Friday, January 01, 2016

Behandlungszeitraum 2007

21.02.2007 – Dresden/Mondpalast
Lektüren am Tag danach




Noch am Abend zuvor betrug die Körpertemperatur des Doktor Pichelstein 40 Grad auf der nach oben offenen Fieberskala. Eine äußerst lästige Grippewelle fegte noch immer und wieder über Leipzig hinweg, doch mit heißen Hühnerbrühen, probaten Tomatensuppen und gefüllten Kräuterteetassen stellt sich jeder vernünftige, rasche Gitarrist stets so weit wieder her, dass beladene Autos gen Dresden gelenkt werden können. Beim Bühnenaufbau im Mondpalast stand eine Kleenex-Schnupfbox im Mittelpunkt, aus der fortan gerne das ein oder andere Tüchlein gezupft werden durfte.  

Die Doctors inkognito, denn in der Presse angekündigt wurde dies: Lesung Frank Bröker BARWARS. Alles, wie abgemacht; Doktor Makarios als Special Guest und der Palast füllte sich. Neu-Nichtraucher-Chef Ralf montierte die multimediale Technik; es startete eine Urban Electronic Poetry-Lesung, gewürzt mittels Film, Musik, Vorträgen aus den BARWARS- & Samtmarie-Schriften. Dann lockte die Pause mit Schnaps gegen den Schnupfen; viel Flüssigkeit verordneten sich beide Doktoren, denn das hilft gegen laufende Nasen, sind sie auch noch so schnell. Der Begriff des Groupies wurde auf eine harte Probe gestellt, verlangte doch stets eine mitteljährige Mutti konsequente Aufmerksamkeit - jeder Doktor schob das Problem dem anderen in die unruhevollen Schuhe. Die wollten den Bühnenbeat; Makarios fragte ins treue Publikum: „Was soll kommen?“ Und so spielten sich die Doctors-Hits, einer nach dem anderen, wie von selbst. Wenn Dr. Pichelstein auch sitzen musste, denn die Kombination aus Grippemitteln, Schnaps und schnellem Gitarrenspiel war dann doch ein wenig kräftezehrend.

Hernach überreichte Hilfsdoktor Jörg Manzel Doktor Makarios den Stein des Weisen; eine Symbolfigur der Wortpatenschaft. Fortan liegt es nun an Makarios, das Wort „Samtmarie“ zu hegen und zu pflegen, was er pronto heiß und innig schwor. Doktor Pichelstein durfte ins weiche Hostelbett, legte sich in warme Kleidung und verdampfte mindestens zehn Liter in die Atmosphäre.

Am nächsten Mittag stellte Doktor Makarios bei der Lektüre des „Dresdners“ bass erstaunt fest, dass er bereits vor einer Woche im Mondpalast konzertierte. Als führendes Mitglied der Band „Die Pest“. Na wenn das mal nicht glatt gelogen ist. Bei Vollkornwurstbrötchen, Kaffee und Aspirin konnte Doktor Pichelstein noch berichten, dass die Erfurter Sängerin Jean L. einen fürchterlichen Aufstand ob eines Tourtagebucheintrages des Endjahres 2005 fabriziert hätte. Vor allem die Offenbarung ihres Kühlschrankinhaltes habe zu einer Art Highländer-Diskutantentum geführt. Aber nun, wenn Zeit sich dehnt, die Sekunden sich aufblähen, entsteht Spannung. Das ist ein physikalisches Gesetz. Und wenn man Limetten im Kühlschrank vergammeln lässt, wird daraus vulgo eine große, berichtenswerte Stinkerei, die sich in harmlose Lebensmittel und Tourtagebücher hineinfräst. 


22.02.2007 – Merseburg/Café Heubach
In der Stadt der Studenten mit schlechtem Abitur

Doktor Pichelstein raunt zum Doktor Makarios: „Na dann wollen wir mal“, zitiert so Pratajev als Strafschaffner und schon braust der Bus los. Er fährt gut, der Bus, nur verfügt er über eine gewöhnungsbedürftige Handbremse. Links am Pult zieht der geübte Fahrer einen Hebel, woraufhin ein Handpedal, Marke Rollstuhl, zum Vorschein kommt. Besser, man tritt die Fußbremse heftig, nur bei Steigungen reicht das leider nicht aus. Zwei Tage später, auf dem Weg nach Großenhain, zum Beispiel. Aber das ist, wie so oft,  schon eine andere Geschichte.

Herr Krause fährt mit; der Pratajev-Darsteller ist ob diverser anstehender Schulprüfungen not amused. Die Doktoren heitern auf, das können sie, dafür werden sie von den Veranstaltern gerne gebucht. So auch heute. Es geht nach Merseburg. Ein Flecken Erde, den in erster Linie Studenten mit schlechtem Abitur betreten; hier gelingt es auch ihnen sich für den Studiengang Sozialwesen einzuschreiben. Ganz anders die Belegschaft des recht neu angesiedelten Café Heubachs. Vormals betrieb man das Hallenser Café Schwarz, nun wird in Merseburg gezapft. Kultur gehört dazu und das Publikum bleibt fast aus. In großer Runde hockt man sich ergo an zusammen geschobene Holztische, während Doktor Makarios aus den Schriften Pratajevs und Doktor Pichelstein aus den Saiten Prumskis vorträgt. Erstmals gelingt es, den Song „Neue Zähne“, in dem Pratajevs Zeit als Hilfszahnarzt besungen wird, zum Besten zu geben.. Die Doktoren versprechen, dies bald öfter zu tun. Nichts desto Trotz fließen die Getränke, zumeist aus kleinen Gläsern. In der Pension parkt Doktor Pichelstein die Kleenex-Schnupfbox direkt in Nasenhöhe, schläft stante pede ein und wundert sich am nächsten Tag, warum genau dieser überhaupt anbrechen musste. Doch das Frühstück heilt, der Kaffee lockt und über dem Aufschnittteller liegt ein Hauch Merseburger Sonnenschein.     

23.02.2007 - Torgau/Brückenkopf
Ihr habt von Schnaps gesungen, also müsst Ihr auch welchen trinken

Nass sind die Wege ins Elbische, den Bus ficht das nicht an und vorn an der Scheibe versuchen sich die Doktoren an der Wegfindung. Kein Wildschwein zieht es indes unter den Motorblock, so tuckert man dahin und erreicht den warm befeuerten Brückenkopf. Bereits 2003 gastierten The Russian Doctors an diesem Ort, „na, dann wollen wir mal sehen“, spricht Makarios in den Regen und schleppt den Merchkoffer ins steinerne Innere des Komplexes.




Lecker wurde gekocht, sehr lecker. Sternburger Exportkisten werden kühl bereitgestellt, Rotwein lagert im Backstage und von Ferne naht die Vorband – eine später klasse aufspielende Akustikformation. Die Umdeutung großer Hits für die kampferprobte Sechssaitige. Vorm Konzert hält man Kontakt; das Publikum bevölkert den Brückenkopf zahlreich und ein Streetworker namens Jörg wird vermisst. Pichelstein bekommt eine Mixery-Mütze geschenkt; die ist gottseidank zu klein und darf zurückgegeben werden. Das Konzert beginnt; Mr. Sperrzone regelt den Liveverkehr am Mischpult und es wird kolossal. Vor lauter künstlichem Elbenebel kann man allerdings nur erahnen, was vor der Bühne passiert. Es wird gekreischt, gestanzt, getanzt. Doktor Makarios kündigt die „Toten Katzen“ mit einer Begebenheit an, die sich im Jahr 2003 zutrug: Damals strangulierte man um die geographische Ecke, in Belgern (nicht in Torgau!), eine Katze an eine Straßenlaterne. Das alles kurz nach dem ersten Doctors-Konzert im Brückenkopf. Ein Bahnhofversteher, wer da gar nichts denkt.

