08. Februar 2008 - Cottbus/Bebel
Eine Schnapsbar ist eine Schnapsbar
Beginnen wir mal damit, wie sich der Tag nach dem ersten
Halbgötters-Konzert des Jahres 2008 gestaltet: Die sibirische Kältezunge leckt
behäbig am polnischen Rand der Republik. Beide Doktoren haben die
bereitgestellten Betten der Wohnheimpension mit einer nicht zu leugnenden
Restalkoholität verlassen; bemantelt wird so aus der neuen Campusbibliothek
mindestens ein holder Eisberg. Studenten verschwinden darin wie Pinguine und urbane
Verkehrszeichen. Da diese zusätzlich sorbisch kommentiert wurden, bleibt die Frage offen,
ob es in Cottbus Menschen gibt, die nur sorbisch verstehen. Und wenn
dem so sein sollte, ob man nicht besser auch z.B. die „Fürst-Pückler-Galerie“ schildbürgerlich versorbt. Nun denn, es ist Samstagmittag, der mit
Fettigkeiten an heißem Kaffee Fahrt aufnimmt.
Wenige Meter vorm Galerieeingang darf geraucht werden; die
plattenbaugesprengte Umgebung erhält ihren Einprägestempel. Gerade will man von
dannen fahren, zurück nach Leipzig, genauer ins Radio-Blau-Studio, als ein
junger, bemützter Drogensüchtiger Doktor Makarios folgende Fragen stellt: „Hast
du zufällig eine Frau? Oder eine Freundin? Oder dein Kollege da?“ Bass erstaunt
verneinen die Doktoren, einen Zusammenhang suchend, da erscheint der Klon des
Süchtigen auf der Bildfläche. Auf einem Damenfahrrad rollt er behäbig über die
rote Ampelkreuzung. „Wir könnten euch ein tolles Fahrrad verkaufen, ganz
günstig“, kommt der Süchtige auf den Punkt. Nun gut, seitens der Doktoren wird
verneint, was das Zeug hält, das Geschäft platzt und wenn Ihr, liebe Cottbusser
Damen, nun ein schwarzes, nagelneues Fahrrad mit Korb vorne dran vermisst,
schaut mal vor der Fürst-Pückler-Galerie vorbei und kauft es günstig zurück.
Derweil schallen Schlager aus Brandenburger Antennensendern,
insgeheim schunkelt man ungläubigen Verstandes, was die Auswahl der
Musikpalette betrifft, mit. Etwa wenn gesungen wird, dass mit Tommi an einem
Sonntag die Liebe begann und an einem weiteren Sonntag alles schon vorbei ist,
weshalb die Sängerin dieser Zeilen nun sämtliche Restsonntage ihres Lebens
klageweiberisch bejammert.
Im Bebelclub ist alles bereits bestens vorbereitet. Frieder heißt
der Verantwortliche und der Doktorendank gilt besonders ihm, der Technik und
den weiteren fleißigen Hausgeistern. Das Backstage ist befüllt; an nichts
herrscht Mangel. Der Soundcheck mit drei Gitarren gelingt; erste Gäste
bevölkern entzückt das Rund. Darunter ein paar Bekannte aus den, wie man so
sagt, alten Zeiten, als Doktor Pichelstein noch solo „F6, bitte“ zweimal
jährlich im Muggefug sang. Als Pratajev-Verleger Herr Reiffer sich noch in
Cottbus die Haare blau färbte und Mitbewohner Mario den FDJ-Schlagbesen
schwang.
Das frische Halbgötters-Intro startet den Konzertmotor, die
Zündkerzen sitzen in der richtigen Reihenfolge, der Funke springt über und nach
dem Zugabeblock ist der Bebelclub endgültig Pratajev verfallen. So sieht’s auch
Kati S aus C beim späteren Doktoreninterview an der Theke aus Holz, der bis in
die Morgenstunden keine Ruhe gegönnt wird. Immer wieder tauchen aus der
Cottbusser Nacht neue Koryphäen vor ihr auf. Frieder schenkt aus und ein, der
„Gelbe Wahnfried“ erzählt dies und der vierkindrige Kurzhaarmann das. Was
genau, weiß hinterher niemand mehr. Schließlich ist eine Schnapsbar eine
Schnapsbar. Und darum singen The Russian Doctors gerne von ihr.
15.
Februar 2008 – Leipzig/Noch Besser Leben
Die
Halbgötter sagen: Danke
Der CD-Release-Party voran ging die Entdeckung eines neuen
Pratajev-Gedichtes:
Der alte Holzeimer
Heute noch
Wird mit ihm
Wasser geschöpft
Morgen
Kommt er ins Feuer.
Die Fanclubs sind fast vollzählig angereist, Freunde des
Zwischenspektakulums „Die Pest“ ebenso und jeder Schluck ist ein guter Schluck,
wie wahr das heute ist. Genauso tropft der Schleim vom Arm und auf dem
einzigen, dem roten Kannapee-Sessel sitzt ein Girl. Doktor Makarios’ könnte
heute noch stundenlang (vielleicht sogar Telefonbücher) vorsingen, Doktor
Pichelsteins pfeilschnelle Gitarrenakkorde dringen tief, als großes Ouvere, ins
fiebrige Publikum hinein. Bühnenpräsenz wird unter Strom groß geschrieben -
kyrillisch, versteht sich, bis tief in die Nacht.
Eine Nacht, in die zwei Halbgötter dankbar, benommen entschwinden.
Mit einem letzten Becherovka auf dem Zungenpelz. Dem geht es gut, dem ist nie
kalt, dem Pelz auf der Zunge im Wald.
16.
Februar 2008 – Großenhain/Hexenstübel
Katzenberg
strikes back
Während im Hotel Stadt Dresden, an der Kupferbergstraße 3c, die
himmlische Dusche zum Umfallen einlädt und der Spiegel an der Wand zum
Steckbrief für Verliebte wird.
17.
Feburar 2008 – Berlin/Duncker
Berlin
ist keine staatlich anerkannte Erholungsanstalt

Im - laut Veranstaltungstipps-Flyer - staatlich anerkannten
Erholungsort Lübbenau stoppt der Touraudi, unweit des Hafenrestaurants
„Rudelhaus“, wobei zunächst darüber sinniert werden sollte, wer für staatliche
Anerkennungen hiesiger Erholungsorte allgemein zuständig sein könnte. Dermaßen
anerkannt werden doch eigentlich nur jene juristischen Personen, deren
bestandene Diplome, Zertifizierungen und Krankenpflegeabschlussprüfungen einer
Bezirksregierung vorgelegt wurden. Dass man ganze Ortschaften staatlich anerkennen
kann, ist wirklich mehr als interessant. Und was geschieht, wenn die Bewohner
Lübbenaus sich nun anschicken, angereiste Gäste, welche auf langen Wasserstraßen
des Spreewaldes rudernde Selbstfindung begehren, zu demütigen? Die Gäste in
Gurkenfässer stecken und auf sie herunterspucken? Wackelt dann die staatliche
Anerkennung Lübbenaus genauso bedenklich wie das Weltkulturerbe-Siegel des Dresdener
Elbtals? Wird man eines Tages Beamte schicken, die auf der Bowling-Bahn des
Rudelhauses verdutzten Einwohnern die Aberkennung, ja vielleicht sogar die
Ausmerzung, des gesamtes Ortes verkünden? Jedenfalls schmeckt den Gefährten die
Speisekartenauswahl, Cola und Fassbrause stellen einen trüben Tee am Tischrand
in den Schatten; besagtes Hafenrestaurant „Rudelhaus“ kann weiterempfohlen
werden.
Berlin ist keine staatlich anerkannte Erholungsanstalt, obwohl –
z.B. Friedrichshain abwärts – sich seit Beginn des Jahres überall Umweltzonen
breitmachen. Um diese mit dem Auto befahren zu dürfen, bedarf es einer
selbstredend grünen Prüf-Plakette. Wer die nicht vorrätig hat, muss bestraft
werden, und zwar mit 40 Euro Bußgeld. Doktor Pichelstein sorgt sich darob ein
wenig; an der Tourwagen-Windschutzscheibe kleben höchstens ein paar abgelaufene
Autobahnvignetten. Doktor Makarios beruhigt und erspäht eine Menge Autos, die
mitnichten auch nur in den Prüfgenuss kommen würden; rußschwarz mufft ein
Dieseltransporter auf der Überholspur vorbei. Vermutlich hält man es mit den
Umweltplaketten genauso, wie mit dem Nichtraucherschutzgesetz: Übergangszeiten
der Gewöhnung werden gewährt, in denen Uruk-Hai-Politessen aus dem Schlamm
gezogen werden, bevor sie zu Hunderten, in blauen Kleidchen, auf die
Scheibenwischer der Stadtautos losgelassen werden. Nur in die Nähe des
Duncker-Clubs würden sich wenige trauen; hier herrscht in erster Linie der
Hund. Er hat groß zu sein, promenadiger Ursprung ist Pflicht; ein Kiezbewohner
muss dranhängen. Jener trägt ein Kapuzenshirt, eine Armeehose und die Kapuze hat
unbedingt den Kopf zu bedecken. Man geht gebückt, schaut aufs
Tropfsteinpflaster herab; wie ein Waldläufer sucht man Spuren. Welche mögen es
sein? Natürlich Spuren von Hundekacke, denen man bis in die nächste Spelunke
hinein folgt, denn dort sitzt der gesuchte WG-Genosse neben seiner
Scheißmaschine, dem Umweltzonen-Hund. Alles Klischee? Weit gefehlt. Da die
Doktoren eine Stunde zu früh vorm Club residieren, wohl wissend, dass Berliner
Parkplätze so rar wie Berliner Gute Launeanfälle sind, lässt sich die Szenerie
in der Dunckerstraße nicht anders beschreiben.
Doch zum eigentlichen Konzert, hier die Ankündigung, die gar zum
Tagestipp des Senders „Radio Eins“ avancierte: „Es wird räudig im Duncker, denn
die DARK POETRY SESSIONS laden zu Texten und Musik über Schnaps, Fesseln,
Anstehen vor der Hölle, tote Katzen im Wind, Frühstück mit Nutten und noch mehr
Schnaps ein. Dazu in Wort und Selbstversuch auf der Bühne: der Poetry Slammer Tilman Birr, der Lyriker Florian Günther und
aus Leipzig The Russian Doctors,
die ihre neue CD »The Best of the Halbgötters« präsentieren“. Bestens
durchorganisiert ist der Sonntagabend von den „Lautmalern“, die mit ihren
Veranstaltungsreihen Berlin bereichern, von Umweltzonen mit Hundekacke drin
gewiss unbeeindruckt. Hendrik Lautmaler teilt Getränkemarken aus, sorgt für
prächtigen Bühnensound, checkt denselben mit einer kindgerechten Spielkonsole
und so ertönen die Lieder, trifft’s Publikum ein, taucht endlich der Wirt aus
der Versenkung auf, begrüßen sich Herr Günther und Doktor Pichelstein mit: „Lange
nicht gesehen.“ – „Lange nicht zusammen getrunken“. Und: „Ich verrate heute
allen im Saal, dass du aus Münster bist…“ Dann fällt die Starterklappe und zwei
Stunden füllen sich mit einer bunten Mixerei aus Songs (Doctors), Lyrik (Günther)
und Kurzprosa (Birr). Im zweiten Block spielen die Herren Doktoren über die
Zugaben hinaus, es reißen erste Gitarrensaiten und zwischen dem letzten
Duncker-Getränk und dem ersten in einer Metalkneipe, die sich Tür an Tür mit
der lautmalerischen Unterkunft befindet, vergehen wenige Augenblicke. Hendrik
und Freundin laden ein, man sitzt so da und hofft, dies bald wieder tun zu
können. Sei es in Berlin, sei es in Leipzig. Lautmalerisch entfacht die Nacht
ihren Gandalf-Stab, während der von Saruman in jenem Hundehaufenrest
feststeckt, den Doktor Pichelstein – kurz nach Verlassen des Autos – über die
halbe Straße verteilte. Das erklärt einiges.
29. Februar
2008, Jena / Café Wagner
Wildschwein
Emma
Beginnen wir mit der Rückfahrt aus 07743 Jena, schreiben bereits
den 01. März des aktuellen Schaltjahres und gemahnen an Emma, der
Winterstürmin. Der Audi hält sich kaum auf windgewürgten Straßen; die
Bundessolche 7 Richtung Eisenberg wird zum Cocktailmix aus Regen, abgestürzten
Baumästen und kleckerfahrenden Kombiautos. Kein Frosch traut sich heute aus dem
Teich, nur ein Wildschwein rennt querbeet über die B 7 bei Hainspitz. Mittig am
Tag, gefühlt direkt nach dem letzten Konzertblock - unter Herunterbetung
obskurer, im finalen Kopfschmerz endender
Getränkewünsche. Gefühlt jedenfalls fängt der Tag gerade an und kein
vorheriger Kaffee dreht die Zeiger der Uhr zurück. Das Ibis-Hotel ist lang
verlassen, gefrühstückt wurde in Jenas Mitte und schon hätte man fast besagte
Bache überfahren. Oder umgekehrt. Doch zurück zum eigentlichen Anlass der
Reise.

