21.02.2007 – Dresden/Mondpalast
Lektüren am Tag danach
Noch am Abend zuvor betrug die Körpertemperatur des Doktor Pichelstein 40 Grad auf der nach oben offenen Fieberskala. Eine äußerst lästige Grippewelle fegte noch immer und wieder über Leipzig hinweg, doch mit heißen Hühnerbrühen, probaten Tomatensuppen und gefüllten Kräuterteetassen stellt sich jeder vernünftige, rasche Gitarrist stets so weit wieder her, dass beladene Autos gen Dresden gelenkt werden können. Beim Bühnenaufbau im Mondpalast stand eine Kleenex-Schnupfbox im Mittelpunkt, aus der fortan gerne das ein oder andere Tüchlein gezupft werden durfte.
Die Doctors inkognito, denn in der Presse angekündigt wurde dies: Lesung Frank Bröker BARWARS. Alles, wie abgemacht; Doktor Makarios als Special Guest und der Palast füllte sich. Neu-Nichtraucher-Chef Ralf montierte die multimediale Technik; es startete eine Urban Electronic Poetry-Lesung, gewürzt mittels Film, Musik, Vorträgen aus den BARWARS- & Samtmarie-Schriften. Dann lockte die Pause mit Schnaps gegen den Schnupfen; viel Flüssigkeit verordneten sich beide Doktoren, denn das hilft gegen laufende Nasen, sind sie auch noch so schnell. Der Begriff des Groupies wurde auf eine harte Probe gestellt, verlangte doch stets eine mitteljährige Mutti konsequente Aufmerksamkeit - jeder Doktor schob das Problem dem anderen in die unruhevollen Schuhe. Die wollten den Bühnenbeat; Makarios fragte ins treue Publikum: „Was soll kommen?“ Und so spielten sich die Doctors-Hits, einer nach dem anderen, wie von selbst. Wenn Dr. Pichelstein auch sitzen musste, denn die Kombination aus Grippemitteln, Schnaps und schnellem Gitarrenspiel war dann doch ein wenig kräftezehrend.
Hernach
überreichte Hilfsdoktor Jörg Manzel Doktor Makarios den Stein des Weisen; eine
Symbolfigur der Wortpatenschaft. Fortan liegt es nun an Makarios, das Wort
„Samtmarie“ zu hegen und zu pflegen, was er pronto heiß und innig schwor.
Doktor Pichelstein durfte ins weiche Hostelbett, legte sich in warme Kleidung
und verdampfte mindestens zehn Liter in die Atmosphäre.
Am
nächsten Mittag stellte Doktor Makarios bei der Lektüre des „Dresdners“ bass
erstaunt fest, dass er bereits vor einer Woche im Mondpalast konzertierte. Als
führendes Mitglied der Band „Die Pest“. Na wenn das mal nicht glatt gelogen
ist. Bei Vollkornwurstbrötchen, Kaffee und Aspirin konnte Doktor Pichelstein
noch berichten, dass die Erfurter Sängerin Jean L. einen fürchterlichen
Aufstand ob eines Tourtagebucheintrages des Endjahres 2005 fabriziert hätte.
Vor allem die Offenbarung ihres Kühlschrankinhaltes habe zu einer Art
Highländer-Diskutantentum geführt. Aber nun, wenn Zeit sich dehnt, die Sekunden
sich aufblähen, entsteht Spannung. Das ist ein physikalisches Gesetz. Und wenn
man Limetten im Kühlschrank vergammeln lässt, wird daraus vulgo eine große,
berichtenswerte Stinkerei, die sich in harmlose Lebensmittel und Tourtagebücher
hineinfräst.
22.02.2007 – Merseburg/Café
Heubach
In der Stadt der Studenten mit
schlechtem Abitur
Doktor
Pichelstein raunt zum Doktor Makarios: „Na dann wollen wir mal“, zitiert so
Pratajev als Strafschaffner und schon braust der Bus los. Er fährt gut, der
Bus, nur verfügt er über eine gewöhnungsbedürftige Handbremse. Links am Pult
zieht der geübte Fahrer einen Hebel, woraufhin ein Handpedal, Marke Rollstuhl,
zum Vorschein kommt. Besser, man tritt die Fußbremse heftig, nur bei Steigungen
reicht das leider nicht aus. Zwei Tage später, auf dem Weg nach Großenhain, zum
Beispiel. Aber das ist, wie so oft,
schon eine andere Geschichte.