Dann ist alles gespielt, die Zugaben sind gegeben. Doktor Pichelstein kippt sich Aspirin ins Glas, es folgt ein Wodka des Veranstalters (noch einmal ein großer Dank an dieser Stelle - auch für die späteren Whiskeys!), es naht ein junger Punk, der Doktor Pichelstein eine warme Flasche Aldi-Cola unters Kinn hält. „Trink“, spricht es aus ihm heraus, „ Ihr wart super.“ Pichelstein trinkt. „Was ist da drin?“ –  „ Schnaps! Ihr habt von Schnaps gesungen, also müsst Ihr auch welchen trinken und hinterher zeig ich Euch noch unseren Proberaum…“

So weit kommt es in dieser Nacht nicht mehr; der junge Punk, auch Gitarrist, schläft hockend am Bühnenrand und schon ändert sich die Szene. Auf der anderen Seite der Elbe wartet der Wirt in seinem Pub, bereit, allen Menschen einzuschenken, die noch stehen können. Gemütlich wandern die Doktoren später selig ins Pensionszimmer.        

24.02.2007 – Großenhain/Hexenstübl
Clubsongs gehen in die Knie

Wie in den beiden Jahren zuvor, laden Nico, Jörg und Micha illustre Gäste zum frivolen Geburtstagsstelldichein ins Großenhainer Hexenstübl. Doktor Pichelstein bringt, zum unerfreulichen Geschenk, gleich einen Fußbreit Hundemist mit hinein. Im Jahr 2007 spielen – statt der Doctors – Makarios & Gumprecht Die ART-Clubsongs im Hauptfeld. Aber, es wäre natürlich vermessen, an solch einem Abend nichts von den Herren Doktoren überliefert zu bekommen. Im Laufe eines schnapsschwangeren Nacht erklingt so der Bibersong und vielleicht noch mehr, nur weiß das bis heute keiner genau. Zählen wir dieses Konzert aber dennoch als solches. Wenn auch als ganz winziges. 


Ach, ist das schön. Die ART-Clubsongs streichen sanft aus den Frontboxen, Dr. Pichelstein sitzt zuweilen hier, steht zuweilen dort und immer schenkt Micha nach. An Micha ist ein herzensguter Wirt verloren gegangen, vielleicht korrigiert sich das ja noch irgendwann. So lange wollen wir nicht warten und loben stattdessen die Käsesuppe vom Jörg, die stringent geniale Songauswahl vom DJ Nico und gehen in der Art der Pressefotographen in die Knie, um die kleine Welt vor Augen ein wenig größer erscheinen zu lassen. Möge dieser Satz Chiffre sein für die ferne Utopie, in einer Samstagnacht bereits an den Sonntagmorgen denken zu müssen.

01.03.2007 – Leipzig/Helheim
Brotbeutelhafte Begegnungen


Das 124. Konzert ist als Pratajev-Winterfest konzipiert. Verwehte Sturmtief Kyrill noch am 18.01. alle Hoffnungen auf einen glorreichen Abend, so kann man den heutigen eher als gelungen bezeichnen. Die Stühle füllen sich, die Bühne ist bereits bebaut und der Ersatz-Beamer sorgt für Euphorie beim Veranstalter Herrn Krause, welchem die Doktoren – feat. Technikcrew – gerne zu Dank verpflichtet sind. Zwar ist das Helheim im Leipziger Westen nicht immer der bestfrequentierteste Ort, doch wird das schon noch werden. Mit dem Habitus des Pratajev-Entdeckers bringt Doktor Makarios den ersten Verlauf des Winterfestes in die Spur. Das Publikum keckert und grinst, als Pratajevs Geschichten zu Ohr genommen werden. Doktor Pichelstein verkündet die Neugründung der Pratajev-Gesellschaft zum heutigen Tage; Beitrittsformulare liegen aus nach offizieller Sitzung samt Satzungsverabschiedung. Dazu reicht der Wirt eine deftige Soljanka und kann über getränkeschönen Umsatz nicht klagen.

Nach einem ersten Konzertblock liest Makarios aus dem verteilten Abendprogramm: „Aha, hier steht jetzt Film. Also zeigen wir Euch nun einen Film.“ Ana Ivanovna, Pratajevs Großcousine, berichtet via Leinwand brotbeutelhaft über Begegnungen mit dem russischen Dichter. Eine Schweigeminute für die Opfer der Gefrierkatastrophe von Bolwerkow führt direkt in den 2. Konzertblock. Das bewährte Konzept des kalkulierten Applauses geht auf; der Zuruf bestimmt das Set. Doktor Pichelstein dichtet während des Spielens vor sich hin: „Wer stöckelt mit sündigem Blick durch Nacht und Wind? Es ist Paris Hilton und macht uns blind“. Manchmal gehen einem schön blöde Sachen durch den Kopf.

Nach Filmblock 2 ist es geschafft. Fragil, dunkel und schützenswert ist die Nacht, sie führt den Tross ins Flowerpower, direkt zum Tresen, dann ist die Nacht gewesen.    

02.03.2007 – Chemnitz/Subway to Peter
Das Glücksprinzip

An der Theke dämmert es bereits genüsslich; Chefwirt Mario reicht zum Gruße die Hand, das erste Beck’s für Doktor Pichelstein in der anderen. Durchs Subway fegt ein Hauch glorreicher Nostalgie. Die Doctors spielten hier bereits mehrfach; ein ums andere Mal ging’s ums nackte Überleben. Makarios’ Satz: „Ich will nicht in Chemnitz sterben“, ist mittlerweile so legendär, wie Fidel Castros Dogma vom „Sozialismus oder Tod“.

Gekocht wird heute unvegetarisch, was an den Troopers liegt, die heute im Bunker spielen. Beide Clubs, Subway und Bunker, bilden eine Symbiose, wenn’s um die Bandverpflegung geht. Und ein Trooper isst nun einmal Fleisch. Die Doctors loben dies, vor allem den Koch. Und sich selbst, denn der Soundcheck ist ein Kinderspiel. Ein Berliner Bassist erklärt wortreich, warum Musiker Helden sind, deckt sich mit Merch-Artikeln des Subways ein, ordert ein frisches Getränk, zieht die Mütze tief ins Gesicht. Bis die ersten Mädchen in Brechlaken und vor Eimern liegen, resp. die Polizei mit zwei Mannschaftswagen anrückt, dauert’s noch. Zwischen seichtem Krawall, einer Specknacken-Nichtraucherschutzdiskussion, zwischen Absinth-Torkeleien und der Rückkehr der Troopers an einen der Holztische, liegt eingebettet das Doctors-Konzert.




Um es vorweg zu nehmen: Sowohl Doktor Makarios, als auch Doktor Pichelstein, verlassen später heilen Antlitzes den Club, erhobenen Hauptes, denn die Mission auf der Bühne klappt wie am gelben Schnapsschnürchen. Gespielt wird alles - und weil das immer noch nicht reicht, stellen sich ungeahnte Zugaben hinten an. Wodkagläser schwenken durch die Gegend; man reicht sie auf die schweißnasse Bühne und leer sind sie. Das Glücksprinzip wird in keiner Sekunde in Frage gestellt und als dann schlussendlich all die Dinge passieren, die bereits kurz angedeutet, werden sie aus höheren Warten beobachtet. Quasi visuell verarztet. Alphatiere und Untergeher vereinen sich im Rausch und niemand will mehr jemand sein. So pinnt sich die Nacht den Morgen auf die Brust.       



03.03.2007 – Erfurt/Tiko 
Draußen war Mondfinsternis 

Gar nicht leicht zu finden, das Erfurter Tiko. Die wochenvorherigen Nachfragen im Myspace-Postfach rissen nicht ab. Wenn man den verwinkelten Gässchenhauer Erfurt zu Fuß durchschreitet, gelangt man von Markt zu Markt. Und irgendwann auch ans Tiko, gelegen an einem der urbanen Ufer des Flüsschens Gera. Dort parkt der Audi und die Doktoren sind beileibe froh, nach langer Wallfahrt, vorbei an all den profanen, historischen Gebäuden, den heutigen Nabel der abendlichen Kultur erreicht zu haben. 

