek im Reiffer-Verlag
machte es möglich, harrte energisch verzögerten Texteinreichungen hinterher,
strengte sehr und dafür leuchten jetzt die allermeisten Augen. „Der Raucher von
Bolwerkow. Pratajev III – Das große Lesebuch“ liegt wie kostbare Froschbutter
in den Händen des Doktor Makarios. „Pratajevs Briefe an seinen Verleger
Wallgold“ ertönen zum Gehör und mit dieser Buchpremiere beginnt der erste (von
vielen, unendlich vielen) Höhepunkten des Kongressabends. Die Auswahl
premiumverdächtiger Rüsselhunde steigt derweil an, ebenso rätselt mancher überm
„Löffel-aus-Holz-Quiz“. Aber mal ehrlich? Hätten Sie alles gewusst? Erster bis
dritter Preis: Ein handgeschnitzter Löffel aus ukrainischem Bergzedernholz.
Wann
und wo wurde Pratajev geboren?
O 12.09.1902 in Miloproschenskoje
O 02.10.1903 in Loptschevsk
O 02.09.1902 in Kurtschinsk- Robersk
Wo
lebte Pratajevs Plagiator Uschakow?
O innere Mongolei
O äußere
Mongolei
O
im Uralgebirge
Welchen
Beruf übten seine Eltern aus?
O Krankenschwester und Wirt
O Kuhbürsterin und Heilkräutersammler
O Melkerin und Waldarbeiter
Welche
Tätigkeit übte Pratajev nicht aus?
O Karusselführer
O Hilfszahnarzt
O Holzschnitzer
Aus welcher Schaffensphase Pratajevs stammt dieses, durch
die Band Prumskibeat später vertontes, Gedicht?
Schere
aus Stahl
Schere
aus Stahl
gerührt
von schwieliger Hand
Mütterchen
Iwanowa
fährt
als Frisöse
übers
Land
O
Pratajevs Sorgenphase
O
Die Miloproschenskojer Phase
O
Pratajevs Gottesphase
Von
welchem Gedicht Pratajevs ist hier die Rede?
O
Jeder Schluck ist ein guter Schluck
O
Gelber Schnaps
O
Schnapsbar (hier hab ich gelegen)
Das Gedicht ??? wurde kurz nach
seinem Abdruck in der Literaturnarja Gazieta verboten, da es das Saufen und
illegale Selbstbrennen von Schnaps verherrlicht. Nichtsdestotrotz rezitierten
die Männerrunden mit Vorliebe dieses Gedicht, besonders, wenn Iwan Petropowow
in der Nähe war. Petropowow war 5 Jahre Vorsitzender des Dorfsowjets von
Garbulje und hatte das Verbot verfügt. Ironischerweise starb Petropowow 1959
nach einem Saufgelage, als er auf seinem Wege nach Hause in die offene
Klärgrube der Familie Rymov (Garbuljer Linie) fiel.
Unter
welcher, durch Pratajevs Medizinisches Fachwissen, entdeckter Krankheit litt
der Traktorist Igor Rymov?
O
Pferdelunge
O
Lungenschizophrenie
O
Pneumowade
Nun. Die Klosterfrau,
Mönch Markus, Frau N. nebst Lars dem I. bekommen ihre Grützenlöffel je später
der Abend dahinfließt. Fließend erweist sich nach Makarios‘ Lesereigen
ebenfalls der Beitrag der Kapelle Prumskibeat. Anfänglich umrahmt von
Endstufen-Unpässlichkeiten scheppert’s hart und unnachgiebig durch’s gesamte
Tal des Luftkurortes: Väterchen Frost, Als das Eis kam, Schere! Aus! Stahl!,
Reg dich nicht auf… Die Wagner-Brüder Oppenheim und Baldowski geben und spielen
wie immer: alles. Dr. Pichelstein ergänzt hartsaitig und nach 35 Minuten gibt
es Pausensnacks. Erste Ausfallserscheinungen und Schwächezustände betagterer
Kongressteilnehmer werden derweil mit Schnaps und Suppe versorgt.