Doch heute ist alles anders. Alles wunderbar und dem Wagner-Techniker des Jahres 2008 darf ein Orden verliehen werden. Die Doktoren danken’s mit einem rekordverdächtigen 11,5-Minuten-Soundcheck, lassen sich vor spinathaltigen Teigspeisen nieder und rauchen Luftkringel. Der Techniker weiß lustige Geschichten: „Neulich, als ich im Rosenkeller mischte, spielten Pöbel und Gesocks. Da kam eine völlig betrunkene Punkerin auf die Bühne und rief was von Alarm ins Mikro; Faschos wären draußen gesichtet worden, worauf die Band - den Punkern voran - auf den Marktplatz stürmte und alle verdrosch, die dort standen. Dann ging das Konzert weiter, als wäre nichts gewesen…“
Das Publikum macht’s Café mit sich voll; trotz Semesterferien, was
folgendes Gerücht aus der Welt fegt: Studenten verbringen ihre Ferien gern
zuhause, bei Mutti auf der Couch. Nein, wer in Jena studiert, bleibt auch dort;
die Stadt ist schön, die Kammberge glänzen grün und der FC Carl Zeiss kommt ins
DFB-Pokal-Endspiel, spielt fortan Uefa-Pokal, wenn auch aus Liga drei. Drei ist
eine ebenso schöne Zahl, schön wie Jena; drei Weinkrüge stehen auf dem Tisch
und die davor Positionierte weiß nicht, in welcher Reihenfolge das Trinkgelage
zu stemmen ist. Doktoren warten bis das Intro endet; auf der Bühne, in
Teehaus-Deko. Zwei Konzertblöcke, gesegnet durch thekenschwangere
Pausenschnapszufuhr, was zur Folge hat, dass Doktor Makarios herzergreifend singt:
„Jeder Schluck ist ein guter Schluck / Und ich lasse niemals zuruck / Einen
Schluck in der Tasche / Lieber steck ich sie in meine Flasche (…)“
Bleiben die Zugaben, bleibt der Applaus, bleibt Zufriedenheit auf
den Gesichtern und als alles getan ist, scheitert eine junge Studentin an
Pratajevs Gelassenheit, diskutiert auf hohem Hörsaalniveau mit Professor
Makarios folgenden Koffersatz: „Diese Texte sind doch so sinnentleert….“ Darauf eine Runde Skat und noch eine und
selbst die Weinkrüge leeren sich, eben sinnentleert, wie von selbst. Aus den
Boxen erschallt dazu philosophischer Krach, der mittels Klavierspiel einer
vermutlichen Ex-Schülerin Berta Grieses (Lindenstraße) ins Bodenlose getoppt
wird. Dann lockt die Feuchte der Nacht, mit Zimmer 322 im Ibis um die Ecke,
Sterne an.
01. März
2008, Wittenberg / Irish Harp Pub
Wenn es
morgen wieder einmal luthern würde
Übers Land nach Wittenberg. Würde man Kutsche fahren, wäre das
eine Tagesreise wert. Nun bockt kein Pferd, kein Rad, es weht die Emma und
macht den Audi langsam. Schließlich möchte man nicht im Wald verenden, in der
Dübener Heide Pratajev heranbeten; nein, der Wind hält heut nicht mehr den Atem
an. Der zieht die Hänger von der Straße und nennt sich Emma. Durch
Krötenschutzgebiete führt der Weg, vorbei an schwach beleuchteten Orten, in
denen nur noch zwei Dinge fürs Tagwerk zu erledigen sind: Schnaps holen und
schlafen. Doch Rettung vor der Einöde naht, sie heißt Wittenberg, ein wirtlich
schöner Ort, auferstanden aus Ruinen, frischer Beton führt den Audi einladend hinein.
Ein Marktplatz öffnet sich, die Fußgängerzone glänzt im Nass des Kopfsteins und
keine unruhige Menschenseele ist zu sehen. Trotzdem gleiten die Doktoren
langsam durchs Gespenstische; es geht das Gerücht um, in Wittenberg fänden ab
und zu doch noch Hinrichtungen statt, Luther hätte nicht ganz gesiegt und die
Thesen seien Thesen geblieben. Die Angst bleibt, direkt von den Eisenmännern
der Stadtwache verhaftet zu werden, gleich nach Ankunft im Irish Harp Pub. Doch
nein, alles Rittergeschmeiß ziehen vorbei und das verwandte Märchen von Hameln
nimmt Gestalt an: Plötzlich tauchen Menschen aus der Schwärze der Nacht auf.
Wie geharnischte Kinder folgen Busgruppen voller Rentner den Rattenfängern der
Wache. In Reih und Glied staksen sie zum Lutherhaus, wohl wissend, dass am Ende
des Kreuzweges die Reformation in Form von Heizdecken auf sie wartet. Oder eine
blutleere Konferenz, eine religiöse Weiterbildung im dafür vorgesehenen
Lutherhotel. Dafür kommt man gerne aus Bielefeld hierher.
Wenn es morgen wieder einmal luthern würde, fände das Spektakulum
gewiss auf dem Musiksender MTV statt. Und richtig: The Russian Doctors staunen
nicht schlecht, als der gute Wirt des Irish Harp Pubs Flyer hervorkramt, auf
denen prangt, dass MTV die Doktoren heute in Wittenberg präsentiert. Die
Rückseite des Flyers machen Rus & The Velvets mit sich voll. Und schon
stecken alle archaisch die Köpfe zusammen, Belegschaft des Pubs und Doktoren
beim Kilkenny. Ja, oh ja, Rus & The Velvets, darüber gibt es immer viel zu
erzählen. Makarios und Pichelstein geben ihr Open Air zu Großenhain aus dem
Jahre 2004 zum Besten, als Sänger Kai-Uwe den „Rotarmisten“, gemeinsam mit
Makarios, singen wollte, was bis Ende des Soundchecks noch gut durchdacht war.
Dann allerdings brachte KuK ein Schnapsopfer und ward nur noch liegend gesehen.
Der Wirt kontert mit einem Pfarrer im Nachbarhaus jener Pension, in der Rus
& The Velvets vor einiger Zeit
untergebracht waren; der Geistliche klingelte nächtens bei ihm und
schlotterte lediglich folgende Worte heraus: „Wirt, ich hab Angst und weiß
nicht, was nebenan geschieht“. Am 22. März dieses Jahres, angekündigt mit
„neuer Erotikshow“, wieder im Lande: Rus & The Velvets, das dürfen Sie
nicht verpassen. Werden erneut Hotelzimmer brennen? Besteht das Set lediglich aus
zwei Wanderklampfen und drei Flaschen Sierra Tequila? Die Bühne wird es wissend
richten und die Bühne steht, als gegen 22:15 der erste Konzertabschnitt so was
von dermaßen gelingt, dass die Doktoren stante pede zum Hochprozentigen greifen
müssen. Und alle im Pub, der aus irischen Nähten platzt, tun es ihnen gleich.
Vom Tresenwesen zurück an die Mikroständer – dem zweiten Intro
folgen Heimat- und Tierlieder; Polytoxe und Polygame schunkeln sich in
Stimmung. Jeder zweite im Publikum scheint einen Fotoapparat bei sich zu haben,
Willis Kamera dreht die DVD zum Fanal und als Stunden später die Gitarren
schweigen, bereits das Lied der Kassierer erklingt, da gibt es einen weiteren
Zugabewunsch. Er lautet: Gefesselt. „Könnt Ihr das noch einmal spielen? Das ist
unser absolutes Lieblingslied“, fragen zwei Mädchen von ganz vorn. Doktor
Makarios lässt sich nicht lang bitten und erwidert: „Na, Wittenberg hat’s aber
gut…“ und legt mit ruinöser Stimme los.
Dann werden Hände geschüttelt, fließen die Streams of Whisky und
münden schließlich in der Unterkunft über den Bierstuben zu Wittenberg. Luther
kam früher oft hierher, trank sein Glas, nahm die Frau neben sich mit in
besagte Pension und durfte sich morgens die Eier selbst kochen. Daran gedenkend
tun es ihm die Doktoren gleich und huldigen noch einmal den Irish Harp Pub,
Wittenberg sei Dank.
07. März
2008, Zerbst / K6
Im
Feierabendheim, im Land der Frühaufsteher