Zuerst betritt eine Abordnung der Erfurter Denkmalpflege das Tiko; Doktor Makarios hebt die Cola zum Gruße, Doktor Pichelstein befindet sich aktuell in der Beck’s-Woche und scheppert die erste Flasche gegen ausgeschenktes Fassbräu. Die Denkmalpfleger geben der Umgebung eine Note. Sie lautet: 14. Jahrhundert. Gemeint ist vor allem der Torbogen überm Eingang. Wieder was dazugelernt. Die Bühne befindet sich unterhalb des Schankraumes, wurde bereits für sehr tauglich erklärt. Ein kurzer Soundcheck, ein fabulöser Mischer in schicker, kerkerhaft restaurierter Umgebung bestätigen den ersten Eindruck: Wie gut, dass man hier ist. Schwesternschülerin Natascha berichtet vom jüngst ersteigerten Herrenzimmer, welches Tags drauf aufgebaut werden soll. Zur Stunde wird es just in Ostfriesland abgebaut. Von ungefähr da her stammt ursprünglich Doktor Pichelstein. Von dort, wo die Wirklichkeit mit einem einfach überfordert ist. Um das zu vergessen, trinkt der Einheimische, so oft es geht, Tee mit Klüntches aus dünnen Scheibchentassen. Gegen Mittag stellen die Männer Krüden hinzu, was ein norddeutscher Schnaps ist. 




Hoff, Chef des Tiko, ist leider verreist, stellt den Doktoren indes netterweise seine Gemächer zur Verfügung. Beide Abendwirte wurden fürs leibliche Wohl abkommandiert; sie machen ihre Sache hervorragend. Wäre man Philosoph, würde vermutlich folgendes zutreffen: Jede treibende Thekenkraft ist Teil einer großen Bewegung der durstigen Sache Mensch. Dann ist’s fast 23 Uhr, die Schlagzahl der Getränke wird erhöht, das Konzert beginnt und – damit war nicht wirklich zu rechnen – die gesamte Tikobesucherschar trollt sich in den Kerkerbereich, anfangs etwas schüchtern, dann jedoch flott, tanzend, zumindest fußwippend. Während in manch anderen Konzerten die Ellenbogen als wichtigste Körperteile im Publikum ausgemacht werden, sind es heute die Hände. Die machen das, was The Russian Doctors am allerliebsten haben: sie geben Signal zum Beifall, immer wieder und auch die Zugaben werden akkurat damit verpackt. Nach knapp zwei Stunden pusten sich die Doktoren im Backstage gegenseitig an; Makarios’ Stimme ist bereits zu Bett und Pichelstein hockt auf dem Schafott, ausgetrocknet, wie ein der Sonne zu nah gekommener Kammmolch. 

Draußen war gerade Mondfinsternis, irgendwo hinter den Wolken der Erfurter Nacht. Drinnen wechseln Tonträger den Besitzer und alle Bühnenlampen leuchten durch verhangene Schirme.




16. März 2007 – Jena/Café Wagner
Da sträuben sich glatt die Augenbrauen

Ganz im Soundquadrat der Fliehenden Stürme eingehüllt, starten die Doctoren Richtung Leipziger Westen zur A9. An der Tankstelle Marschnerstraße scheint Sportlerball zu sein. Aufgelöste Drahtige werden aus Bussen gespuckt und gelüsten sich am Benzingeruch. Sie stauben, bewaffnet mit immens dicken Turnbeuteln, umeinander. Doctor Pichelstein hat alle Mühe, keinen der ihren unter den Motorblock zu bekommen. Links, wie rechts, wird getankt. Mancher Tanker zerrt verzweifelt am Dickschlauch, der sich ums Auto windet, weil man blöderweise falsch an die Zapfsäule herangefahren ist.

Im Café Wagner stellt sich der Mischverantwortliche vor; er habe gestern bei Ebay ein neues Pult erstanden und wolle das heute einmal testen. Die Doctoren sehen sich im Frühstadium der Verzweiflung an. So was kann nicht klappen. Um es mit Asterix zu sagen: „Da sträuben sich glatt die Augenbrauen“. Der junge Mann trägt Bart, macht sich frohen Mutes an den neu erworbenen, älteren Gebrauchswert heran, während Makarios die Mikros gekonnt ausrichtet. Der Soundcheck zieht sich hin, denn, wie zu erwarten war, stellt sich das Pult quer. Aus dem Monitor knattert’s bedrohlich, die Fader und Podis sind total verdreckt. Pichelstein bietet einen kräftigen Schluck Kontaktspray nebst Kettensäge an.





Eddi vom Majorlabel, der den Abend heute präsentiert, ist guter Dinge und wird ob seines wohl von der Tante gestrickten Wollpullovers vom Schnapsmonopolinhaber, dem Wirt, gehänselt. Auf dem Klo entdeckt Makarios einen geklebten Aufruf. Er lautet: „Nieder mit Gebühren und dem Prekariat“. „Dann mal nieder mit den Prekären“, sagt jemand aus dem Off. „Fleischtomaten esse ich nicht, ich bin heut‘ Vegetarier“, ist noch so ein Satz, der fällt, bis scharf angerichtete Pesto-Nudeln in einer Salzlache die sensiblen Doctorenmünder erreichen. Ab zehn wird’s erfreulich voll im Café, Doctor Pichelstein verreist im Budweiser-Rausch gedanklich schon mal auf die angerichtete Bühne.

Das Intro läuft ein wenig aus dem Ruder; den Monitoren wird ein Kriegsspiel entlockt. Mal gewinnt die Gitarre, mal der Gesang. Das Ding benimmt sich wie eine offene Hose und in der Ferne kämpft der Mixer mit dem Mischer. Oder umgekehrt, man erkennt es nicht genau, da auch die von Hand gesteuerte Beleuchtung phasenweise aussetzt. Aber, alles halb so schlimm. Pichelstein spielt Sololäufe wie in der „Heilung“ auch unter finsteren, tanztherapeutischen Rollstuhlbedingungen. Der Applaus im Publikum steigert sich, und als endlich die erste Gitarrensaite reißt, somit auf rotem Erlenholz weitergespielt wird, klappt’s auch mit dem Sound. Mit gelbem Schnaps im Blick verabschieden sich Pratajevs Erben nach dem Schlussakkord Richtung Theke, kehren unter wilden Zugaberufen aber doch besser um. Wer einmal ein Doctors-Konzert der längeren Art erlebt hat, weiß, dass die Tour-Setlist mehrere doppelte Böden hat.

Am nächsten Morgen weckt ein Doctor den anderen, um sich auf die Suche nach einer netten Frühstücksofferte zu machen. Die Stadt Jena, in der schon bald die Liedermacherin Bettina Wegener gastieren wird, hält dafür das „Stilbruch“ bereit. Einen, rein vom Interieur her, schicken Laden, in dem die Kellner so arbeiten und aussehen, als hätte ein Amtsgericht ihnen Arbeitsstunden verordnet. Aber noch einmal zurück zu Bettina Wegener: Keine Panik, die graue Eminenz der DDR-Betroffenheitslyrik geht in Rente und nennt ihre Tour: „Ich gehe…“ Ob die drei Pünktchen hintendran Anlass zur Sorge bereiten müssen, sei dahingestellt. 



22. März 2007 – Leipzig/Kunstgeist
Kein Wintermärchen

Winter, Du Unhold. Eigentlich gab es Dich das ganze Jahr noch nicht. Nur zur Eröffnung der Buchmesse, am 22. März, da schlugen Deine kalten Flammen zu. Doktor Makarios sagte vorher noch zum anderen Doktor: „Das wird heute ganz dumm in diesem Kunstgeist. Da kommt keiner durch. Nicht mal die Leipziger schaffen das“. „Und weil der Club im Osten residiert, eh vom Wetter benachteiligt, erst recht nicht“, meinte da der andere Doktor. Fuhr den Audi aber dennoch voller Elan übers schillernde Glatteis hinweg, fand eine verwehte Parklücke und schleppte kurzfristig Gitarren und Koffer übers winterliche Parkett.