Herr
Krause fährt mit; der Pratajev-Darsteller ist ob diverser anstehender
Schulprüfungen not amused. Die Doktoren heitern auf, das können sie, dafür
werden sie von den Veranstaltern gerne gebucht. So auch heute. Es geht nach
Merseburg. Ein Flecken Erde, den in erster Linie Studenten mit schlechtem
Abitur betreten; hier gelingt es auch ihnen sich für den Studiengang
Sozialwesen einzuschreiben. Ganz anders die Belegschaft des recht neu angesiedelten
Café Heubachs. Vormals betrieb man das Hallenser Café Schwarz, nun wird in
Merseburg gezapft. Kultur gehört dazu und das Publikum bleibt fast aus. In
großer Runde hockt man sich ergo an zusammen geschobene Holztische, während
Doktor Makarios aus den Schriften Pratajevs und Doktor Pichelstein aus den
Saiten Prumskis vorträgt. Erstmals gelingt es, den Song „Neue Zähne“, in dem
Pratajevs Zeit als Hilfszahnarzt besungen wird, zum Besten zu geben.. Die
Doktoren versprechen, dies bald öfter zu tun. Nichts desto Trotz fließen die
Getränke, zumeist aus kleinen Gläsern. In der Pension parkt Doktor Pichelstein
die Kleenex-Schnupfbox direkt in Nasenhöhe, schläft stante pede ein und wundert
sich am nächsten Tag, warum genau dieser überhaupt anbrechen musste. Doch das
Frühstück heilt, der Kaffee lockt und über dem Aufschnittteller liegt ein Hauch
Merseburger Sonnenschein.
23.02.2007 - Torgau/Brückenkopf
Ihr habt von Schnaps gesungen,
also müsst Ihr auch welchen trinken
Nass
sind die Wege ins Elbische, den Bus ficht das nicht an und vorn an der Scheibe
versuchen sich die Doktoren an der Wegfindung. Kein Wildschwein zieht es indes
unter den Motorblock, so tuckert man dahin und erreicht den warm befeuerten
Brückenkopf. Bereits 2003 gastierten The Russian Doctors an diesem Ort, „na,
dann wollen wir mal sehen“, spricht Makarios in den Regen und schleppt den
Merchkoffer ins steinerne Innere des Komplexes.
Lecker
wurde gekocht, sehr lecker. Sternburger Exportkisten werden kühl
bereitgestellt, Rotwein lagert im Backstage und von Ferne naht die Vorband –
eine später klasse aufspielende Akustikformation. Die Umdeutung großer Hits für
die kampferprobte Sechssaitige. Vorm Konzert hält man Kontakt; das Publikum
bevölkert den Brückenkopf zahlreich und ein Streetworker namens Jörg wird
vermisst. Pichelstein bekommt eine Mixery-Mütze geschenkt; die ist gottseidank
zu klein und darf zurückgegeben werden. Das Konzert beginnt; Mr. Sperrzone
regelt den Liveverkehr am Mischpult und es wird kolossal. Vor lauter
künstlichem Elbenebel kann man allerdings nur erahnen, was vor der Bühne
passiert. Es wird gekreischt, gestanzt, getanzt. Doktor Makarios kündigt die
„Toten Katzen“ mit einer Begebenheit an, die sich im Jahr 2003 zutrug: Damals
strangulierte man um die geographische Ecke, in Belgern (nicht in Torgau!),
eine Katze an eine Straßenlaterne. Das alles kurz nach dem ersten
Doctors-Konzert im Brückenkopf. Ein Bahnhofversteher, wer da gar nichts denkt.
Dann
ist alles gespielt, die Zugaben sind gegeben. Doktor Pichelstein kippt sich
Aspirin ins Glas, es folgt ein Wodka des Veranstalters (noch einmal ein großer
Dank an dieser Stelle - auch für die späteren Whiskeys!), es naht ein junger
Punk, der Doktor Pichelstein eine warme Flasche Aldi-Cola unters Kinn hält.
„Trink“, spricht es aus ihm heraus, „ Ihr wart super.“ Pichelstein trinkt. „Was
ist da drin?“ – „ Schnaps! Ihr habt von
Schnaps gesungen, also müsst Ihr auch welchen trinken und hinterher zeig ich
Euch noch unseren Proberaum…“
So
weit kommt es in dieser Nacht nicht mehr; der junge Punk, auch Gitarrist,
schläft hockend am Bühnenrand und schon ändert sich die Szene. Auf der anderen
Seite der Elbe wartet der Wirt in seinem Pub, bereit, allen Menschen einzuschenken,
die noch stehen können. Gemütlich wandern die Doktoren später selig ins
Pensionszimmer.