Beim Ausladen baumeln sie den Doktoren um die Nasen: Zwei tote,
mumifizierte Katzen im Hallenwind. Eine strangulierte man, eine stellte man
aus. Hoch an der Bühnenhinterwand baumelt der Leninwimpel der Doktoren (nach
dem Konzert als Leihgabe bis zum nächsten hinterlassen), darunter papierne
Plakatkatzen. Aus dem Staunen kommt man erst wieder heraus, als der rasche
Soundcheck mit einem Bier an der Bar betrunken, resp. begossen wird.
Und schon verteilen sich die Tagesmitgliedskarten des „Köllingsche
Fabrik e.V.“ wie von selbst; so darf geraucht werden und nicht nur dafür ist
man gerne Mitglied, schlägt Bar-Wurzeln der Zerbster Trinkbewunderung; wird von
einer Lokalpresselady interviewt und genießt hernach die Backstage-Aufläufe.
Die Kälte spielen sitzend ihren Leipziger Melancholus, schwer wiegen schwarze
Locken und die Stimmen sind rot. Punks gehen in sich, Rastas weinen
Schweißtropfen, Zugaben fegen über alle Köpfe hinweg. Die Barfrauen verteilen
grüne Schnäpse, so grün wie ein Pfefferminz im Wind. Es paust im Saal, der
Mischer taucht auf und ab, spielt’s Intro und siegt auf der ganzen Linie.
Doktoren blinzeln sich an, Stück für Stück wird gespielt, keine einzige Ballade
bis zum Schluss ist dabei. Im Rausch der Speedgitarre nimmt Zerbst Fahrt auf,
Mädchen liegen Makarios trunken zu Füßen, wollen dem Singedoktor vom
Pfefferschnaps geben, Pichelstein wird beim Spielen ein Kehlkopftrunk nach dem
anderen eingeflößt. Als schließlich doch „Der Arme“ ertönt, weiß man auch dazu
kräftig zu tanzen; drei Zugabeblöcke folgen mit Biber-PS. „Unglaublich“, mein
Doktor, sagt der eine Doktor zum anderen, der nur noch „Gibt’s nicht“ hecheln
kann, während sich Bäuche entblößen, auf denen mit Edding unterschrieben werden
muss. Während Pichelsteins’ Pleks unter die Gitarrenspielerinnen gehen, während
kleine, betrunkene Grüppchen sich vorm Club über Pratajev Gedanken machen,
während die Hoheit am Merchstand zu bewundern ist, während man daran denkt,
hier unbedingt wieder spielen zu müssen. Im K6 zu Zerbst fängt das Leben an,
jeder Tag danach ist Strafe. Nur mit mildernden Umständen darf das Nachtlager
erst gegen Mittag verlassen werden.
14. März
2008, Chemnitz / Subway to Peter
Roter
Schnaps macht schnell und Breschnew-Bier heißt anders
Aus dem Radiokrieg, Sender für Sender: das immer selbe Gesafte, da
müssen schöne Klänge her. Im Tourauto kommen sie noch vom Band. Doktoren schwelgen
bei den Fliehenden Stürmen, bei Chaos Z, bei EA 80, bei Angeschissen, den
Fehlfarben und Abwärts durch die B-95-Nacht, deren randständige
Kreuzansiedlungen Prodomo sprechen:
Was soll ein gesundes, anständiges Appartementleben? Was bringen
vegetarische Ernährungsverwirrungen, Riester-Renten, Nichtrauchergesetze? Wem
nützt ein Leben als Fitnessstudio-Rüsselhund, wenn einem mit 180 km/h ein
falschspuriger Derwischfahrer durch den Stauraum fährt? Nichts. Ein ums andere
Mal bremst Doktor Pichelstein lebensmutig; Bifi-Salamis und Gitarrenkoffer
verlangen schwerelose Zustände - alles purzelt nur so durcheinander. Doch
schließlich will Chemnitz erreicht werden und keinem erleuchteten Doktor (Danke
an den Tankstellenservice nähe Espenhain) gelüstet es auch nur annähernd,
vielleicht bei Frohburg, bestattet zu werden. Auch möchte man nicht zwischen
die aktuell heißen Fronten des so genannten Leipziger „Türsteherkrieges“
geraten. Ein – von der UNO bisher unbeachteter - Zeitungskrieg, der am letzten
Wochenende sein erstes Opfer forderte. Obwohl es sich, in diesem Fall,
eigentlich um ein erstes Opfer des Nichtraucherschutzgesetzes handelt: Der
scharf durchschossene, russischstämmige Massimolide stand doch tatsächlich vor
einer Disko und rauchte. Weil man es drinnen nicht mehr durfte.
Im Subway to Peter darf man’s eigentlich mittlerweile auch nicht.
Nur gehört das gepflegte Kippenziehen zur Live-Vorstellung der Doktoren, wie
das Amen in der Kirche, dazu. Gesetzeslückig weitergedacht könnte Doktor
Makarios ebenso das Publikum zur Show erklären. Vom Livestandpunkt aus
betrachtet – eh eine schöne Sache. Im Subway gemahnen besonders die
Tourbuchenträge der letzten Jahre daran…
Tags zuvor spielten die Doktoren ein erstes, öffentliches
Samtmarie-Goldeck-Set, inmitten von
Hochkulturaspiranten. Oder sollte man sagen: Inmitten von Hochkultur-Aspirin?
Die Sonderschule für Telekommunikation passt ins Bild der gerade stattfindenden
Buchmesserei: Das Volk turnt von Lesung zu Lesung und ist froh, wenn man es
dafür bestraft. Womit, darauf sollen andere eingehen. Vielleicht der
Handballbundestrainer Heiner Brandt, der während seiner Biographie-Vorstellung
damit angibt, nicht mal ein Spiegelei braten zu können. Weil er den heimischen
Herd nicht bedienen kann. Solche und andere Nullinformationen, was verlangt man
mehr?
Es gibt Schnaps im Subway. Viel Schnaps. Mal ist er kalt, mal ist
er warm, schmeckt nach Wodka, Anis, Pfefferminz, oftmals wird er ganz im
scharfen Rot serviert. Beide Doktoren verziehen die Gesichter zum Mummenschanz.
Immer wieder wird er auf die Eckenbühne gereicht, doch es nützt nichts. Doktor
Pichelstein spielt sich einen gefährlichen Rausch an, überholt sich selbst;
Makarios zieht nach, das Publikum ist begeistert, beschwipst. Die Krone der
Trunkenheit bekommt indes eine Phil-Shönfelt-Fanin aufgeschopft. Eben, als
„Mich wundert gar nichts mehr“ erklingt, zerscheppert ihr volles Glas auf dem
tiefsten Subwaygrund. Schwankend kehrt das Blech zu Füßen der Doktoren, DIE
ART-Songs erklingen, dann muss es genug sein mit der Pratajev-Völlerei; es geht
zum Xtenmal an die Schnapsbar. Endlich - kaum noch aussprechbar ist die
tschechische Biermarke der heutigen Flüssigkeitsersatzzufuhr: „Ein Breschnew
bitte“. Doktor Pichelstein nimmt es dankbar entgegen; zur selben Zeit wechselt
die 10. CD seinen Besitzer, Eddingstifte kreisen über Plakate, auf Büchern und
Booklets. So muss es sein und kein Türsteher traut sich herein.
Ein ganz spezieller Dank geht an die Pensionswirtin „Zum
Hinterhaus“. Doktoren waren gerne da und haben sich hoffentlich gut
benommen.
17.April
2008, Leipzig / Flowerpower:
Die
vorgeschaltete Nacht