Zur Premiere des 1. Buches „Haus aus Stein“ der neuen Leipziger Pratajev-Gesellschaft e.V., erschienen dann auch nur wenige. Und noch mehr sagten per Funk ihren Besuch ab. Andere wiederum fanden den Kunstgeist nicht, was woran auch immer lag. Nun denn. Getrunken wurde trotzdem; das Schnapsmonopol lag bei der schwarzen Wirtin. Eingehüllt in Pratajevs & Uschakows Worte und Weisen lauschte das zarte Publikum doktoresken Mündern und Saiten. Zum zweiten Mal wurde „Neue Zähne“ gespielt. Tja, und wer den Abend verpasst hat, dem sei gesagt: Macht nichts. Da lebt die Erleichterung, denn das nächste Pratajev-Fest kommt bestimmt. Und diesmal wird’s ein richtiges. Der Termin sei hier bereits genannt: Am 01.11.2007 findet in der Galerie am Heizhaus, Hans-Poeche-Straße 2-4, hinterm Leipziger Listhaus, dort, wo sich um die Ecke das große Messe-M dreht, das Pratajev-Sturmfest statt. Mit Max Reeg, André Kudernatsch und die Pest, Natasha Petrowna, Nikolai Biberowitsch, The Russian Doctors uvm. Makarios wird neue Pratajev-Gedichte rezitieren, Pichelstein sich hingegen Pratajev-Plagiaten widmen.     

06. Mai 2007 – Berlin/Duncker
Durch Taiga und Tundra

Doktor Pichelstein ist wieder da. Drei Wochen Sri Lanka hinterließen u.a. folgende, erstaunliche Erkenntnis: Ayurveda hat mich krank gemacht. Darüber kann die Fachwelt jetzt tagen oder es besser sein lassen, nein, Doktor Pichelstein schwor sich nach diesem Asien-Trip: „Zuviel Gesundheit schadet nur und der Körper verliert jedwede Abwehr. Wenn denn mal tatsächlich ein Bakterium die Innereien bereist, ist nichts mehr da, was sich damit auskennt.“ Kurzum: Völlig ausgedünnt und krankgeschrieben, teegeschwängert und crackerkauend verbrachte Makarios’ Gitarrist mehrere äußerst unruhige Tage in Flugzeugen, auf Terminals, unter schlecht gelüfteten Bettdecken von Colombo über Amman bis Leipzig. Am darauf folgenden Wochenende spielten Die Art ihr ersten Konzert nach so vielen Jahren in Chemnitz; alkoholische Testversuche am Probanden Pi zeigten dort erstaunliche Wirkungen: Wenig Schnaps, viel Trunkenheit, verteilt auf eine Nacht: Proband benimmt sich seltsam, muss gestützt werden und verzichtet unbedingt aufs Frühstück am nächsten Tag im Hotel. 



Ein weiteres Wochenende später konzertieren die Herren Doktoren des Sonntags im Berliner Duncker-Club. Pichelsteins Gitarren-Kaskaden fliegen einem nur so um die Ohren, Doktor Makarios singt ins hüfthohe Publikum hinein. Veranstalter Herr Manegold kündet zweimal Frauenbesuch auf der Bühne an. So werden schwarze Bretter betreten, um Geschichten darzubieten. Die Doctors befinden sich heute auf einer poetischen Bühne und wollen den warmen Hackebällchen im Kuno-Behältnis draußen nicht ganz trauen. „Das Hack hab ich schon im April gekauft“, ruft der ehemalige Die Art-Lichtmischer feist in den Berliner Abend hinein. Sorgenerfüllt greift Pichelstein in die Schüssel, kostet und lobt das Gebratene. Während Kuno sich Schnaps nachschenkt und der dritte Doctors-Konzertbock  angepriesen wird.

Lob ans brillante Publikum an dieser Stelle, Lob auch an Herrn Manegold, der die Nacht mit den üblichen Berliner Worten beschließt: „Ihr schlaft bei mir. Das ist gleich um die Ecke.“ Wer diesen Satz eines Berliners kennt, der weiß, wie lange es sehr hell werden muss, bis die Herberge auch tatsächlich erreicht wird. Vermutlich war es Ende des 2. Weltkrieges, als die Rote Armee gefechtsmüde Landser einsammelte, genauso ein Satz, der die Gefangenen durch Taiga und Tundra zuversichtlich gen Sibirien laufen ließ. Man weiß es nicht und war auch nicht dabei.

12. Mai 2007 – Chemnitz/B-Plan
In den CD-Playern der Taxen von Chemnitz

Eine runde Zahl: das 130. Doctors-Konzert. Beginnt es auch spät, gar in einer Maifrühlingsnacht. Doch genug der Poesie. Der B-Plan ist sowohl Jugendclub, wie auch Partytreff aller zusammenhängenden Generationen. Als die Doktoren ankommen, umschwärmen Wagenladungen voller Kinder im schlimmsten Alter das Gelände. Man reicht Kekse, Kaffee und weist auf dies und das hin. Stunden vergehen, die Bühne steht; im Soundcheck ist von einem Gelben Fettfrosch die Rede und letzte Kinder werden aus dem Paradies abgeholt. Lange sitzt man zwischen Backstage und Bühne hin und her, verteilt’s Gewicht  mal hier, mal da und freut sich, als es endlich losgeht. Vor lauter Nebel weiß weder der eine noch der andere Doktor, was unmittelbar vor der Bühne passiert. Als dann recht euphorisch Hände nach bereits einem Song zu klatschen beginnen, da lebt die Gewissheit: Wir sind hier nicht allein. Ein durchaus schönes Gefühl.

Sanne trägt heute Fettfrosch und das auf einem T-Shirt. Weitere russische Kleidungsmotive werden an Frauen und Männern ausgemacht. Wenn auch erst später, denn einskommafünf Stunden läuft der Gitarren-Mähdrescher des Doktor Pichelstein auf Hochtouren, singt und spricht der Maßstab des Doktor Makarios aufs Publikum hinunter. Der Sound klingt prächtig, Herr Mischer und Herr Lichtmischer geben alles. Und je betrunkener sie werden, umso mehr Nebel schweift durch den B-Plan. Beide Doktoren gemahnen an Veterinäre in einem nordisch-nebligen Kuhstall und benehmen sich auch so. Weil Pratajev es genauso so verlangt hätte. Und er hätte sich ebenso an den meditativen Momenten nach dem Konzert gesonnt.





Als Hitchcocks Vögel durch die Nacht flatterten. Und die Tanzfläche zum Krimi wurde. Als hernach kleines Leben der Sonne entgegenstrebte und sich im Mond wieder fand. Als der Mond mit seiner Sichel den Weg zum Hotel wies und diese Idylle von einem Taxifahrer der mentalen Chemnitzer Tieflandsbucht rapide ausgelöscht wurde. Oh weh. Im Nachhinein kann man sich an eine Frau erinnern, die aus einer CD einen Schlager sang. Doch dieser Schlager war eine bittere Rhapsody, eine herzerweichende Rosamunde-Pilcher-Schnulze, hier kurz zusammengefasst: Frau wird vom Mann verlassen. Mann hat die berüchtigte Andere. Frau kämpft um Mann und verliert, stirbt, wenn man es gesanglich betrachtet. Ja, so ist das im Leben und erst Recht in den CD-Playern der Taxen von Chemnitz. Good night, and good luck… feat. George Clooney. Buhu.      

19. Mai 2007 – Weimar/Gasthof Zur Luise
Das wandgeweißte Sakko

Langes Wochenende inklusive Herrentag. Doktor Pichelstein schwört seitdem: Nie wieder Jägermeister. Denn wenn die Herren ihren Tag haben, werden solcherlei grüne Verbrechen gerne geschraubt, gekippt, bewältigt. Merke: Wenn das Verhältnis Bier zu Jägermeister ungünstig fürs erste Getränk ausgeht, möglichst bereits sehr früh am Tag, gibt es kein Entrinnen. Nun denn. In der Heldenstadt Weimar wird indes über besagten Donnerstag hinaus getrunken. Vor der Luise versucht eine Schar Betrunkener Geschmackskondome an die Frau zu bringen. Mit launischem Erfolg. Sowieso muss hier bereits in den letzten Tagen eine prächtige Menge los gewesen sein; die harte Wirtshaustochter etwa trägt Striemen am Hals (und will den Doktoren nicht verraten, woher die stammen). Der Soundcheck folgt auf ein kühles Willkommensbier unter Sonnenschirmen, heiß ist es nämlich auch noch. Sehr heiß. Eigentlich steht fest, dass vergangene Weimarer Jubelorgien heute gewiss nicht getoppt werden wollen.