24.02.2007 – Großenhain/Hexenstübl
Clubsongs gehen in die Knie
Wie
in den beiden Jahren zuvor, laden Nico, Jörg und Micha illustre Gäste zum
frivolen Geburtstagsstelldichein ins Großenhainer Hexenstübl. Doktor Pichelstein bringt, zum unerfreulichen Geschenk,
gleich einen Fußbreit Hundemist mit hinein. Im Jahr 2007 spielen – statt
der Doctors – Makarios & Gumprecht Die ART-Clubsongs im Hauptfeld. Aber, es
wäre natürlich vermessen, an solch einem Abend nichts von den Herren Doktoren
überliefert zu bekommen. Im Laufe eines schnapsschwangeren Nacht erklingt so
der Bibersong und vielleicht noch mehr, nur weiß das bis heute keiner genau.
Zählen wir dieses Konzert aber dennoch als solches. Wenn auch als ganz
winziges.
Ach,
ist das schön. Die ART-Clubsongs streichen sanft aus den Frontboxen, Dr.
Pichelstein sitzt zuweilen hier, steht zuweilen dort und immer schenkt Micha
nach. An Micha ist ein herzensguter Wirt verloren gegangen, vielleicht
korrigiert sich das ja noch irgendwann. So lange wollen wir nicht warten und
loben stattdessen die Käsesuppe vom Jörg, die stringent geniale Songauswahl vom
DJ Nico und gehen in der Art der Pressefotographen in die Knie, um die kleine
Welt vor Augen ein wenig größer erscheinen zu lassen. Möge dieser Satz Chiffre
sein für die ferne Utopie, in einer Samstagnacht bereits an den Sonntagmorgen
denken zu müssen.
01.03.2007 – Leipzig/Helheim
Das
124. Konzert ist als Pratajev-Winterfest konzipiert. Verwehte Sturmtief Kyrill
noch am 18.01. alle Hoffnungen auf einen glorreichen Abend, so kann man den
heutigen eher als gelungen bezeichnen. Die Stühle füllen sich, die Bühne ist
bereits bebaut und der Ersatz-Beamer sorgt für Euphorie beim Veranstalter Herrn
Krause, welchem die Doktoren – feat. Technikcrew – gerne zu Dank verpflichtet
sind. Zwar ist das Helheim im Leipziger Westen nicht immer der
bestfrequentierteste Ort, doch wird das schon noch werden. Mit dem Habitus des
Pratajev-Entdeckers bringt Doktor Makarios den ersten Verlauf des Winterfestes
in die Spur. Das Publikum keckert und grinst, als Pratajevs Geschichten zu Ohr
genommen werden. Doktor Pichelstein verkündet die Neugründung der
Pratajev-Gesellschaft zum heutigen Tage; Beitrittsformulare liegen aus nach
offizieller Sitzung samt Satzungsverabschiedung. Dazu reicht der Wirt eine
deftige Soljanka und kann über getränkeschönen Umsatz nicht klagen.
Nach
einem ersten Konzertblock liest Makarios aus dem verteilten Abendprogramm:
„Aha, hier steht jetzt Film. Also zeigen wir Euch nun einen Film.“ Ana
Ivanovna, Pratajevs Großcousine, berichtet via Leinwand brotbeutelhaft über
Begegnungen mit dem russischen Dichter. Eine Schweigeminute für die Opfer der
Gefrierkatastrophe von Bolwerkow führt direkt in den 2. Konzertblock. Das
bewährte Konzept des kalkulierten Applauses geht auf; der Zuruf bestimmt das
Set. Doktor Pichelstein dichtet während des Spielens vor sich hin: „Wer
stöckelt mit sündigem Blick durch Nacht und Wind? Es ist Paris Hilton und macht
uns blind“. Manchmal gehen einem schön blöde Sachen durch den Kopf.
Nach
Filmblock 2 ist es geschafft. Fragil, dunkel und schützenswert ist die Nacht,
sie führt den Tross ins Flowerpower, direkt zum Tresen, dann ist die Nacht
gewesen.
02.03.2007 – Chemnitz/Subway to
Peter
Das Glücksprinzip
An
der Theke dämmert es bereits genüsslich; Chefwirt Mario reicht zum Gruße die
Hand, das erste Beck’s für Doktor Pichelstein in der anderen. Durchs Subway fegt
ein Hauch glorreicher Nostalgie. Die Doctors spielten hier bereits mehrfach; ein
ums andere Mal ging’s ums nackte Überleben. Makarios’ Satz: „Ich will nicht in
Chemnitz sterben“, ist mittlerweile so legendär, wie Fidel Castros Dogma vom
„Sozialismus oder Tod“.