Bevor es
zum vornächtlichen Kulturbeitrag der „Kälte“
kommt, spricht Dr. Dominik Irtenkauf im Lesebühnenrund über Pratajevs
Georgien-Zeit. Unlängst forschte der Münsteraner Philosoph und
Lebenshilfebringer dortselbst; Teile des dargebotenen Beitrages finden sich in
den Häusern aus Stein wieder. Das Publikum ist ergriffen. Georgien, das sonst
so verschmähte Willi-Land, schien bisher nur aus Fußballern solch zweifelhafter
Mannschaften wie dem Karlsruher SC, dem FC Freiburg oder Energie Cottbus zu
bestehen. Dachte man. Anders ist es. Georgien macht nämlich auch in Wein! Es
füllt seine Rebenerzeugnisse sogar in Steinflaschen. Stichwort: Preisverleihung
des großen Rüsselhundmalwettbewerbes: Dritter Preis: Lady Bright, anders
gesagt: Katja Götze: Eine Flasche Drachenblut aus Zwickauer Katze. Zweiter
Preis: me..., anders gesagt: ASto jun: 40 %iges Schnapsrasierwasser. Erster
Preis: Frau Dr. Manjoscha Gnatz: Eine Flasche Wein aus georgischem Stein. Grenzenloser
Applaus, Tusch und Hurra. Betrachten Sie selbst:

Shiva und
Gabor spielen ein wahrlich fulminantes Set aus Traum und Wirklichkeit. Beide
Wagner-Brüder schwelgen mit Doktor Pichelstein dabei in den heiligen
Plattenschränken der 80er. Dann rauf mit den Doctors auf die Bühne, Pratajevs
Lieder spielen. Den „Gelben Fettfrosch“, die „langen Haare“ und als der „Angler
in der Dämmerung“ gerade zu Ende gesungen ist, dreht die hiesige Volkspolizei
dem X. Pratajev-Kongress allen Bühnenstrom für immer ab.
Es ist
eben immer und überall wie früher und einst beim großen Dichter S.W. Pratajev.
Doch da keiner der Polizisten eine Pavlowitsch-Pistole zieht, beginnt die tiefe
Nacht mit dem Ende des Abends und dem allerletzten Programmpunkt: Nachwanderung
zur Pension. Nicht alle kommen beschwerdefrei an. Mit Schnaps und Weibern geht es dem Morgenrot entgegen und das
Hellsing-Girl ruft ein ums andere Mal: Ich geh‘ nicht einen Schritt weiter…
26. September 2009 Torgau/Brückenkopf
In den Wahlkabinen von Dolly Buster (188)
Nach dem
Kongress ist vor dem Kongress und nach einer Bundestagswahl ist vor einer
Bundestagswahl. Was zwischendrin passiert, das pendelt zwischen eigenen
Schicksalen hin und her. Hoffentlich kommt man davon, das ist die Devise. Und
natürlich: Hoffentlich lassen sie einen in Ruhe. Allerdings – beim kaschierten
Plakatanblick eines baldigen Staatsmannes vom Format „Dr. Guido Westerwelle“,
ja, da kann einem schon angst und peinlich werden. Diesem Land ist einfach
nicht zu helfen. Der ankreuzende Deutsche liebt es eben, persönliche und
allgemeine Untergänge wählbar zu gestalten. Was lange Jahre im Westen so schief
gedieh, kam mit der Wende pronto im Osten an. Demokratie ist vornehmlich eine
Spielwiese für Verdummte, aber seien wir mal ehrlich: darin lässt sich
wenigstens gute Musik machen, lassen sich feine Abende gestalten und auf geht’s
mit den Russian Doctors im Torgauer Brückenkopf, das bereits zum 4. Mal.