Und so wartet man, bis sich die Gastlichkeit ein wenig füllt, holt manchen Thekensitzer vor die Bühne und spielt ein smartes Set. Schweiß fließt ob der Hitze, ungestüm geht man zu Werke. Die harte Wirtshaustochter reicht Schnaps auf die Bühne und auch wenn die Party nicht überbordet, so freut man sich mit den Getreuen. Später am Abend stellt Doktor Pichelstein fest, dass manch eine Weimarer Wand ganz schön abfärben kann und trägt es die halbe Nacht hindurch: Das wandgeweißte Sakko. Streift es später ab und findet sein Gutenachtglück in einem viel zu kleinen Bett. Draußen torkeln letzte laute Weimarer durch die Straßen Goethes und Schillers. Sie sehen vom Fenster aus wie triebgeplagte Einhörner und kollidieren mit weißmachenden Weimarer Wänden. Mancher Albtraum findet halt in der Realität statt; Doktor Pichelstein gemahnt hier: Trinkt mit Würde und wenn Ihr fallt, bleibt liegen. Er weiß, wovon er spricht. Torkelt bitte nicht weiter. Bedeckt Euch mit warmen Maigräsern und wartet auf den nächsten Tag.

22. Juni 2007 – Dresden/Elbhangfest, Part I
Die Elbe hängt

UNESCO hin wie her, Kulturerbe, Waldschlösschenbrücke oder Elbe-Tunnelung, Sachsens Kartoffelpräsident in China, OK-Affaire: das alles zählt beim 17. Elbhangfest zu Dresden nur am Rande. Obwohl dieser Rand recht üppig ist, zugegeben. Das Pfarrersmotto lautet diesjährig: „Schau an der schönen Gärten Zier“. Wie wohlwahr das klingt. The Russian Doctors spielen Freitagnacht auf der Gartenbühne am Gare de la Lune. Wie im Vorjahr gleich nach den Rockys gegen Nulluhr. Unter dieser Kapelle stelle man sich folgendes vor: 3 Stunden Coverlieder, eingedeutschte Texte; Comedian Olaf Schubert am Schlagzeug - eigentlich heißen die Rockys Dekadance und triggern völlig anderes Songmaterial. Der Tag war heiß und hell bisher; überall Hagelschlag und Regen, nur am Socken der Elbe nicht. Es ist schwülwarm und bei so einem Wetter therapiert sich der Festival-Zögling einmal mehr reichlich flüssig gegen den Durst.  

Angereist durch Staus und Umgehungen traf sich der mitgereiste Tross am Alternative-Art-Bus Stunden früher; Herr Ali, Herr Mikus, Herr Max, Herr Olaf rührten am Verkaufsstand und richteten später aufziehbare Taschenlampen Richtung Bückware. Daneben lagerten beide Herausgeber der Zeitschrift „Melodie und Rhythmus“ und gemeinsam saßen sich schwarzgewandete Herren – zum Teil im Die-Art-Shirt - durch Abend und Nacht. Aus aktuellem Anlass, hier die Kurzwiedergabe eines Artikels aus der Melodie & Rhythmus: Der Musiker Christian Trautmann veranstaltet am 03.07. ein Nasenkorrektur-Benefizkonzert in der Leipziger Moritzbastei. Es geht um seine eigene Nase und Dirk Zöllner ist dabei. Auf eine solch strubbelige Idee muss man erst mal kommen. Respekt. 




Aufgeschreckt von den Rockys verzog es hingegen Herrn Mikus in der wichtigsten Phase der Konzertvorbereitung - samt geschulterter Kamera plus Zugangsschlüssel zu allen Instrumenten - gen Bühnenrand, wo gerade die eingedeutschte Version des Gassenhauers „The roof is on fire“ über geschätzte 700 Köpfe hinwegfegte. Herr Olaf fand dann Herrn Mikus, die Gemüter blitzten auf, und beide Doktoren sogen später erleichtert am Stagerandbierbecher.  

Das Konzert, erstmals mit neuer, blauer Bonsaiholz-Gitarre eröffnet, macht enormen Spaß, dauert knapp zwei Stunden, dann folgen Zugabeblöcke und die Ankündigung des Gigs der Doctors bei den Pirnaer Hofnächten Anfang August. Mit dem Hofchef geht’s an die Theke und manche Becherfüllung zapft sich zu einem einzigartigen Gutgefühl. Solche Nächte gibt es viel zu wenige im Jahreskalender. Und als die schönen Gärten (Zier) beim Rückweg in die Pension von strahlender Morgensonne erfasst werden, knipst sich das Augenlicht für die angebrochene Schlafenszeit von selbst aus.  



24. Juni 2007 – Dresden/Elbhangfest, Part II
Der Saitensprenger

Nachmittags gegen drei Uhr – diesmal vorm Gare de la Lune, Blickrichtung Elbhangstraße, OT Wachwitz: Doktoren starten mit dem „Besonderen Vorkommnis“ auf hölzerner Tangoplattform. Der Sound passt, sitzt, wackelt, hat Luft. Vor ihnen hockt, steht und geht die sonnenlaunige Menschenmenge. Bestückt ist sie großartig - mit Bratwürsten, Bier und ungarischen Leckereien in Händen, die gleich mehrheitlich nicht anders können, als dem Set der Doctors Applaus zu geben. Dafür ein großes Dankeschön an dieser Stelle - fürs reichlich zugabebelegte Künstlerbrot: selbstredend, selbstgebacken. Am Sonntag darf man sich bekanntlich Gutes tun, sollten schöne Amüsierkünste hochpokalisiert werden. Wer dazu nicht in der Lage scheint, der ist und bleibt ein talentfreier Griesgram und sollte sich zum Wohle aller, sagen wir mal, zu einem harten Apfel assimilieren. Und dabei faul anlaufen.   



Pratajev-Forscher - und Ehrenmitglied der hiesigen Gesellschaft - Nico reiste aus Großenhain an. Im Gepäck: Die Kleinfamilie nebst Klosterfrau und Fotoapparat. Gegen Ende des Konzertes bluten Pichelsteinsche Finger, zurückzuführen auf eine doch recht hohe Schlagzahl auf dem trunkenen Gitarrenruderboot. Manche Saite hängt gesprengt von den hölzernen Hälsen und am Merchstand herrscht reges Treiben. Der textsichere Männerchor, welcher den Song „Als das Eis kam“ voller Inbrunst mitsang, bildet eine Thekenschlange – und wird belohnt. Soviel zum musikalischen Weltbild pratajevscher Effizienz, soviel vom 17. Elbhangfest, verbunden mit einem riesigen Dankeschön an Mirco vom Gare de la Lune.   




30. Juni 2007 – Grafischer Hof/Leipzig
Beschlagene Schuhe (nicht Scheiben)

Das erste Sommerfest im Grafischen Viertel zu Leipzig. Bratwurstduftschwangere Wolken schwindeln Regen vor, gelassen warten die Doktoren auf den Beginn des abendlichen Konzertes in der Heizhaus-Galerie. Draußen klopfen beschlagene Schuhe auf palettiertem Holzbelag herum. Das nennt man Tangotanz und wird vom Publikum sehr gemocht. Frau Alvarez und Herr Weber geben ihr Bestes. Sogar Leipzigs Impressario Peter Degner ist gekommen, um sich mit dicker Zigarre, gekühltem Weißwein und einer noch weißeren Gesamterscheinung – von der Brille bis zu den Schuhen - nichts entgehen zu lassen.

Währenddessen und darüber hinaus baut sich die Bühne in der Galerie nicht von allein auf; die Doktoren hüllen sich in einen kleinen Soundcheck und tauchen zufrieden wieder an frischer Luft auf. Veranstalter Heizer, so wird er nicht nur heute gerufen, behält den Überblick und freut sich aprés über ein schickes Konzert im Kunstraum, der dito fürs Pratajev-Sturmfest am 01.11.2007 gebucht ist. Und mit einem letzten Kühlbier (das eigentlich ein Heizer-Bier ist, denn die Thekenkräfte riefen bei jeder Getränkebestellung der Doktoren stets: „Schreib’s auf den Heizer“) in der Hand schließt sich dieses erste abendliche Samstagskaptitel. Und da man sehr wach und ausgeschlafen den Mittag begann, versteht sich die anschließende Fahrt ins Flowerpower doch von selbst. Heimspiele haben eben grasgrüne charaktereigenschaften.      