Nun, niemand fällt. Motto: Haltung zeigen gegen schweres Wetter.
Das Intro läuft, die Songs prasseln, wie vom Katapult geschossen, selbst auf
Hartleibige nieder. Durch den Eingangsvorhang entzücken sich neue Gesichter,
der Schnapsverzehr steigt auf der nach oben offenen Richterskala. Doktor
Makarios breitet die Arme aus, als wolle er ganz Sibirien segnen – Pratajev
wird zum abendfüllenden Thema und in der Pause reichen zwei kleine, randvolle
Wodkabecher, um die Zustände der vorgeschalteten Nacht wieder herzustellen. Die
Brust bebt, der Abend gelingt, die schöne Welt spielt den Frühling an die Wand.
Draußen geht der Normalvollzug weiter, doch niemanden zieht es hin. Dann doch
lieber an die Schnapsbar, auch wenn sie nicht für ewig ist.
18.04.2008
– IX. Pratajev-Kongress, Großenhain/Alte Orangerie
Die erste Impfung, von vielen im Leben, erfährt der neue Erdenbürger an einem Rummel vor seiner Haustür. Schon früh zieht es ihn hin, genau wissend, warum. Es pelzt die Zuckerwatte, Nieten verteilt die Losbude und hat man doch mal gewonnen, gibt’s meterhohe, grinsende Hässlichkeiten in Schrillbunt. Ein Rummel ist, philosophisch betrachtet, das Abziehbild des Lebens und bietet viel Raum für Intoleranz. Made in Großenhain. Großenhain, hörst du mich? Großenhain antwortet nicht. Das gemütliche Städtchen übertreibt es heute und prügelt seine ansonsten eher gemütlichen Bewohner mit Rummelgedröhn aus dem Haus. Eigentlich nicht das Schlimmste, doch platzierte man Kotzmühle, Holzkarussell, Pilzpfannenbude direkt vor die Alte Orangerie, dem wohl ausgesuchten Ort des heute stattfindenden IX. Pratajev-Kongresses.
Draußen, im grünumfluteten Hof, lustwandelt derweil Doktor Makarios, ein Plauener Spitzendeckchen auf dem Bauch. Schön ist’s am Brunnen vor dem Tore, findet auch Dr. Pichelstein und pullert hinein, wäscht sich die Hände, um damit illustre Gäste der Pratajev-Gemeinde zu begrüßen. Der Fanclub Karl-Marx-Stadt ist beinahe vollzählig vertreten, Berliner (die am nächsten Tag, recht trunken, in einem Neigetechnik-Zug den verschaaften Weg zurück fahren müssen), Großenhainer, Dresdner – der Eintritt überknappt die Unkosten. Das beruhigt den Schatzmeister der Pratajev-Gesellschaft, Igor Kommerzoff, ungemein.
19.04.2008, Berlin/Schokoladen
Haben
Frauen, die Lehrer heiraten, Himbeeren im Kopf? (169)
Nein, Katzenberg, diesmal nicht! Das Tourauto fährt Schritttempo
an jenem Blitzer vorbei, welcher noch im Februar für großen, puffroten Unmut
sorgte. Die 15 Euro Strafe sind indes längst an den zuständigen Landkreis
überwiesen. Und sollten möglichst in eine Babyklappe investiert werden; wie man
im aktuellen Jahr weiß, neigen doch allzu viele Post-Gebärende dazu, ihren
wehrlosen Nachwuchs in die Nähe von Glascontainern oder Bundesstraßen
abzulegen. Wobei grundsätzlich festgehalten werden muss, dass sich dazu weder
Blumentopf noch Kühltruhe eignen. In Russland wird die Geburt eines Kindes
allenfalls noch gefeiert. Es gibt Schnaps, schwere Reden werden gehalten, der
Trovlower Kohlengrill schmaucht über’m Grillfleisch, die Kapelle spielt auf –
kurzum: es herrschen feine Bedingungen, wie auf einem Pratajev-Kongress. Genau
dahin zieht es die Russischen Doktoren, unter Bandsalat im Tapedeck und Senfflecken
auf den Autositzen, kein Freitag wie jeder andere. Großenhain ist das erklärte
Ziel.
Die erste Impfung, von vielen im Leben, erfährt der neue Erdenbürger an einem Rummel vor seiner Haustür. Schon früh zieht es ihn hin, genau wissend, warum. Es pelzt die Zuckerwatte, Nieten verteilt die Losbude und hat man doch mal gewonnen, gibt’s meterhohe, grinsende Hässlichkeiten in Schrillbunt. Ein Rummel ist, philosophisch betrachtet, das Abziehbild des Lebens und bietet viel Raum für Intoleranz. Made in Großenhain. Großenhain, hörst du mich? Großenhain antwortet nicht. Das gemütliche Städtchen übertreibt es heute und prügelt seine ansonsten eher gemütlichen Bewohner mit Rummelgedröhn aus dem Haus. Eigentlich nicht das Schlimmste, doch platzierte man Kotzmühle, Holzkarussell, Pilzpfannenbude direkt vor die Alte Orangerie, dem wohl ausgesuchten Ort des heute stattfindenden IX. Pratajev-Kongresses.
„Ich brauch’ sechsmal Sex am Tag“, wummert es aus den
Autoscooter-Boxen und ein stiernackiger Fettlappen giftet durchs Mikrophon:
„Wer hat noch nicht, wer will noch mal“. Den davor versammelten 5 mittelalten
Mannen, eckangereist mit gefüllten Kinderwagen und Sternburger Export in der
Hand, gefällt’s. Ehrenmitglied Biberowitsch fasst sich an den Kopf: „Die kenn’
ich alle….“ Und zu den Doktoren: „Gestern war hier noch alles friedlich, meine
Güte!“. Gemischt gefühlt wird der Sound gecheckt, der Harte Wirt Micha kümmert
sich liebevoll ums Fleischliche (auf dem Grill), die Klosterfrau trägt ihr
laszives Mantra vor: „Heute trink’ ich nichts“. Dem Vorbereitungskomitee des
Kongresses gilt großer Dank, über diesen einen Abend hinaus und dass am
nächsten Morgen Doktor Pichelstein nicht, wie versprochen, zum großen
Staubsaugen antrat, möge in großer Verzeihung geschrieben werden. Aber nun,
schottischer Whiskey in einem Pensionszimmer, das in aller Früh: Bedenklich für
jeden Weckservice.
Draußen, im grünumfluteten Hof, lustwandelt derweil Doktor Makarios, ein Plauener Spitzendeckchen auf dem Bauch. Schön ist’s am Brunnen vor dem Tore, findet auch Dr. Pichelstein und pullert hinein, wäscht sich die Hände, um damit illustre Gäste der Pratajev-Gemeinde zu begrüßen. Der Fanclub Karl-Marx-Stadt ist beinahe vollzählig vertreten, Berliner (die am nächsten Tag, recht trunken, in einem Neigetechnik-Zug den verschaaften Weg zurück fahren müssen), Großenhainer, Dresdner – der Eintritt überknappt die Unkosten. Das beruhigt den Schatzmeister der Pratajev-Gesellschaft, Igor Kommerzoff, ungemein.
Alles Diakonie. Der Ort gehört dem evangelischen Zweckbündnis aus
Lutheranern und solchen, die hier am Altennachmittag mit Pamperswechslung
bespaßt werden. Zum Beispiel vom Rednerpult aus betrachtet; das weiß-blaue
Signet der Diakonie dürfte eigentlich gar nicht übertüncht werden. Makarios
beginnt den Kongress mit einer Subtilbegrüßung wachen, mutigen Timbres, erklärt
den geplanten Abend, gemahnt an Pratajev als Holzkarussellführer. Zwischendurch
– und weit danach - erklingen die Russian Doctors; Pichelstein erzählt aus
Fälschung und Forschung. Nachzulesen im Haus aus Stein II, dem jährlichen
Almanach der Gesellschaft, sind auch die in der Pause gefragten Bedenken, ob
Frauen, die Lehrer heiraten, tatsächlich Himbeeren im Kopf haben. Vermutlich
gar säckeweise. Wichtiger noch: Diskussionen, um die Frage, ob Pratajev von
Großenhain direkt in die Slowakei ging oder noch einen Abstecher gen
Karl-Marx-Stadt machte, was die hiesige Pratajev-Gemeinde vor Ort in nächster
Zeit erforschen möchte. Um beim nächsten Kongress den - diesmal von
Ehrenmitglied Biberowitsch eingeheimsten - Forschungspokal „Der Wanderer“ mit
nach Hause zu nehmen. „Der Pokal bleibt in meinem IKEA-Regal“, hört man darob
den ganzen Abend Biberowitsch rufen. Nun, wir werden sehen. Vermutlich wird ein
neuer Pokal erworben werden müssen.
Die dazugehörige Flasche Suhler Kräuterschnaps teilt sich indes
wie von selbst. Allen Mantras zum Trotz. Wofür verlieh das Podium den Preis?
Für den Diafilm „Pratajev in Großenhain“. Danke dafür; nun sind allerletzte
Zweifel darüber ausgeräumt, ob der große russische Dichter tatsächlich einmal
hier gelebt hat, obwohl er nicht im Nachkriegstelefonbuch stand. Mit jedem
guten Schluck werden die Stunden zu gefühlten Minuten, Sekunden, die keine
sind, sondern viel mehr. Und so klingt er aus, der IX. Pratajev-Kongress…
19.04.2008, Berlin/Schokoladen
Die
allererste Russian-Doctors-Pantomime-Show