Gemütlichkeit
obsiegt; das Backstage dampft vor Leckerlies. Flüssignahrung, feinste Weine, Hanutas,
Bananen und Bier im Kasten runden das Warten ab. Gegen kurz vor 23 Uhr läuft’s
Intro. Doktor Sperrzone lädt ein in die wohlgesoundete Bühne und das Publikum
macht sich auf den kurzen Weg. Der führt von der Schnapsbar bis zu Pratajevs
Weisen. Angefeuert lieben es die Doktoren am heißesten. Dr. Makarios treibt
russische Mikrolandluft zur Decke, darin gefangen: Kühe, denen es gut geht und
all die anderen Werke Pratajevs, von denen feiste Schnellgitarren-Rede ist. Ein
literarischer Ausflug in den „Raucher von Bolwerkow“ wird prompt mittels Tumult
im Saal beantwortet. Wie sollte es anders sein? Denn so, genauso, war es damals,
bei Pratajev, in Russland.
Einer
kurzen Pause folgen mehrere Pfefferminzschnäpse auf einmal. Der Ansporn für
Doktor Pichelstein, noch schneller zu spielen. Bis in die Zugabeblöcke verirrt
er sich, wohl wundernd, warum heute keine Volkspolizei das Konzert zu beenden
gedenkt. Schon heißt es: Nach dem Konzert ist vor dem Konzert. Egal, ob Dr.
Guido Westerwelle tags drauf tatsächlich am Holz der Bundeskanzlerin knabbern
darf. Die Punks schnorren sich Euronen für Doctors-Platten zusammen. Dann
sitzen die Schlussverbliebenen an der Bar, trinken alles und viel davon. Auf
geht’s letztlich zur Pension Gotthardt, ins nummernlose Zimmer 7. Wie man sich
da zurechtfindet? Die 7 ist das einzige Zimmer ohne Türnummer. Darin verschläft
es sich alsbald besonders gut. Und wenn Frau Gotthardt nicht so lieb wäre, wer
weiß, ob es gegen Elf noch Spätstück geben würde? „Ach, wir haben gestern auch
lange gesessen“, sagt sie nur und das mit Wonne.
„Pension
Gotthardt“, raunt Doktor Makarios am Wahlsonntag. „Ob’s unter der Elbe hier
auch einen solchen G-Tunnel gibt?“ – „Ich glaube ja“, spricht Doktor
Pichelstein. Aber was sich ihm eine Dreiviertelfahrtstunde später, in Leipzigs
Eisenbahnstraße, auftut, sind lediglich ein paar FDP-Topless-Busse mit
Graulocken drin. Und im Übrigen herrscht am Wahlsonntag größter Andrang bei
Dolly Buster. Ihre einladenden, vielversprechenden, filmreifen Wahlkabinen sind
Männern heiß und begehrt, sind viel wert, auch wenn sich darin wenig ankreuzen
lässt.
09.10.2009
Feldmänner im Tonstudio
Feldmänner im Tonstudio
Doktor Makarios schnellt fahrrads, leicht verspätet, um die
Täubchenweg-Studioecken. Leipzigs Hauptzufahrtswege sind alle gesperrt.
"Wir sind ein Volk," ruft der hiesige ABV-Betrunkene beim
Zerschmettern von Bierflaschen. Tausende sind auf den Beinen, Lichter sollen
brennen und Frau Merkel dankt nicht ab, sondern auf.


Gemeinsam versuchen die Beteiligten indes Ernst und Haltung zu bewahren. Was nicht leicht fällt. Das Ersteinspiel des "Löffel aus Holz" ist erst nach vielen Versuchen möglich. Immer wieder verliert der Tontechniker die Fassung und es bedarf Taschentücher um die Tränen der Freude trocknen zu können. "Rühre die Grütze voller Stolz, Löffel aus Holz.... Schauen wir alsdann, wie es Montag weitergeht...