21. Juli 2007 – Zerbst/K6
An Dessau kommt keiner vorbei  

Zerbst liegt in Sachen-Anhalt und wenn man es erreicht, ist’s ein schöner Moment. Aus Leipzig kommend bietet die Autobahn 9 drei interessante, ja beinahe eskapistische Möglichkeiten dafür. Gleich für die erste entscheidet man sich heute und durchfährt Straßen, an denen Holzkreuze bezeugen, dass anhaltinische Alleebäume eben doch stärker, lebendiger sind als manche blechumrahmte Diskobesuchercrew. Warum keine Landesmittel für ausreichende Verleitplankung an solchen Manöverstrecken bereitgestellt werden, bleibt ein Rätsel. Schön ist nur, dass ebenso Geld für montierte Blitzer fehlt. So fahren die Doktoren etwas schneller, denn gegen 19 Uhr soll die Pensionswirtin des „Am Klosterhof“ um den Zimmerschlüssel erleichtert werden. Durch z.B. Dessau, das mit einer Schildmalerei auf sich aufmerksam machen möchte. Die Jim-Morrison-artige Drohung lautet: „An Dessau kommt keiner vorbei“. Natürlich nicht, wie denn auch? So ein Schild wäre im westlichen Bad Oeynhausen übrigens undenkbar. Städte, durch die der Verkehr nur so sprudelt, wollen eher in aparter Ruhe gelassen werden und dubiose Vereinsstrukturen, Interessensgemeinschaftsvertreter, Grundstücksaufwerter, fordern ständig eine so genannte Ortsumgehung. Damit sie ihre lieblich schnurrenden Rasenmäher vorm Haus auch hören können, wenn es samstags, in aller Frühe, auf die Feldarbeit geht. Bleibt noch zu erwähnen, dass jemand aktuell das Zerbster Ortseingangschild, aus Rosslau kommend, abmontiert hat. Wo das jetzt hängt, möchten wir gerne wissen. Betonen aber, nichts mit dieser Perfidität zu tun zu haben. 




Das K6 heißt so, weil es an der Kastanienallee 6 liegt. Und früher mal als Köllingsche Fabrik durchging. Fragt man einkaufbereicherte Nachbarn, wissen sie’s nicht genau; nur das Tankstellenpersonal, schräg gegenüber, weiß Auskunft und schon steigen die Equipment-Trägerraketen leichten Fußes über die Kopfsteine bis hin zum heutigen Sommerfest auf. Beide Doktoren heute im weißen Hemd, und das bereits vor dem Konzert. Der Soundcheck liegt irgendwie zwischen Kuchen, Willkommensbieren und leckeren Spaghettitellern, die – besonders – von Magdeburgern liebevoll vertilgt werden. „Wir können ruhig über Magdeburg lästern“, eröffnet ein Berliner Besucher die Debatte. Fortgeführt wird sie gerne.

Sven vom K6 gibt alles, schraubt und schiebt die Regler. Doktor Pichelstein singt heute durch zwei Mikrofone; eines wird auf den Monitor gelegt. Der Sound stimmt und mit einer satten Portion Hardcoreschule startet das Set des Sommerfestes gegen 23 Uhr. Der Club füllt sich, resp. an der Bar füllt man sich auf, und die Doktoren danken an dieser Stelle für alle butterweichen Sehnsüchte, die gutwillig erfüllt wurden. Zur Geisterstunde ertönt das pratajevsche Intro; an der Frequenz wird kurz nachgebessert, dann akkordet die rote Gitarre zum Makarios-Gesang. Heute keine Balladen, nur deftige Zerbster Küche. Die Song-Speisekarte schmeckt dem Publikum. Man muss dazu natürlich auch immer sagen: Sind ein Sänger und ein akustischer Gitarrist angekündigt, kommen bestimmte, ja schlimme Wolf Biermann’sche Vorbehalte auf. Aber da Doktor Pichelstein - wie in Kürze, im Sachsen-Anhaltinischen Free-TV-Zerbst, zu erfahren sein wird -  Europameister in der Disziplin: „Schnellster Akustik-Gitarrist“ ist, folgt die bessere Belehrung stets auf dem Fuße, respektive aus den PA-Boxen.

„Zerbst im Sturm erobert“, titelt Doktor Makarios nach der 3. Zugabe und dem einzigen Ruhesong des Abends: „Der Arme“. Hernach gelüstet man nach weiteren prickelnden Getränken; die Amüsierkünste in Harmonistan ufern über und als irgendwann ein Hemdherr am klappernden Schlüssel das K6 durchschreitet, weiß man gerne: Aha, das muss der Taxifahrer sein, der vor einiger Zeit seinen weiten Weg hierher aufnahm. Und so fährt er dahin, durch den Sommerregen, bis die Pension erreicht ist. Und wer bisher nicht wusste, dass mündlichem Knoblauchgeschmack mit dem Aufessen von Bananen ein Ende gesetzt werden kann, dem sei gesagt, dass diese Weisheit lediglich eine magdeburgerische ist.    



  
04. August 2007 – Pirna/Hofnacht
Ein Sommernachtstraum 

Während ein katholischer, deutscher Bischof allen Ernstes vermutlich weiterhin darüber sinniert, ob die christliche Schöpfungslehre nicht Teil des Sexualkundeunterrichtes werden kann, fahren die Doktoren dienstlich nach Pirna. Ziel der Reise ist die mittlerweile bereits dritte Einladung zur dortigen Hofnacht. „Eine Sommernacht in den schönsten Höfen der Stadt“ lautet die dazugehörige Kampagne mit der Unterschrift: „Feiern und genießen in einer alten Stadt“. Gelungen ist auch das folgende Flyer-Wortspiel: „pirnatürlich“. Wie soll man das nur richtig  aussprechen? Doch soviel zur Ankündigung; The Russian Doctors spielen im wirklich allerschönsten Hof der Stadt, in der Langen Straße 36. Mirkos Bus hält direkt davor, alles fasst mit an und schon steht die Bühne. Nur die Beleuchtung hält der ungeahnten Manneskraft des Elbhang-Mirkos nicht stand. Eine der beiden PA-Boxen erliegt jener sinnlichen Schwerkraft zu Pirna, die wie eine wunderbare Vorahnung, bereits vorm Konzert, in der sonnendurchfluteten Luft liegt. Doktor Pichelstein lächelt, vermutlich liegt’s am Prosecco, der bereits auf der Fahrt von Dresden hierher lieblich am Gaumen kitzelte. Während der Wind durch die offenen Scheiben das Haar flattern ließ. 




Die Bühne also spricht: Nimm mich! Dann muss sie wohl weiblich sein. Und ehe die Doktoren geradeaus kucken können, noch bevor ein kaltes, leckeres Bier die Kehlen flutet, füllt sich der zu bespielende Hof mit Gästen, Freunden und Fans. Erste Songs werden angestimmt, man klopft beflissentlich aufs Handgelenk, weil da wohl eine Uhr ihr Unwesen treiben muss. Doktor Pichelstein stimmt beide Gitarren, Doktor Makarios testet das Gesangsgerät und schon verreist man tatsächlich in eines der längsten Konzerte des aktuellen Jahres 2007. Die Stimmung ist unglaublich und die Leute im Hof stehen sich in den Schuhen. Wer Etikette wahren will, sitzt an Holzbänken und schickt die Nachbarin zum Bierholen nach unten. Direkt vorm Doktor Pichelstein kommentieren beinharte Semester jeden Song. Manchmal eher besorgt (Fetisch-Block), dann wieder harsch protestierend (Tote Katzen im Wind, Furchtbarer Irrtum) und immer wieder mitsingend (Schnaps-Lieder). Schön gerät hier auch der viel spätere Schluss: Die Männer kauften ihren Tierliebhaberinnen Tote-Katzen-CDs am Merchstand. Hoffen wir mal, dass alle vermuteten Ehen darob noch lange anhalten. Um es auf den fingerblutigen letzten Gitarrenakkord zu bringen: Über zwei Stunden Songs, darin enthalten: erstaunlich heftige Zugabeblöcke und ein Publikum, welches sich die Doktoren immer wieder wünschen. Das liebevoll den Rosa-Biber-Schnaps aus dem Ersatz-Postsack hervorzaubert und sogar aufs Grillfleisch verzichtet. Nur um keine Konzert-Sekunde zu verpassen. 