Der Koch spricht englisch und kochen kann er gut. Es schmeckt
vorzüglich und die Thekenzunft verteilt erste Rationen Quartettkarten. Jede
Karte lässt sich in Schnaps und Restalkohol einlösen, was sich im Verlauf des
Abends als gar nicht schwierig erweisen soll. Bedenken, dass vorher mit den
Karten, wohlmöglich gar gegeneinander, gespielt werden muss, stellen sich als
unbegründet heraus. Die Bühne steht, der Mischer liebt seinen Job und verteilt
Scheinwerfer, was immer sehr von Vorteil ist. Vor allem, wenn ein rotes Licht
ins Publikum tausendschön strahlt.
Myspace-Freunde dringen vor ins Schokoladen, andere adden die Doktoren noch in derselben Nacht an. Wiederum andere kennen sich seit Jahr und Tag mit Makarios und Pichelstein aus und wissen zu genau: Vorher rasch zur Schnapsbar; Promille liegt in der Luft, die elektrisch beraucht werden darf. Das Intro feuert aus den Boxen, Vertreter des hohen Nordens schwingen die Hüften, wiegen den Rumpf. Und irgendwann beginnt die allererste Russian-Doctors-Pantomime-Show, direkt vor der Bühne. Danke, das war wirklich toll… Aus den Amüsiertränen der Gästinnen hinterer Reihen wischte sich die Putzfrau noch am nächsten Tag einen schönen See zurecht.
Weit über zwei Stunden später ist’s vollbrach; die Pension „Wolke
Kuckucksnest“ wird über historische, Köpenicker Umwege erreicht. Man streifte
gar das DT-64-Gelände, holperte durch Schrebergärten und über Trampelpfade. Mit
einem stillen Lächeln im Gesicht, denn zufriedener geht es nicht.
23.04.2008,
Halle/Flowerpower
Wie ernährt
man sich ohne Unterkiefer? (152)
Die Überschrift dieses Berichtes soll eigentlich folgende Frage
implizieren: Wie spielt man ein Konzert ohne Anlage zur Beschallung des
Publikums, kurz PA genannt? Nun, bestenfalls gar nicht. Russische Doktoren sind
nämlich bei weitem weder bärtige O’Nash-Bänkelsänger („How many roads must a
man walk down, before you can call him a man usw…“) noch herumstromernde
Pfadfinder mit Wandergitarrenabusus. Russische Doktoren sind in erster Linie
laut, herzergreifend und schnell. Müssen sie auch sein; live gibt’s die
pichelsteinsche Speedgitarre unterm Makarios-Gesang nur als pratajevsches
Donnerwetter, wenn Boxen vorgeschaltet sind. Aber, Flowerpower-Halle, du kannst
nichts dafür. Doktoren lasen den Vertrag zu wenig, dort stand drin: „Bands
bringen Verstärkung mit“. In Sachsen-Anhalt macht man das in der Regel. Und so
fahren sie dort wohl scheppernd durch die Gegend, jene Combos und Bands: Schwer
beladen, mit Boxen und Mischpulten, von Ort zu Keller, um veritabeln Lärm
produzieren zu dürfen.
Im ehemaligen Kino „Urania 70“ am Hallenser Moritzburgring
residiert das Flowerpower. Nach langem Leerstand hauchten streng(e)
Verantwortliche staubig-zärtlich Licht und Leben hinein; der Umbau ist noch
nicht ganz abgeschlossen und wieder blickt man – als Leipziger – sehr neidisch
auf eine Lokalität dieses Ausmaßes. Damit zu kontern: Na ja, uns tunneln sie
gerade mit einer U-Bahn, führt zu gar nichts. Die hiesigen Stadtoberen sollte
man dafür einfach nur in einen Sack stecken und verhauen. Man träfe immer den
Richtigen. Aber zurück zur Unterkieferaffäre: Die Suche nach einer PA beginnt
fieberhaft. Da ja – wie bereits beschrieben – sämtliche Combos und Bands des
Landes gerade unterwegs sein müssen, kein leichtes Unterfangen. Bei einem
miesepetrigen Anton-aus-Tirol-DJ wird’s Thekenpersonal fündig. Und so steht
alsbald Gerät bereit, was mit Hilfe eines meisterlichen A&V-Spezialisten
(…klebt unpassende Kabelagen einfach an den jeweiligen Polen mit Gaffaband
zusammen. O-Ton: So haben wir das in der DDR immer gemacht…) schlussendlich zum
finalen Soundcheck führt.
Der Hallenser Fanclub bildet die Konzert-Hauptkulisse. Frau Kissen
und Frau Trinks (genannt Beks) sollen darob besonders gehuldigt werden. Wurde
je erwähnt, dass beide über zwei Meerschweinchen verfügen, die auf Namen wie
„Makarios“ und „Pichelschwein“ hören? Tragisch an dieser Stelle: Makarios hat
neulich Pichelschwein geschwängert; man weiß nun nicht so genau, wie der
Nachwuchs benamst werden soll. Doktoren wünschen sich jedenfalls einen kleinen
Pratajev und dazu einen Prumski. Diesmal sollte allerdings vielleicht vorher
nachgeschaut werden, ob das mit den schweinischen Erlebnisorganen auch passt.
Bemerkenswerte Feststellung zum Ende des Abends: Das Hallenser
Flowerpower hat es als einzige Lokalität weit und breit geschafft, den
Bedürfnissen von WC-benutzenden Frauen gerecht zu werden. Hinlänglich bekannt
dürfte folgende Tatsache sein: Am liebsten gehen Frauen gemeinsam ZUM Klo.
Flowerpower-Userinnen können darüber nur lachen. Sie gehen nicht nur gemeinsam
ZUM Klo, sondern auch gemeinsam INS Klo. Auf zwei Keramiken nebeneinander, in
derselben Kabine, lässt es sich eben viel besser …reden. Doktor Makarios und
Doktor Pichelstein erheben dazu – an der vermutlich längsten und
flaschenbefülltesten Bar des Frühaufsteherlandes – das schwarzbraun befüllte
Glas und klirren mit dicken Eiswürfeln drin. Während dort, wo eben noch
konzertiert wurde, zwei ex-juvenile Mittwochnachtmädchen um die Wette vor sich
hin strunzen. Denn, mit Verlaub, tanzen kann man das nicht nennen.
24. April
2008, Elbeday-Festwoche, Brückenkopf / Torgau
Einskommafünf
Tage vor der Notaufnahme (153)
Zum dritten Mal im beschaulichen Torgau; Doktoren tasten sich auf
dem Landweg hin. Schön ist’s allemale – der Raps blüht spät in diesem Jahr,
dafür maien die Glocken und muhen die Kühe. Doktor Pichelstein verfährt sich
gar durch Eilenburg und erneut muss konsterniert festgestellt werden: Diese
Stadt hätte einfach mit der Jahrhunderflut 2002 weggespült werden müssen. Dafür
ist Torgau eine Reise wert, besonders der Brückenkopf, als Kleinod der Kultur,
so wie sie sein soll.
Bereits am Auto ist die Wiedersehensfreude groß; Sozialarbeiter
Jörg nimmt Doktor Pichelstein in freundlichen Beschlag. Waren die zwei doch vor
ein paar Jahren noch Arbeitskollegen. Was bestimmt keiner weiß: Vor einiger
Zeit jobbte der Gitarrenmeister in der örtlichen Straffälligenhilfe, besuchte
Jugendgefängnisse und organisierte Trainingskurse für jugendliche Hühnerdiebe
und Messerstecher. Kein leichtes Unterfangen, wenn man die Gegend etwas näher
studiert hat. Ein Beispiel: Jugendlicher A raubte den China-Imbiss auf dem
Torgauer Markplatz nachts aus. Beute: Zwei Paletten Bierdosen. Bis in die
Mittagsstunden hielt der Vorrat an, resp. fielen die leeren Bierdosen – aus dem
offenen Fenster einer Wohnung – auf den Markplatz, denn Jugendlicher A wohnte
direkt neben dem China-Imbisswagen. Der Besitzer des Wagens erkannte seine verlustigen
Bierdosen wieder, telefonierte die Polizei herbei und tja, dann rief man Doktor
Pichelstein auf den Plan…
Besonders voll ist es heute nicht; einem Donnerstag folgt immer
ein schulpflichtiger Freitag und viele Doktorenfans der Gegend müssen da hin,
zur Schule. Macht aber nichts; nach dem Soundcheck folgt der Koch mit seinen
Gaben, lecker schmeckt’s und schwer, dann kreist der Pratajev-Abend seine
Runden. Ein paar Doktoren-Stücke, Makarios liest Pratajev, noch mehr Stücke,
ein bisschen Pause und ganz viel Konzert. So könnte man es kurz zusammenfassen.
Am Ende läuft der allererste Pratajev-Film und alles in allem ist man dankbar
für den schönen Abend und fällt genüsslich in die Pensionsbetten. Einskommafünf
Tage später liegt Doktor Pichelstein in der Notaufnahme der Uniklinik Leipzig,
doch das hat andere Gründe und gehört gar nicht hierher. Jedenfalls: Es geht ihm
bereits wieder besser und das Leben samtet stets sehnsuchtsvoll weiter. Meistens.
05. Juni
2008, Festival der Zweimannbands, Leipzig / Schaubühne Lindenfels
Von
Haftpflichtversicherungen und einem Anti-Schwitz-Hemd (154)


Doch egal. Das Festival der Zwei-Mann-Bands funktioniert im Grunde
prächtig. 120 bestuhlte Gäste liegen – von der Bühne aus betrachtet – im
Streubereich des Erkenntlichen. Russische Doktoren spielen zu Beginn eine halbe
Stunde; der Tonmischer vernachlässigt jede tonale Übersteuerung und so platscht
der Sound im leichten Langerfeuerflair auf unklar weit entfernte Reihen nieder.
Ein strengweißes, lichtkegeliges Deckenlagerfeuer, vor dem man sich dennoch in
der Zugabe höflich bückt; dann wird der Staffelstab weitergegeben an die
gottergebene, vollends vermummte, wunderbar röhrend aufspielende,
durchlauferhitzte Emopunkmetalkapelle „Die Pest“.
Doktoren trocknen jeden Schweißtropfen einzeln ab. Erneut muss
Flüssigkeit ergänzt werden - während Herr Kudernatsch bereits im
Ant-Schwitz-Hemd badet. Danke für diesen schönen Abend auf dem „Festival der
Freaks“.
13. Juni
2008, Hochzeitsnacht in Dresden, Gare de la Lune
Ein durchaus
spektakuläres Wochenende, Teil I: An der Brautbar steht das Brautpaar (155)
Nach Ankunft am Dresdener Mondbahnhof stellt sich erst einmal die
Frage: Wo ist das Brautpaar? Beruhigende Feststellung beim Blick in den
Festsaal: es wächst und gedeiht im Kreis der Liebsten. Es gibt einige Dinge, die Hochzeiten so besonders machen.
Alle sind hübsch gekleidet (allen voran: die Braut), viel gibt’s zu essen und
zu trinken, man begrüßt sich, schwatzt herum und hofft, dass vielleicht etwas
Außergewöhnliches passiert. Nun, für diesen Part lud man vermutlich im Vorfeld
– dankenswerterweise – die Russischen Doktoren ein. Gerne sind sie heute hier,
technisch unterstützt durchs befreundete Gare de la Lune-Personal. Abgelenkt
von packenden EM-Vorrundenspielen wird indes zunächst einmal die Herfahrt
getränklich, im Public-Viewing-Zelt um die Ecke, verdaut. Ehe Rumänien den
Elfmeter, kurz vor Schluss, gegen Italien verschießt, geht gar nichts.
Schließlich wurde die sächsische Landeshauptstadt (Aktuelles, plakatkommunales
Wohlkampfmotto der FDP: Dresden zuerst! – Warum nicht gleich: „Dresden über
alles“, werte Waldschlösschen-Freidemokraten?) in Rekordzeit von weit über drei
Stunden erreicht. Und das kam so:


An der Brautbar steht das Brautpaar, schwebt durch die Luft.
„Vielleicht liegt’s am Schnaps“, mag sich eine schwarze, junge Gästin denken,
die darob draußen – beseelt von dieser Nacht -
in einer steinernen, finsteren Ecke mützenweise Schlaf sucht. Doktoren
laufen dran vorbei, den Berg hoch zur Pension Helga. Aus der Nähe hört man
Pichelstein singend jammern: „Watzmann, Watzmann, Schicksalsberg, du bist so
groß und I nur a Zwerg“.
Ein durchaus
spektakuläres Wochenende, Teil II: Der
Plastebauch (156)
Ganz besonders große Anlässe fordern ihn stets heraus, den Tag
danach. Von den Amerikanern „The day after“ gescholten. Was indes die Afghanen
dazu sagen, bleibt im Verborgenen. Vielleicht existiert ein „Tag des Schafes,
das nicht mehr kötteln konnte“ (abgeleitet von einem indischen Vorurteil,
afghanische Männer betreffend – auf Details muss an dieser Stelle streng
verzichtet werden). Wie dem auch sei; Gastgeber Willi lebt am besagten 15. Juni
2008 noch und blinzelt versonnen auf die Morgenrunde im Garten des heimatlichen
Hofes. Ab und zu tropfen Schlafgäste hinzu, von denen man nicht genau weiß, ob
sie denn – eben – noch schlafen oder zumindest schlafwandeln. Ein heftig
aufgerissener Rosé-Sekt führt allerdings bei den meisten zu stoischen
Verweigerungsgesten. Noch, denn gegen 11 Uhr hat man sich auf Tequila eingeschworen. Ein alter Wittenberger
Brauch unter bolivianischer Flagge. Ohne das alles noch zu erleben, müssen
beide Herren Doktoren jedoch in die Busspur. Bye bye, Pension Einkehr (mit der
härtesten Wirtin am Platz. Zitat: „Hier herrscht striktes Rauchverbot!“),
tschüß Karl-Marx-Straße, Getränke-Kino im Kuriosum der Häusernummern. In diesem
Stadtteil folgt auf die Nummer 22 eben die Nummer 25 auf selbiger Straßenseite.
Ciao, Polizeieinsatz nach dem gestrigen Garagen-Konzert. Weg mit Dir,
griechischer Mauerfußball (Danke, Russland!) und natürlich: До свидания, Willi,
niemand soll erfahren, wann das trunkene Haupt federkernweiche Erlösung fand.
Und dass der Pratajev-Songtext „Das Idyll“ schon so manchen jungen Mann
inspirierte, nun, das wissen bereits die Karl-Marx-Städter aus einem
letztjährigen Frankenberg-Konzert nur zu genau…