22. Oktober 2009 Jena/Café Wagner
Schwanz ab: Pratajev im literarischen
Salon (189)
Dieser
Tage fährt es sich reichlich furchtbar gen Jena. Vor allem, wenn die
Thüringen-Autobahn bereits ab Eisenberg verlassen wird. Danach wartet nur noch
eines: Die Umleitung der Überleitung von der Umleitung. Scheint so, als läge
das Jenaer Land in Schutt und Asche. Doktoren kreiseln sich ergo durch
verlassene Dörfer, nebelige Schwadengefilde; zurückgelassene Rüsselhunde bellen
bedrohlich. Eine absolute Finsternis löst schließlich abendliche Dunkelheiten
ab. Fehlt augenblicklich, im Schein der Gaslampe, nur noch der bucklige
Glöckner von Notre Jena auf dem Audikühler. Die Sprecherin bei Radio Antenne
Thüringen sagt: „Endlich ist der graue Tag vorbei, wollen wir uns am
Nachthimmel erfreuen“. Sterne hat er nicht. Kaum zu erkennen sind die
unmarkierten Teerfleckchen, auf denen langsam gefahren werden muss. Die
pauschalen Zielkilometerangaben sind deutlichen Schwankungen unterworfen. Mal
sind es 5 davon bis zum Zielort, dann wieder 13. Je nachdem, welcher
Umleitungsstrategie gefolgt werden muss. „Mein Doktor, die führen uns direkt in
einen Thüringer Wurstschlachthof“, mutmaßt Doktor Pichelstein. Doktor Makarios
reagiert nicht, sagt Sätze wie: „Hier war ich noch nie im Leben“. Schlussendlich
aber den goldenen: „Das muss jetzt Jena sein. Aber wo führen die uns rein?“ Der
Regen wird schlimmer, das Tourauto astet an Baustellen entlang. Die Wagnergasse,
endlich. Nie zuvor war man so gern hier am Ziel.
Gert und
Eddi, zu beiden Teilen Verantwortliche des heutigen Wagner-Abends, zerren einen
schlafenden Techniker aus den Hutecken des Cafés, die Bühne soll mit Gitarren
befüllt werden. Eine Youtube-Kamera baut sich davor auf. Doktor Makarios macht
sich auf den stadtmatschigen Weg „Zur Noll“. später soll im nolligen Etablissement
genächtigt werden. Wie sich im Verlauf des Abends und der Nacht herauskristallisieren
wird, sehr viel später.
Die ersten
Wagner-Besucher stellen sich als Kartenspieler heraus; Doktor Pichelstein
erwartet jeden Moment, dass Stammtisch-Trophäen auf Tische verteilt werden,
Politik zum Thema wird, Zeigefinger über Schnapsgläsern ansteifen. Doch nein,
so weit kommt es nicht. Die Kartenspieler sind, bei Lichte betrachtet, im
mittleren Studentenalter anzusiedeln. Mehrheitlich trinken sie deshalb - anno
2009 - Tee. Draußen, im Raucherbereich, klirren derweil Bierflaschen aneinander.
In papiernen Auslagen stöbert es sich bestens durch aktuell antifaschistische,
antisexistische Pamphlete. „Schwanz ab“, spricht es aus einem Fulminazkleber an
Weiblichkeit heraus. Und: „Nieder mit dem Konsum“, lautet das Motto im
Allgemeinen. Was bedeutet das? Nieder mit dem Konsum? Oder ist wohlmöglich der
„Konsum“ gemeint, als Supermarktkette? Die Botschaft des appen Schwanzes richtet
sich gleichermaßen an „SexistInnen“. Man weiß wirklich nicht, wohin derlei
Metzgerfantasien noch führen werden. „Brust ab“, „Po ab“, „Zopf ab“, nur das in
keinem Falle.
Das
Berliner Einpersonenmusikprojekt „Yok Quetschenpaua“ bekommt von all dem nichts
mit. Obwohl anfangs in der Konzertplanung des heutigen Wagner-Tages bedacht,
fühlte sich der in gleicher Weise als „Quetschmän“ bekannte Spieler und Rufer bereits
in den Einladungsmails falsch
dargestellt. Nur um „Yok“ sollte es gehen, weder um Paua, noch um Män. Schade.