Später in der Nacht, das Equipment ist frisch zusammen gestaut, Doktor Makarios trägt Schlapphut, gerät ein Schulpflichtiger ins Geschehen, starrt ungläubig auf die leere, grüne Flaschenarmee auf den Holztischen und ruft: „Papa, kuck mal, das gibt’s ja nicht…“. Doch, möchte man rufen, das gibt’s. Und mit einem Besuch im Nachbarhof endet der Hofnachtsausflug. Doktor Pichelstein schwankt bereits, Doktor Makarios lobt noch einmal das leckere Kesselgulasch der Veranstalter, dann wird der Bus erklommen und er fährt schnurstracks an den Elbhang, zum Mirko-Haus. Wo sich der schnellste Gitarrist der Welt selig über den Schlaf hermacht. Oder ist es umgekehrt? Danke, Hofnacht, Danke für diesen Sommernachtstraum. Bis 2008.

Klanglabor verlassen...

Während auf dem Kanapee das Girl sich mit dem Schlips aus Lurch vergnügte, der Pferdelunge smarte Gitarrenweisen hinzugefügt wurden, brachiale Gitarren auf einer Herzensratte prasselten, schlug die Turmuhr Mitternacht. Und die Arbeit war getan. Ein Doktor ließ flüssiges die sangeswunde Kehle hinunter plätschern, ein anderer Doktor hielt sich erschöpft an weichen Handgelenken fest. Durchs Veit'sche Klanglabor schnarrten noch Ideen diverser Bonustracks und ein Prumskibeat schlich sich ins Mischpult ein. Mal sehen, was der so anrichtet. 



26.10.2007 - Leipzig/Burgcafé
Tänzelnde Hände in kussechter Nacht

The Russian Doctors begeben sich in christliche Hände, tänzelnde Hände, geschaffen, um die Welt ein Stück schöner reifen zu lassen. Doktor Pichelstein würde an diesem milchigen Oktoberabend gerne viel heben und tragen, klappt heute nicht. Das Notfallzentrum "Klinik am Thonberg" diagnostizierte vortags: K49.9 - LV; T14.0-G. Der Sonographiebefund schlug in dieselbe Kerbe. "Sehen Sie? Spannen Sie bitte mal den Bauch an. Ja, so. Wenn ich hier drücke, genau, hier sitzt der Schmerz... Normalerweise muss das so aussehen (Doktor patscht die Sonokamera auf die ungepeinigte Seite)... hier liegt das Bauchfell perfekt. Und nun wieder die andere Seite. Husten Sie mal... Schmerzen? Jaja, die Hämatome verschwinden wieder. Sehen zwar bedrohlich aus, großflächig. Die weiten sich noch aus. Alles blauviolett, sehe ich. Vielleicht ein bisschen Heparin drauf. Spannungsschmerzen? Ja? Kein Wunder. Ist ja auch ein Muskelfaserriss; stellen Sie sich vor, ich würde sie der Länge nach aufschneiden, dann..."  
 









Shiva, ARTiger Schlagwerker, eilt zur Hilfe und als die Eckenbühnentürme stehen, die Vorband-Blaskapelle "Großer Gott, wir loben Dich" anstimmt, warten beide Doktoren schmauchend vorm Café. Paradiesischer Geruch liegt in der Connewitzer Luft; Hühnchen geben sich der Bratung und Auftischung hin. Kinder staunen die Backline an: "Keine E-Gitarre? Schade." Doch schon beim "Schleim am Arm" wächst Doktor Pichelsteins größter Fan des Abends über sich hinaus. Grundschulpflichtig, den Kleidungskragen wild nach vorn schlagend - ein wahrer Luftgitarrenchamp. Jeden Refrain in der Wiederholung mitsingend. Und so klingt der Abend aus, wird zur kussechten Nacht, die sich wie ein Lippenstift über Leipzig legt. Streicht hier und dort herum und zuletzt malt sie, die Nacht, die Flowerpowertheke becksfarbig an.

30.10.2007 - Dresden/Zschonergrundbad
Im Festzelt, am Badgrund

Festwirt Herr Weber machte es vorab spannend: Findet der Helloween-Abend statt? Mit reichhaltigem Buffet, Gästelisten, zeltig oder heimelig? Drei Tage vorm Buseinstieg der Herren Doktoren gebar das Knäuel der Vermutungen Sicherheit und genau so viele Einheiten später erreicht man das talstrahlende Dresden. Genauer: Das Zschonergrundbad; drum herum wachsen Nussbäume, im Bad selbst Gestrüpp und wer historisch beide Augen verschließt, vermag ebensolches zu träumen: Hübsche, einladend üppige Dresdnerinnen, in den 50er Jahren, kopfbedeckt mit weißen Blümchenmuster-Badekappen, die ihren Hintern entig lüften und von aufgebrachten Jungsozialisten mit Nüssen beworfen werden. So könnte es einst gewesen sein.  



Kalt ist's, Heizpilze werden entflammt und Doktor Pichelstein gibt sich an aufgebauter Tränke einer Beratung hin, unterstützt von Mario aus Pirna. Eve, die Fotohostess, hält den Abend fest in Händen und nach dem Soundcheck sickert's Publikum hinein. Manche sieht man Kürbissuppen schlürfen, andere vertilgen krachend' Brot unter bester Schnapszufuhr. Pichelsteins Muskelfaserriss der Leiste wird en gros debattiert; gewagte Thesen spinnen sich darüber, wie so etwas wohl zustande kommen kann. Hernach legt Makarios den Schalter um; der CD-Abspieler verstummt, das Konzert beginnt mit den "Veterenären aus Murmansk". Oft fragt man sich, warum es nicht, wie der Duden vorschreibt: "Veterinäre" heißt. Nun, alles eine Frage der sprachlichen Reife, würden Ethnologen behaupten. Und damit wollen wir ihnen Recht geben.

Vor der Pause und danach reißen insgesamt sechs Gitarrensaiten; sogar die dicke E. Wer des Gitarrenspielens mächtig ist, wird sich an dieser Stelle schon anerkennend wundern. 1.19 mm Durchmesser sterben nicht so einfach vor sich hin, zumal vorab neu aufgezogen. Später wird Doktor Pichelstein am runden Tisch von Materialfehlern sprechen, natürlich nur, um den Satz aller Sätze - nach einem 2stündigen Konzert - zu erhaschen: Na, du haust aber auch immer auf den Gitarren herum, alle Achtung! 




Stunden danach entschlüpfen die Doktoren einem Funkzentraltaxi, gesteuert von einem rasanten Armenier. Der Mann überholt nicht nur die Autos vor ihm, nein, auch sprachlich galoppiert er allen davon. Schwer scheint's, nicht vom richtigen Weg abzukommen. Und behaglich, gemütlich und schön ist's, endlich in die Kissen fallen zu dürfen. Weich sind sie und warm werden sie rasch beschlafen, den Schweiß des Abends knäuelig aufsaugend.  


01.11.2007 - Leipzig/Noch Besser Leben, Pratajev-Sturmfest 




Text fehlt

Die Pratajev-Gesellschaft informiert:

Ab 20 Uhr, im „Noch Besser Leben“, am 01.11.2007 findet er statt, der erste große Pratajev-Kongress der neuen Gesellschaft e.V. Und da an diesem Tag gewiss kein Wind den Atem anhalten wird, wurde dem Abend im Voraus der rühmliche Titel
„Pratajev-Sturmfest“ verpasst.
 