Unterbrochen mit einer kurzen Husch-Pause gelingt der wilde Themenpart beider Konzertblöcke prächtig; Doktoren freuen sich bereits aufs nächste Grillfleisch und haben nichts gegen die rasche Einnahme selbstgebrannten Brombeerschnapses einzuwenden. Im Gegenteil. Es folgt die Nacht und all das, was unvergessen bleibt. Anfangs steht’s hier schon umschrieben. Der Afghanische Muttertag nähert sich neuen Horizonten und aus den Büschen pfeifen Schiedsrichter-Spatzen erste Gäste mit roten Nasen in die Schlafsäcke, Decken und Daunen.
21. Juni
2008, Fête de
la Musique, Moritzbastei / Leipzig
Die
rotgepustete Klarinetten-Frau (157)


Auf
der Bühne spielt eine Mädchen-Formation norwegische, russische, französische
und vermutlich auch tibetische Liedtexte zur musikschulhaften Performance. So
etwas nennt sich „Weltmusik“ und wird immer gerne gehört. All die Norweger,
Russen, Franzosen usw. tragen nun einmal ihr begnadetes Herz auf trunkener
Seele, was schwermütige Fellgeburten stets erfreut. Doktor Makarios lässt sich auf
der Stelle eine ganze Flasche Rotwein kredenzen. „Ah, das ist ja was. Makarios, so kennt man
dich, hallo“, wird der oberste Pratajev-Doktor von Bekannten umschwärmt. Da
bleibt man besser ungerührt.
Das
Ende des Liedvortrages: Eine rotgepustete Klarinetten-Frau und eine weitere
Formation (diesmal in Rock) baut sich auf, spielt ein Set und stellt sich
darin, mindestens zur Hälfte, umbrandet von juckenden Solis aller Musiker,
selbst vor. Dann sind die Doktoren an der
Reihe. Und wie’s bei solcherlei Veranstaltungen immer so ist: für manches
Publikum ein Frevel, für die meisten jedoch ein Fest. Kindern werden die Ohren
zugehalten („Beim Bücken“), älteres Volk, leicht beschwingt, wippt mit den
Füßen und – wenn man genauer zuhört – wird sogar bis zur „Schnapsbar“
mitgesungen.
Die
zauberhafte Regie gibt das Zeichen: Plätze besetzen fürs Fußballspiel. Und mit
dem letzten Ton beginnt fast schon die Nationalhymne Russlands. Eine der
schönsten, weltmusikalisch betrachtet, Hymnen schwermütiger Musikgeschichte.
27. Juni 2008
– Dresden/Elbhangfest, Gare de la Lune
Der Elbhang
wird volljährig, Teil I (158)
Unter
Hufeisennasen
Ein Himmel wie im sozialistischen Mai, die Sonne bekocht
Wolkenfitzel und beschlagen dämmern russische Doktoren auf zum nächsten Kapitel
Elbhangfest. Der Stau beginnt diesmal nicht erst am Blauen Wunder, nein, die
A14 ist dicht, kurz hinter Leipzig. Macht aber nichts; Doktor Makarios weist
den Umweg über die alte Heimatstadt Grimma. Immer wieder schnellt die
Erinnerung, mittels Zeigefinger, hervor: „Da, wo jetzt der Kreisverkehr ist, da
hat mich mal ein Motorrad überrollt…“ Natur pur, umrahmt von einer Autobahn,
gelbgrüne Idylle am Nachmittag und beide Doktoren mittendrin. Aus den Boxen der
„Grüne Apfel“ von EA 80, Snackpapiere, Colaflaschen und Senftüten säumen den
Boden. Leicht klappert ein Gitarrenständer vor sich hin; er weiß, was ihn
erwartet: Drei Elbhangfesttage, zwei Auftritte am Gare de la Lune und jede
Menge Zeit, es sich darin gemütlich zu machen.


Doktor Pichelstein wird am Bühnenrand, ärztlicherseits,
chirurgischer Gerstensaft verordnet bis gereicht. Dr. Makarios signiert CDs und
am Merchstand ist der Teufel los. Obwohl die eigens engagierte Verkaufsfee eher
güldenen Engelsflair verströmt. Bis morgens um vier trinkt sich hernach die
Nacht ins Helle; Familie Österreicher vom Elbhang um die Ecke sei dafür grüßend
aller Herren Dank ausgesprochen.
29. Juni 2008 – Dresden/Elbhangfest, Gare de la Lune
Wer den
Nachmittag verschläft. Der Elbhang wird volljährig, Teil II (159):
Nun kann das Endspiel kommen; danach ist erst mal Ebbe im
Fußballland angesagt. „Eine Wattwanderung im Würmerdreck“, sagen sie dazu an
der Nordsee. Doch nein, Doktoren lieben die Ostsee, und müssen da immer wieder
hin.
02. August
2008, Pirna / Hoffest
Eine
Reise mit den Doctors ist nun einmal keine Apothekenrundfahrt (160)
So ein Glück. Ganz Deutschland versinkt im Unwetter, Keller pumpen
sich leer, nur in Pirna scheint die Sonne arg geschickt um ein paar
tschechische Wolkenzipfel herum. Darunter ist’s heiß, schwül und trocken.
Genauer gesagt: Die Lange Straße 36 mit ihrer Hutbühne, dem knisternden
Soljanka-Holzgrill, nebst prächtigem Getränkestand, den eigens dafür
verantwortlichen, frohgemuten +punkt ingeneuren lädt zur Einkehr, zum Mochito,
zum ersten Bier. Gar nicht so einfach da noch an den schindenden,
schweißtreibenden Bühnenaufbau denken zu müssen. Während Doktor Makarios auf
Pensionsschlüsselsuche geht, regeln Shiva und Doktor Pichelstein den Rest. Es
soundet mundgerecht vor sich hin - von gar nicht fern sieht man eine
überschminkte Mädchengang auf dem Weg zum ersten Getränk. Heute sind die
Erlebniszellen aktiviert, Pirna feiert ein offizielles Hoffest. Die Hutbühne
darf das nicht, was der Sache keinen Abbruch beschert.
Fast hätte Doktor Pichelstein noch von einem verlockend dreinschauenden Marmorkuchen mit Kerze obenauf genascht. Aber nur fast; so dreht sich die Welt am nächsten Mittag noch um die eigene Achse. Der Tourbus rauscht über die Autobahn. Das Frühstück gelangt, umspült vom türkischen Kaffee, lecker in den Mund. Und all das nicht umgekehrt.
09. August
2008, Königstein/Stadtfest
Königstein
bei Lichte (161)
Ein Schicksal des Doktor Makarios ist es, dass viele Dinge, die er
im Werk Pratajevs entdeckt, irgendwann einmal auf ihn selbst zurückfallen.
Welche das genau sind, wollen wir gar nicht beschreiben. Vermutlich hadern
viele Forscher, Fälscher und genauere Betrachter des Lebenswerks Pratajevs mit
solcherlei Dingen. Innerhalb der vereinsumtriebigen Gesellschaft wird deshalb
gerade über eine „Selbsthilfegruppe der Pratajevgeschädigten“ debattiert. Den Vorsitz
soll das wahlschweizer Ehrenmitglied Herr K. übernehmen.
Betrachten wir nun aber den ersten Auftritt der Doktoren in
Königstein und zwar bei Lichte. Denn während sich dunkle Wolkenkorsos von
Leipzig nach Dresden verorten, scheint die Sonne überm Bühnenort im schönsten
Glanz. Das diesjährige Stadtfest zu Königstein besteht aus einem
Bratwurst-Rummel und einem Konzert der Russian Doctors – letzteres in Höhe und
Breite ausgerichtet vom Wirt des Gasthauses Schräger’s. Nicht nur kulinarisch
ein Höhepunkt der Gegend zwischen Pirna und Tschechien. Wer also einem
Reisetipp der Doctors folgen möchte: Unbedingt in die Kirchgasse wandern, dort,
wo die Turmglocken ihr stündliches Spiel treiben. Wer zuviel besten Rotwein und
zartestes Wild, leckeren Fisch usw. vernaschte, lässt sich hernach, noch mit
einem Obstler verwöhnt, bequem in angeschlossene Pensionsbetten fallen und
genießt beste Aussichten. Für Makarios und Pichelstein gilt das alles insgesamt
etwas später; zunächst wird eine Wespe betört, eine katerkampfgezeichnete
schwarze Katze am Bühnenrand ausgemacht, ein recht hübscher Wildbahnkäfer
XXL ins Gras gesetzt und der Sound
gecheckt. Die Bänke und Tische füllen sich, mancher Heißhunger auf Wurst vom
Grill wird rasch zum Schweigen gebracht.
Das Intro läuft und eine Menge Stadtfestvolk lässt sich durch Pratajevs Weisen anlocken. Die trinkfeste, fröhliche Schicksalsgemeinschaft bilden: Junge Menschen, der schulischen Kreidezeit gerade entronnen, Rentner in wandernswerter Einheitskluft, durchaus bekannte liebe Frankenberger und Fährschiffer von der anderen Flussseite sowie alle anderen, für deren Kommen die Doktoren sich bedanken. Nun haben viele von Euch also auch eine Halbgötters-CD zuhause. Das ist sehr löblich. Bis zum nächsten Mal und über alle Zugaben hinaus grüßen Doktor Makarios und Doktor Pichelstein, winkend von der Schnapsbar mit dem glasverpackten Schluck in der Hand.
PS: Der Katze geht es nach wie vor gut und das Konzert war uns ein
Genuss
06. September
2008, Zerbst / k6
Beste,
russische Verhältnisse (162)
Wie schnell doch so was gehen kann. Knappe zehn Meter vorm
Tourauto, kurz vor den Dessauer Autobahnabfahrten, wird Crash-Geschichte
geschrieben. Das regennasse Drehbuch verhilft ausgerechnet dem
Unfallverursacher zur Flucht nach vorn, während rechts wie links blechknallende
Autos über die A9 schießen. Eines kommt, fahrerhälftig gekürzt, an der
Mittelleitplanke zum Stehen, ein anderes unmittelbar vorm Bremspedal des
Doktorenautos. Glück gehabt – vorher auf der rechten Spur den langsameren Weg
gesucht. Man denkt vermutlich viel zu oft, das Leben geht so mirnichtsdirnichts
einfach weiter. Und bumm, hängt es bereits am spinnenden Faden.