Gerne hätte sich Doktor Pichelstein über ein Wiedersehen mit dem Tastenderwisch
gefreut. Trat man ungeachtet dessen bereits seit 1992 (Northeim, Cottbus usw)
gelegentlich nacheinander bühnenreif an. Unter solch schmunzelnden Überlegungen
startet das Konzert der Russian Doctors. „Pratajev im literarischen Salon“,
titeln ungedruckte Kulturpamphlete später. Sehr brav nimmt der Abend seinen
Laufpass auf, zu Tischen sitzt das Publikum und Doktor Makarios referiert
durchs Programm. Hausaufgaben gibt es von Stück zu Lied: Schnapstrinken. Ganz viele
Gläser. Als weisen Vorgeschmack reicht Gert den Doktoren eine volle
Voda-Flasche auf die Bühne. Und die nächsten Stunden halten, was sie
versprechen. Eine Jenaer Hausärztin nimmt sich ihrer Kollegen an und
diagnostiziert das, was über Pratajevs Leben bekannt ist: In Russland ist und
war alles möglich. Nur solche Dinge wie „Schwanz ab“, die fielen ganz gewiss
nur unter Fuchs- und Biberjägern.
23. Oktober 2009 Weißenfels/Trofa
Bockwürste an Thüringer-Jet-Tankstellen
sind unbedingt zu vermeiden (190)
Vom
Noll’schen Innenhof her wird in Zimmerservice-Gebärdensprache gen Hoteletage
gedroht. „Aha“, spricht Doktor Makarios seinen Gitarrendoktor wach. „Das soll
wohl heißen, dass man am Fenster nicht rauchen darf“. „Im Bett rauchen ist bei
weitem viel angenehmer“, murmelt der und wundert sich schlaffen Blickes über
ein früh wohl noch angebrochenes Bier der Marke Beck’s. Dönerig spielt sich zudem
der Mundgeschmack ein und weil die Frühstückszeit längst überschritten ist,
greift der Duschkopf prasselnd zum Musikerschweiß.
Schmuck
geht’s zum Empfang herunter, um sich eine saftige Zur Noll-Standpauke anhören
zu müssen. „Sie haben geraucht, das ist bei uns streng verboten“, baldowert die
Lobbydame auf beide Doktoren ein. „Da wird das Zimmermädchen mich wohl verpetzt
haben“, versucht sich der Sangesdoktor in süffisanter Beschwichtigung. „Das hat
es wohl“, kommt‘s zur barschen Antwort. Doktor Pichelstein, zwei rasche
Milchkaffeepötte auf der Flucht füllend, liebt sie besonders, die ostalgische
Freundlichkeit im Diensleistungswesen. Aber gut, wer es sich leisten kann, darf
seine Gäste gerne ausschimpfen. Grundböse wie sie waren, haben das Hotelzimmer
mit schmauchenden Kippchen zerlegt.
Den Weg
zum Tourauto säumen bekannte Gesichter. Sogar der Dönermann grüßt, als wäre
Doktor Makarios bereits Stammkunde. Dabei muss, unter Recherche des
Tourtagebuches, festgehalten werden, dass es in vorab 189 Konzertbeschreibungen
nur zweimal Döner gab. Einmal in Hamburg, einmal in Berlin. Alle Vorfälle waren
stets der Späte des Augenblicks sowie dem Angebot vor Ort geschuldet. Das
Hauptnahrungsmittel einer Tour ist nämlich in erster Instanz die
Tankstellenbockwurst an Senf und Brötchen. „Darüber sollten wir mal einen kulinarischen
Führer schreiben“, sagt ein Doktor zum anderen beim Frühstück an der Aral. Ein
Tipp vorweg: Bockwürste an Thüringer-Jet-Tankstellen sind unbedingt zu
vermeiden!
Auf ins
Saale-Unstrut-Weingebiet. serpentinenartig, matschig, mausgrau in steingrau.