Pratajevs feine Gesellschaft:

Die Pratajev-Gesellschaft e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, das Andenken und Werk des russischen Dichters  S.W. PRATAJEV (1902 - 1961) kulturell zu pflegen und sieht sich in der Pflicht, heute fast vergessene literarische und musikalische Hinterlassenschaften wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Sergeij Waschowitsch Pratalinko, geboren im Dörfchen Kurtschinsk-Robersk im nördlichen Sibirien, gelang es einst, revolutionär-fiktive Romane in vielerlei Herzen zu schreiben. Seine sozialistisch-heldenhaften Figuren wurden zu Idolen und Idealen. Vor allem in der ländlichen, russischen Bevölkerung wurde er kulthaft verehrt.     Kurz vor Vollendung seines letzten Romans "In den Todeslabyrinten Kaszauliens" starb Pratajev während einer Gruftbesichtigung in Irsocks-Matovsk.  S.W. Pratajev hinterließ neben Prosa und Lyrik auch „Medizinische Schriften“ und ging selbst als Figur in die Sagenwelt seiner Heimat ein. Neueste Forschungsergebnisse - nebst anekdotischem - wurden bereits in Büchern zusammengetragen. Als Herausgeber nennen wir Holger Makarios Oley, 1. Ehrenvorsitzender der Pratajev-Gesellschaft e.V. Zuletzt im 1. Almanach der Pratajev-Gesellschaft „Haus aus Stein“, erschienen im Morgana-Verlag. Im Januar 2008 erscheint das Nachfolgebuch, diesmal im „Verlag Andreas Reiffer“.

Das Sturmfest:

Aus den Büchern und Werken Pratajevs liest der 1. Ehrenvorsitzende der Gesellschaft, Holger Makarios Oley, auch bekannt als Frontmann der Band „Die Art“, sowie – gemeinsam mit Doktor Pichelstein – Sänger von Pratajevs Leib- und Seelenformation „The Russian Doctors“. Jener Doktor Pichelstein betätigt sich seit einiger Zeit auf dem Gebiet der Plagiatforschung im Sinne der Pratajev-Gesellschaft. Einige dieser Fälschungen - u.a. wurden sie von Wladimir Petrowitsch Uschakow in der inneren Mongolei der später 60er Jahre in Umlauf gebracht – werden also zu hören sein. Zudem einigte man sich auf einige bisher völlig ungehört Songs der Russian Doctors im Repertoire, die den Redefluss beider Doktoren ab und zu in wilden Gitarrengesang ummodeln sollen. Hinzu stoßen live auf die Bühne des „Noch Besser Leben“ zwei nicht minder unbekannte, Leipziger Pratajev-Ehrenmitglieder. Die Rede ist hier von den Herren Max Reeg und André Kudernatsch. Der eine bekannt als Radio-PSR-Stratege, der andere durch seine Kautsch-Moderationen. 






01.12.2007 – Frankenberg/Privatparty
Werktätig in einer Türentischlerei
















Ach, der gelbe Schnaps. Ausgeschenkt in kleinen und großen Bechern. In langen Reihen, von der Theke bis zur Bühne gereicht. Über Indien gesprochen, warum auch immer. Mittags, aufgewacht im Kinderzimmer, ein Pochern an der Tür und Sanne sei für alles Dank. 

Dabei sah's bei Abfahrt der Doktoren im Sturmtief Leipzig noch ganz kritisch aus. Aber nur, was die Auswahl des Konzertautos betraf. Der Bus weilte in Berlin und eine komplette PA lässt sich schlecht in den Pichelstein-A3 verklappen. Blieb nur jener BMW-Kombi mit Automatikschaltung, bei dem seit längerem die komplette Elektronik streikt. Mit defektem ABS, somit knirschenden Bremsen, mit Verlust der Tank- und Geschwindigkeitsanzeige. Innerlich funktionierte eigentlich nur das Radio. Genauer gesagt: Der MDR Sachsen-Funk mit seinen bahnbrechenden Schlagerschnulzen der frühen 60er Jahre. 

"Mit 17 fängt das Leben erst an", summt Doktor Makarios auf der Bundesstraße Richtung Chemnitz, "Ich kenn ein Girl am Zuckerhut", später Doktor Pichelstein. Meilensteine der Musikhistorie, die gerne über die Gefahren des Autofahrens hinwegtäuschen wollen. Wie Recht sie haben. 





Das Konzert wird - und das muss unbedingt gesagt werden - stark betrunken gespielt. Vor allem Doktor Pichelstein schwitzt den Schnaps kräftig ins Hemd; routiniert schnellen Gitarrenakkorde aus den Boxen, begleitet von Makarios' Weisen. Drei Blöcke sind am Schluss vorbei und nach dem letzten lassen sich erste Vertreter der Chemnitz-Fraktion den Pratajev-Text "Das Idyll" draußen, auf der Wiese, ordentlich durch den Kopf gehen. Gerne zitieren wir einige Zeilen daraus: "Und hoffentlich muss ich nicht brechen / das könnte sich, wenn es die Mädchen sehen/ ganz bitterböse rächen". 
Schnell noch eine (von vielen) Varianten über den Gelben Schnaps:

Schwerpunkt: Wodka, vermengt mit: Eierlikör, Apfelsaft, Soda, Zitrone. Danke für diesen Abend und jene Nacht, die Doktoren spielten werktätig in der Frankenberger Türentischlerei und fordern hiermit, gemeinsam mit der IG Bau: 40-Stunden-Nächte für alle.





15.12.2007 - Luftbad Zschonergrund/Wasserwirte-Party
Im Wasserwirtshaus 

Eine Sängerin aus dem nördlichen Delmenhorst, welches durch die letzte Platte von Element of Crime bekannt wurde, jedenfalls Sarah Connor, wiederum bekannt als begnadete, strophenfeste Up-sängerin des Deutschlandliedes – genau. Davor fürchten wir uns alle. Warum wir uns alle fürchten? Sarah Connor rückt am Tag vor Heiligabend auf Leipzig vor. Am Steuer eines Coca-Cola-Weihnachtstruck. Unzählige Plakate verkünden es; Freude und Leid liegen eng beisammen. Okay, Coca-Cola hat den Weihnachtsmann erfunden. Darum geben wir Cola dem Whiskey hinzu. Aber nur, wenn er besonders billig war. Doch von all dem soll noch keine Rede sein. Heute, am Samstagabend, geht’s ins Luftbad Zschonergrund, genauer gesagt: auf die Party des „Studiengangs Wasserwirtschaft, Spezialisierung Industrie- und Siedlungswasserwirtschaft“ an der TU Dresden. Organisiert vom Gastgeber Daniel, kein Unbekannter in der Branche. Die russischen Doktoren wissen das zu würdigen. 




Im Tourbus ist’s mollig warm, Doktor Makarios weilte bis vor kurzem auf DIE-ART-Reisen, brachte kalten Nordwind mit, und schläft sich erst mal aus. Schönste Navigationen bringen Dr. Pichelstein ans erleuchtete Ziel und damit direkt an den Glühweintopf von Herrn Weber. Dankend wird getrunken, schon baut man an der Bühne, bald soundcheckt man, bald raucht es überm Grill und heißer Wein verpuppt den Pichelsteinschen Winterschnupfen zum andächtigen Geschnäuz.  

Gespielt wird in mehreren Blöcken; Doktor Makarios nimmt sich zuerst die Abteilung Medizin und Heilung vor, danach erklingen Schnapslieder, der russische Fetisch kommt nicht zu kurz; zwischendurch reißen die Saiten, die schöner nie klingen, freut man sich hier zu sein, auf einer Wirtsparty der gelungenen Art. Nie waren Wirte so wertvoll wie heute, erst Recht, wenn sie dem Wasser nahe kommen. Es dichterisch bestimmen und all das, was darin herumschwimmt, zu Poesie verarbeiten. Der Grundstoff allen Lebens, ja, was wären wir ohne die Wasserwirte. Denn wir wissen: Nach Feierabend widmen sie sich dem Schnaps, der Gemütlichkeit und vorm Heizpilz erklingt deshalb ein letztes Mal in diesem Jahr die „Schnapsbar“, denn das historische 140. Konzert der Doctors ist zugleich das letzte seiner himmlischen Art im Jahr 2007.  





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