Das k6 wird immer schöner, immer rustikaler, immer russischer. Sogar die Technik spielt bei diesem Vergleich mit und lupt zunächst im Argen, was ihr gönnerhaft fein ausgetrieben wird. Dafür - und für die baldige Rückverbringung eines später vergessenen Sangesmikros - gebührt Techniker Sven alle Ehrenmitgliedschaft in der feinen Pratajev-Gesellschaft.

Die Schnapsbar in der Doktor-Leber-Straße
19. September
2008 – Wismar, Tiko
Bereits am Vortag beginnt die Reise - unter einem Zwischenstopp
bei Amadis in Potsdam. Dort, wo die ARTigen Konzertfäden gesponnen werden.
Unter 120 km/h muss der vorbehaltlich TüV-geprüfte Bus, enorme
Kaugummikilometer vorher, fahrbahntauglich beladen werden. Und unter
wonnefeiner Herbstsonne lassen sich frühabendliche Klöpse, harte Eier,
Thermokaffeegüsse an geschmiertem Gebäck so genussvoll vertilgen wie damals,
als ein Picknickkorb noch unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Reisegruppe
war. Vor allem dann, wenn Brandenburg durchfahren werden muss - kulinarische
Katastrophenlandschaft vor dem hungrigen Herrn, nur gesegnet durch folgende
Hoffnung: Madame Mecklenburg-Vorpommern liegt vorne mit ihrer brüstenden
Ostsee, ihren perlenden Stränden, unfertigen Autobahnen, Landstraßen mit recht
eindrucksvollen Mähpanzern drauf, ihren reichen Fischplatten und z.B. ihrer
Insel Poel. Dorthin zieht es beide Doktoren, zum Zwischenstopp vorm Wismarer
Konzerttag. In den Schwarzen Busch, der in erster Linie durch eine Kurklinik
überregionale Berühmtheit gewann. Gute Vorsorge, reichliche, flüssige
Rehabilitation sind des Glückes Unterpfand – beide Buschkneipen sind bei
Ankunft bereits knapp verriegelt. Der voraus gestellte Lidl-Besuch im
Nachbarort egalisiert indes alle Sorgen.
Wismars innerstädtische Bahnübergänge sind ein Novum. Besonders der mit den vielen Güterzügen. Zur besten Nachmittagszeit - alle Familienkombis gefüllt mit Vorräten und rücksitzigen Kindern, die aussehen, als sei gerade sämtliche Schokolade abgeschafft worden - fällt die rote Beschränktheit im 3-Minuten-Takt. Doktoren harren der Dinge und warten 10 Minuten. Motor an und fünf Meter weiter. Schranken fallen erneut. Wer hier keinen Kickstart drauf hat, bleibt auf der Strecke. Wie viele Waggons waren es gerade? 54, mindestens. Die Rangierbahnen ausgenommen; was für ein Heidenspaß muss das für einen Lokführer sein. Schließlich wendet Doktor Pichelstein, gibt Gummi und braust anderweitig zum Ziel, dem Tiko in der Dr.-Leber-Straße 38.
Die heutige Schnapsbar steht also an der Dr.-Leber-Straße. Wie
passend. Die Gastfreundlichkeit im Club ist herrlich unbegrenzt; hier wohnt und
arbeitet man. Ein Kollektiv, begnadet, und dass es sogar nicht rein vegetarisch
zugeht, können beide Doktoren lecker unterstreichen. Schließlich müssen sowohl
Dr. Makarios als auch Dr. Pichelstein mit der eiweißhungrigen Blutgruppe O
vorlieb nehmen. Die gestattet nun mal keine reinen Gemüsesüppchen zur Erbauung.
Ach, viel mehr noch kann übers Tiko geschrieben werden, über Hasenzucht und
feines Publikum, doch belassen wir es mit einer Danksagung an dieser Stelle.
Für alles in Pratajevs Sinne. Gespielt wird, gelesen wird auch. Keine Pause,
reichhaltige Zugaben, reißende Gitarrensaiten. Ein METchen tritt der
Pratajev-Gesellschaft bei. Funktion: Marcelladenherstellerin. Dann fällt der
erste Gast krachend auf den Holzboden, wird überstolpert vom nächsten. Doktoren
prosten sich glücklich zu und weil der Weg in die Kasematten nur ein Stockwerk
höher liegt, ist der holden Anstrengung bald genüge getan. Zum Frühstück werden
sich einige wieder sehen, doch das liegt in einer anderen, fühlbar weit
entfernten Zeitfuge. Naseweiche, reißfeste Taschentücher säumen das Rund.
20. September
2008, Schwerin / zeppelin CLUB
Der
Wurm des (Led) zeppelin (164)



Auf dem Schweriner See kreist viel Federvieh Brotkrümeln hinterher, drum herum finden vermutlich gerade die Paralympics für Rollstuhlaltenheimer statt. Eingemummelte Greise ziehen Schnuten; den sehr jungen Schwesternschülerinnen hinten dran gefällt’s auch nicht. Touristenbusse kurven allerorten und im Freisitz an der Strandperle beziehen beide Doktoren Posten bei Würzfleisch, Milchkaffee und soderprobtem Weißwein. Der Menschenzoo ringsherum verlangt nach Aufmerksamkeit und eine redenschwangere Feier zum Achtzigsten wird in die Perle, nach drinnen, verlegt. Omi ist kalt in der Sonne. Wenig später trifft Werder zum Fünfzunull in München.



10. Oktober
2008, Mühlhausen / Kulturfabrik
Die
schwankenden Pfade oder:
Jägermeisteraufstand
hinter den sieben Bergen (165)
Viele fertige Kilometer Autobahn besitzt das Land, ein einziges
Dahinrauschen ist’s. Von A nach B über C nach D. Fährt man hingegen durch
Thüringen, gelten noch die Kirmesgesetze des 30-jährigen Krieges. Warum eine
halbe Stunde vor Nordhausen die uns bekannte Zivilisation komplett eingestellt
wird, war den Mansfelder Schiefhälsen, tief unten im Kupferberg, bereits in
alter Zeit Rätsel genug. Muss man jedes Dorf von innen sehen? „36 Kilometer
Südharzautobahn sofort“, ruft Doktor Pichelstein am Steuer, Kreisverkehre im
Blick, Heumännchen am Stolperrand. Die Blechlawine schleift sich durch enger
werdende Gassen. Dann kommt nur noch Wald. Finstrer Wald, sonnendurchfluteter
Wald, nebliger Wald. Serpentinen hoch und runter; hinter den sieben Harzbergen
liegt schließlich Mühlhausen. Endlich Zivilisation, das süße Pflaumenmussland
Thomas Müntzers ist erreicht. Zum Klerus mit Nordhäuser Doppelkorn (ist eh von
Rotkäppchen geschluckt worden).


Wohl denen, die sich im Nachgang gepflegt um eine prickelnde
Rosé-Sektflasche scharen, die selbst in der Pension „Zum ewigen Rath“
mittelalterliches Mühlhausen verströmt. Sie haben es sich verdient.
11. Oktober 2008, Fürstenwalde / Club im Park
Die
kalte Axt der Klofrau (166)
Keine weiteren Autofahrten mehr von shakespearhafter Tragik; ein
unterschwelliges Motto im Tourauto – während Doktor Makarios an weit
zurückliegende, letzte Mahlzeiten gemahnt. Rasch wurde das Land der
Frühaufsteher überfahren, schließlich Brandenburg erreicht, jenes kulinarische
Niemandsland, offensichtlich aber zumindest perspektivhungrig. Autobahnschilder
erzählen davon. Wobei noch eingeworfen werden sollte, dass jenes „Land der
Frühaufsteher“ genauso gut auf Alexander Wolkow gefußt sein könnte. Durchs
Sachsenanhaltinische mögen sie streunen, der Scheuch, der eiserne Holzfäller,
Elli, der Hund Totoschka, der feige Löwe. Verfolgt von Säbelzahntigern,
geflügelten Affen, im Geiste einer bösen Hexe Gingema. So stellen wir uns mal
das Land der Frühaufsteher anno 2008 vor.
Perspektivhungrig steuern beide Doktoren die letzte Autobahnraste
vor Fürstenwalde an. Wie sich im Verlaufe des Besuches herausstellen sollte,
eine Option unterster Kanone. Zunächst wird gerade der Kaffeeautomat entkalkt;
die Offerierung zweier Tassen Milchkaffee gerät zur Farce. „Gehen sie mal in
die Tankstelle, hier kann ich gerade nur Filterkaffee machen“. Nein, Doktoren
lassen sich da lieber erst vom Duft der Klostein-Örtlichkeiten verführen.
Kaffee ist doch Kaffee. Und eine Klofrau eine Angestellte eines
Subunternehmers, die dafür Sorge zu tragen hat, dass der WC-User nicht in den
Pullerpfützen seines Vorgängers matschend zu Fall kommt. Hier pfützt es
ungemein; keine Schneeschmelze kann dafür zur Verantwortung gezogen werden. Als
es beide Doktoren wieder ins Wesentliche der Raststätte zurückzieht, schwingt
die kalte Axt der Klofrau nackenbedrohlich nieder. „Sie müssen DAS bezahlen“.
Wobei eine nähere Umschreibung des Synonyms ausbleibt. Doktor Pichelstein
steuert stoisch einen Fettstand an. Doktor Makarios zahlt besser; wer weiß, was
es sonst für einen Aufstand gegeben hätte. Die Raste ist beinahe leer; Zeugen
für eine mögliche Bluttat wären – post mortem - schwer zu finden.
Am Fettstand sind die Bockwürste alle und der sattsam bekannte Satz, dass es noch welche an der Tankstelle geben müsse, reicht jetzt. Die Ersatz-Bestellung fällt bratwürstig, klopslastig aus. Als der Filterkaffee endlich in die Kassentassen fließt, sind die Cholesteringranaten den herbstlichen Außentemperaturen gleichgestellt; aus der Wurst spritzt eine seltsame Mischung kalten, wässrig-gelben Fettes. Nichts wie raus hier mit Senf am Revers.
Groß ist das Glück, als der Club im Park erreicht wird. Schön finster
gelegen, mitten im Wald. Ein streunender Elchbulle, verfolgt von polnischen
Wolfsrudeln, wäre nicht weiter wunderlich gewesen. Stattdessen baut sich im
Club die Technik auf, die Belegschaft begrüßt russische Doktoren. Eine lange,
verwinkelte Schnapsbar lädt zum Bleiben ein. Zwar läuft gleich das Gruppenspiel
zur WM, Deutschland gegen Russland, doch – umso schöner – das Publikum schart
zwar nicht in Massen herbei, doch für einen heftigen Konzertabend wird’s
reichen. Im Raucherbereich trifft man sich auf Pratajev-Anekdoten; Doktor
Pichelstein lässt sich die Fußballzwischenstände liebreizend durchsimsen.
Podolski und Ballack trafen bereits ins Eckige. Das Konzert startet mittels
Intro; Gitarrist und Sänger sind gulaschsuppengedopt. Hinein in die Welt des
bekanntesten aller unbekannten russischen Landdichters. Dem Club im Park
gefällt’s und von den Wänden blickt Madame Historie zurück. Die ART waren vor
etwa 20 Jahren auch schon hier; schöne Erinnerungen, hinter Glas gebannt.
Eine Musikschullehrerin, fasziniert vom Akkordverhalten des Doktor
Pichelstein, drückt gegen Ende Hand auf Hand; Doktoren zieht’s mit dem Taxi in
die Pension, gegenüber von Lothar Biskys-Bürgerbüro. Noch ein letzter,
brennender Schnaps an der Bar, dann ein „Tschüss“, ein „Bis Bald“ und bis zum
nächsten Jahr.
06. November
2008 - Berlin/Halford
Buntmetall
(166)
Die Busfahrt zum Tourauftakt nach Berlin gleicht zu ungefähren
Teilen einem Kinobesuch des frischen 007-Films. A9nige Autos brennen, Sirenen
heulen - während vorher, am Schkeuditzer Kreuz, zwei LKW bereits krachend’
Buntmetall über die Fahrbahnen verteilt hatten. Links wie rechts werden
Doktoren rasant überholt, es scheint fast so, als dränge es jene Harakiris
unbedingt noch in die morgige Ausgabe des TV-Magazins „Brisant“. Immer
Wochentags, ab 17 Uhr 15: Die schönsten Crashboulevardleichen zuerst, dann die
Leute mit den Hackebeilchen und
tiefgekühlten Kindern, Feuerwehrmänner als Brandstifter - kulminierend
in markerschütternden „Prominews“, z.B. über die dickste Tochter des
Entertainers Roberto Blanco, die sich – aufgrund fehlender, väterlicher
Zuneigung, so der O-Ton – für ein Feigenblättchen nackich machte.