Nur überm „Fischhaus“, in Bad Kösen, OT Schulpforte schlüpfen einige kecke Sonnenstrahlen
überm wilden Wein. Die Saale plätschert am Anglerplatz, am Radweg vorbei. Leckere
Tellerbefüllungen werden drinnen gereicht und satten Bauches findet sich später
Weißenfels. Die Stadt der Schuhe in der Leipziger Tieflandsbucht am Austritt
der Saale aus dem Buntsandsteingebirge.
Mit der
Gewandtheit eines Tümmlers dringen bepackte Doktoren in die Trofa vor. Deshalb
Trofa, weil weiter weg einst die Trommelfabrik stand. Hier, am
Konzertgeschehen, ddrte es anders, aber verwandt. Kultur wurde daraus, frisch
in Eigenregie erneuert. Immer wieder unglaublich, was alles entstehen kann,
wenn die richtigen Leute vor Ort zusammenfinden. Und eben nicht nur klirrendes Sternburger
vor der Kaufhalle trinken, sondern dem Kultursäckel der Stadt jenen Job
abnehmen, den diese nicht in der Lage zu machen ist. Vergleicht man die
Szene-Budgets etwa mit dem Budget des Weißenfelser Schuhmuseums, spricht sich
das Wörtchen „Makulatur“ getrost vornehm aus. Wie dem auch sei; an der
Trofa-Bühne wird noch geschraubt, die Technik steht, Bar- und Backstage sind
reichlich gefüllt. Fehlt noch der hauptamtliche Mischer, der einzelne Elemente
zum Klingen bringen soll. Fünf Stunden später, kurz vor Einlass, begegnen sich
Genie und Wahnsinn. Der Soundcheck gelingt, vollends erschöpft und gemangelt sinken
beide Doktoren tief in die Ledercouch ein.
Befreit
von allen Lasten startet das Konzert, rasch leert sich der Schnaps an der Bar.
Es werden wilde zwei Bühnenstunden und da der einzig funktionierende Monitor
nur die Gitarre Pichelsteins ernährt, flüchtet Makarios an den Bühnenrand. Die
Frontboxen bieten wahrlich genug Ausklang und egal, wo sich einzelne
Textstellenblitze in Gitarrengewittern treffen, der Donner ertönt krachend aus
den tanzenden Reihen des famosen Publikums. Bis zur letzten Schnapsbar und
allerletzten Zugabe und der Unbedingtheit, hier nächstes Jahr erneut spielen zu
müssen. Kameras surren, Fotoapparate klicken; nach dem Konzert liegt man mehr,
als dass man steht. Der letzte Button wechselt den Besitzer; jemand sagt, er
habe FDP gewählt und das mit Überzeugung. Doch da der Westerwellefreund schwer
betrunken ist, will ihn das ein oder andere Weißenfelser Mädchen erst recht
nicht mit nach Hause nehmen. Einer der Trofa-Verantwortlichen hingegen nimmt
sich der Doktoren an, spät aber immerhin: es geht zu Bett bevor es draußen
wieder grau wird.
24. Oktober
2009 Chemnitz/Subway to Peter
Überrollt von einer mobilen Schnapsbar
(191)
Aus der
Retrospektive heraus fällt es natürlich schwer, über ein Konzert zu berichten,
von dem nicht allzu viel Erinnerung übrig geblieben ist. Was in erster Linie
einer Roten Armee von Schnapsgläsern geschuldet ist. Es begann allerdings
andersfarbig, mit dem berühmten „Becherovka zur Verdauung“…
Doktoren
im Subway zu Chemnitz, heute angekündigt mit dem Zusatz: „Makarios gibt sich
die Ehre“. Gemeinsam versucht man sich vorzustellen, wie es aussehen würde,
wenn Doktor Makarios sich – statt Pratajevs Weisen zu Gehör zu bringen –
dauernd die Ehre geben würde. Ein mannshoher Spiegel wäre von Nöten, vor dem sich
der Doktorensänger den kompletten Abend selbst grüßend positionieren müsste.
Große Sache. Doch nach dem Essen, dem ersten Becherovka, lässt sich böhmisches
Gebräu weitaus besser ehren. Und weil die Bühne schon fertig gesoundcheckt ist,
gibt’s zur Belohnung zwei neuerliche Breznaks. Und weil die
Fliehende-Stürme-Fraktion gemeinsam mit weiteren freudvollen Gästen das Subway
erreicht, greift der erste Mexikaner. Und der zweite. Und weil das Konzert sehr
schnell werden soll, muss weiterer Becherovka her. Ab und zu schaut Doktor
Makarios dem Erlenholzpichelstein über die Schulter und warnt vor schlimmen
Folgen. Doch weil beim Gitarrespielen immer so sehr geschwitzt wird, kann vorab
ein bisschen mehr trübe Flüssigkeit der Gesundheit dienlich sein. Und weil das
Intro plötzlich läuft, muss sich Doktor Pichelstein etwas beeilen, die
Bühnenecke pünktlich zu erreichen.
„Ja, wie
geht das noch gleich? Hier ein Knöpfchen drücken, aha, die Batterie ist
schwach. Das Lämpchen leuchtet. Neue Batterie einlegen. Wo war die denn
gleich?“ Doktor Makarios schaut sich das zeitlupenhafte Gewirke des Gitarristen
erstaunt an. „Da muss die rein. Geht doch. Und das Kabel muss hier und das
Intro ist schon zu Ende, ach was…“ Und
weil Doktoren immerzu, als rascher denn erwartet das Konzert zur Hochform
anschwillt, über gute Schlücke, Flaschen in den Taschen, Betrunkene und Schnaps
und Weiber singen, überrollt eine mobile Schnapsbar, wie sollte es anders sein,
den armen Doktor Pichelstein. Knoblauchschnäpse, Mexikaner, Vodkas in
Reinkultur, Becherovkas usw hat sie geladen.
Zugaben soll
es reichlich gegeben haben, erstmals gar „Männer die am Feldrand stehen“; Augenzeugen
berichten, dass der Gitarrist noch in der Lage war, drei Kabel in einer halben
Stunde aufzuwickeln. Aus nackter Angst heraus, er würde noch ins örtliche B-Plan
zum Tanzen geschickt werden, soll Doktor Pichelstein sich hernach freiwillig
auf die Bühnenbank gelegt haben. Im Taxi zur Herberge sei er dann nicht weiter unangenehm
aufgefallen und enorm dankbar soll er dem Klobesucher gewesen sein, der
rechtzeitig vor ihm aus der Kammer kam. Dem krippenden Rausch weicher Kissen
und Decken soll er abschließend friedlich erlegen sein, bis ein krabbelnder
Wecker zum Wachhusten rief. Nun gut, das letzte Konzert im Jahr 2009 war’s. Ein
Idyll schlechthin, im Februar geht’s weiter…
27. November 2009, Leipzig/Alte Damenhandschuhfabrik
Alte Damenhandschuhe (192)
Radio Blau lädt ein; Doktoren
spielen Benefiz für freies, heimisches "Bürgerradio". Obwohl blaue
Macher diese Begrifflichkeit vermutlich eher weniger verwenden, spricht doch
das Bürgerliche eher auf die Zukunft nach dem Studium ungeliebte Bände. So
findet der Abend dann auch in einer alten Industriebrake namens "Alte
Damenhandschuhfabrik" statt.


Immer noch trübe gelaunt behält
Doktor Pichelstein Hemd und Jacke an, als das 25-Minuten-Minikonzert startet.
Ja, das ist besser. Und der Himmel geht auf. Die kalten Finger hämmern in die
Saiten. Da auf Monitore verzichtet wurde, wissen sie zwar nicht, was sie tun,
aber das Publikum klatscht und Doktor Makarios spricht aus Pratajevs Seele,
wohlig und charmant. Zwei kreischende Mädchen sind außer sich vor Freude,
respektive innerlich gefüllt mit Szenedroge, und geben Gas.
Dann ist Schluss. Nichts wie raus
hier aus der Fabrik, in der die Produktion alter Damenhandschuhe schmerzlich
vermisst wird.
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