Kurz vor sieben steht der Bus vorm Halford; sogar ein Parkplatz findet sich später und das in erster Reihe. Glück muss jeder russische Doc haben, soll er auch - im Club spannt sich ein heftig’ Laken voll von metalliger Geräuschkulisse. Schnell ein Bier und noch ein ganz großes, dann sind die Koffer ausgepackt, stimmt sich der Sound, umringt vom fleißigen Bühnenverantwortlichen. Wenn man nicht streng aufpasst, wird aller gut gemeinter Überfluss in ein ominöses „Dahinten“ verbracht. Doktor Pichelstein erkämpft sich indes alles zurück; die Koffer mit den Ersatzsaiten, Batterien, Stimmgeräten und Kabeln darf er beim Auftritt in der Nähe behalten. In wenigen Minuten starten die „Dört Poetry Sessions“ – eingebettete Doktoren im Dichterkreis aus Tilman Birr und Florian Günther. Letzterer ist und bleibt Berlins einziger Bukowski feat. Jörg Fauser. Also Berlin, pass besonders gut auf diesen deiner Dichter auf.

Zuletzt ein Dank an beide Lautmaler und bis zum nächsten Mal und
Jahr, denn dieses hat bald Sendeschluss.
07. November 2008, Pirna / Uniwerk
07. November 2008, Pirna / Uniwerk
Bis zum
letzten Schluck: Elend und Pichelstein allein im Bus (167)
Erstmals spielen die Doktoren heute außerhalb der jährlichen
Hoffest-Sessions, im pittoresken Uniwerk, nur wenige Meter Kopfstein vom
sonstigen August-Geschehen entfernt. Der Herbst benimmt sich an diesem Freitag
wie es nasse Hunde tun, schüttelt sich, pullert überall hin und kläfft in den
Wind. SZ online schreibt: „Pirna. Hier braucht es echte
„Russian Doctors“. Sie hypnotisieren, fesseln und verschleppen das Publikum.
Kurze, knackige Songs werden auf dich einprasseln. Lass auch du dich von „The
best of the Halbgötters“ verarzten und sei am 7. November vor Ort im Pirnaer
Uniwerk. Los geht’s 20 Uhr.“
Zunächst einmal lockt ein örtlicher Kartoffelsack; auch als
Gasthaus und Pension bekannt, in der sich wallendes Servicepersonal wie bei
Madame Tussaud aufführt. Doktoren staunen nicht schlecht; eine Mittvierzigerin
posiert mit einem Strauß Erika in der Art von Michelangelos Fresken, rückt dann
aber doch die Zimmerschlüssel raus, gönnt Makarios und Pichelstein
Zwischendusche, Kurzruhe und Schickmache vorm 167. Konzert der Historie. Einige
Augenaufschläge später spricht der Konzertverantwortliche im Bus bereits
navigierende Worte; das Uniwerk öffnet den Hinterhof und alles sieht so aus,
als wäre man in Prag, als würde Franz Kafka gleich stockschwenkend zum Schnapse
eilen. Groß ist die Bar, lang dauert der Soundcheck nicht. Im Backstage stapelt
sich belegtes Gebäck, heiß begehrt auch von zwei sehr jungen Pirnaerinnen.
Doktoren geben gerne ab. Der Bus steht zu diesem Zeitpunkt mit angezogener
Handpedalbremse auf einem nassen Kopfsteinberg, dem einzigen freien Parkplatz
der Altstadt, schräg gegenüber einer Polizeistation. Doktor Pichelsteins
Sorgen, da jemals wieder heile runterzukommen, ertränken sich mit Wodka und
tschechischem Gerstensaft. Das philosophische Leben im Hier und Jetzt genügt
als Affirmation unter solchen Umständen, also: „Prost, Doktor Schnittecht -
hinein, auf die allerfeinste, frisch gestanzte Die-Art-LP“.
Zwei Intros, 35 Pratajev-Weisen, zwei Ersatz-Saiten auf zwei
Erlenholzgitarren, eine Pause, ungefähr 5-10 Zugaben, eine gefühlte Flasche
Wodka (eingeteilt in Saftglasmengen), eine Flasche Cola, darunter eine Handvoll
verkaufter Halbgötter-CDs und sehr viele wundgeklatschte Hände errechnen die
Bilanz des weiteren Abends. Nicht zu vergessen: Ein Gäste-Pullover,
unbrauchbar, weil angespieen. Ein Gäste-Sturz, nicht so schlimm, weil wieder
aufgestanden. Schnapsbarpersonal, hält sich geschlossen am Tresen fest,
Kühlschrank leer, weil ausgetrunken. Schafft es doch noch auf ein paar Beck’s
in den Keller, während im Discosound die Lichter lila schimmern und zwei
Musikerinnen, die eine spielt Blockflöte, die andere Cello, Doktoren zeigen,
wie sich Hüften schwingen lassen. Auf dem Tanzparkett im Uniwerk zu Pirna.
Doktor Pichelstein bettet das Haupt aufs Sofaeck und lässt sich gerne darauf
ein, das letzte grüne Nachtfläschchen einfach stehen zu lassen. Für eine
kurzkuschelige Nacht im Kartoffensack um die Ecke.
Wenige Stunden später ist das Hier und Jetzt ein entschieden
anderes. Kurz vor Frühstücksschluss reicht es gerade noch für Restbestände. Und
kaum dafür, den mittlerweile auch noch eingekeilten Bus aus schwieriger Lage
geschickt zu befreien. Während draußen der Regen an die beschlagenen Scheiben
zimmert, hocken Elend und Pichelstein gemeinsam in der Fahrerkabine und warten
auf ein Wunder. Schräg gegenüber der Polizeistation. Nur nicht auffallen an
diesem Samstagmorgen. Doch, so wie es die Toten Hosen seit Jahren singen: „Es
kommt die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft (…)“, oder anders: „Die Saale
wieder steigt“, geschieht es. Die Tür des anliegenden „TÜV – Betriebsärztlicher
Dienst“ öffnet sich. Eine weniger junge Krankenschwester rutscht ihren Kombi
zur Seite und der Rückrollschrägweg ist frei. Die Bremse bockt, der Kopfstein
knirscht, leicht kippelt’s, die Räder drehen durch; am Uniwerk wird die
Backline verladen und Doktor Pichelsteins Verabschiedung gleicht einer
wachsweichen Erleichterung.
08.
November 2008, Chemnitz / difranco
Herr
B. aus C. wird rund (168)


So wird geruht, die Eröffnungswoche eines neuen Döners an der
Hainstraße genutzt, jede Menge Ayran auf den toten Katzenkater gekippt, auf
MDR-Info läuft die Bundesliga. Mit dem Abpfiff des Spieltages beginnt der
Anpfiff für die Doktoren. Rein in die Schuhe, die Mäntel, in den Bus. Im
difranco scheint bereits Kerzenlicht, wartet ein Haufen feinster
Anschlussneigetechnik und die fehlenden Teile werden prompt aus dem Subway to
Peter geliefert. Denn: Herr B. aus C. wird rund, so das interne Motto. Obwohl
der 40. Geburtstag schon ein paar Erdumdrehungen her ist.

Der Soundcheck gelingt; das Buffet wird hochgrazilen Schachverstandes angezehrt, Gäste tröpfeln ein, ganze Reisegruppen sind darunter. Die Kellnerin läuft sich heiß. Und dann kommt sie aus der Küche, die Suppe. Wie sehr sehnte man sich in den letzten Tagen nach Suppe. Jenes Bindemittel, wie beziehungseifriger Sex wirkend, dampfend, köstlich, grün sogar. Noch ein Nachschlag und ein Echolob auf diese Suppe. „Im November muss es Suppe sein, im Dezember dann ein Schwein“, soll S.W. Pratajev einmal gesagt haben. Was Suppe betrifft, irrt Murphys Law gewaltig. Denn: Suppe ist, wie sie sein soll. Da gibt es kein Vertun.



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