Gekocht
wird heute unvegetarisch, was an den Troopers liegt, die heute im Bunker
spielen. Beide Clubs, Subway und Bunker, bilden eine Symbiose, wenn’s um die
Bandverpflegung geht. Und ein Trooper isst nun einmal Fleisch. Die Doctors
loben dies, vor allem den Koch. Und sich selbst, denn der Soundcheck ist ein
Kinderspiel. Ein Berliner Bassist erklärt wortreich, warum Musiker Helden sind,
deckt sich mit Merch-Artikeln des Subways ein, ordert ein frisches Getränk,
zieht die Mütze tief ins Gesicht. Bis die ersten Mädchen in Brechlaken und vor
Eimern liegen, resp. die Polizei mit zwei Mannschaftswagen anrückt, dauert’s
noch. Zwischen seichtem Krawall, einer
Specknacken-Nichtraucherschutzdiskussion, zwischen Absinth-Torkeleien und der
Rückkehr der Troopers an einen der Holztische, liegt eingebettet das
Doctors-Konzert.
Um
es vorweg zu nehmen: Sowohl Doktor Makarios, als auch Doktor Pichelstein,
verlassen später heilen Antlitzes den Club, erhobenen Hauptes, denn die Mission
auf der Bühne klappt wie am gelben Schnapsschnürchen. Gespielt wird alles - und
weil das immer noch nicht reicht, stellen sich ungeahnte Zugaben hinten an.
Wodkagläser schwenken durch die Gegend; man reicht sie auf die schweißnasse
Bühne und leer sind sie. Das Glücksprinzip wird in keiner Sekunde in Frage
gestellt und als dann schlussendlich all die Dinge passieren, die bereits kurz
angedeutet, werden sie aus höheren Warten beobachtet. Quasi visuell verarztet.
Alphatiere und Untergeher vereinen sich im Rausch und niemand will mehr jemand
sein. So pinnt sich die Nacht den Morgen auf die Brust.
03.03.2007 –
Erfurt/Tiko
Draußen war
Mondfinsternis
Gar nicht leicht zu
finden, das Erfurter Tiko. Die wochenvorherigen Nachfragen im Myspace-Postfach
rissen nicht ab. Wenn man den verwinkelten Gässchenhauer Erfurt zu Fuß
durchschreitet, gelangt man von Markt zu Markt. Und irgendwann auch ans Tiko,
gelegen an einem der urbanen Ufer des Flüsschens Gera. Dort parkt der Audi und
die Doktoren sind beileibe froh, nach langer Wallfahrt, vorbei an all den
profanen, historischen Gebäuden, den heutigen Nabel der abendlichen Kultur
erreicht zu haben.
Zuerst betritt eine
Abordnung der Erfurter Denkmalpflege das Tiko; Doktor Makarios hebt die Cola
zum Gruße, Doktor Pichelstein befindet sich aktuell in der Beck’s-Woche und
scheppert die erste Flasche gegen ausgeschenktes Fassbräu. Die Denkmalpfleger
geben der Umgebung eine Note. Sie lautet: 14. Jahrhundert. Gemeint ist vor
allem der Torbogen überm Eingang. Wieder was dazugelernt. Die Bühne befindet
sich unterhalb des Schankraumes, wurde bereits für sehr tauglich erklärt. Ein
kurzer Soundcheck, ein fabulöser Mischer in schicker, kerkerhaft restaurierter
Umgebung bestätigen den ersten Eindruck: Wie gut, dass man hier ist.
Schwesternschülerin Natascha berichtet vom jüngst ersteigerten Herrenzimmer,
welches Tags drauf aufgebaut werden soll. Zur Stunde wird es just in
Ostfriesland abgebaut. Von ungefähr da her stammt ursprünglich Doktor
Pichelstein. Von dort, wo die Wirklichkeit mit einem einfach überfordert ist.
Um das zu vergessen, trinkt der Einheimische, so oft es geht, Tee mit Klüntches
aus dünnen Scheibchentassen. Gegen Mittag stellen die Männer Krüden hinzu, was
ein norddeutscher Schnaps ist.
Hoff, Chef des Tiko,
ist leider verreist, stellt den Doktoren indes netterweise seine Gemächer zur
Verfügung. Beide Abendwirte wurden fürs leibliche Wohl abkommandiert; sie
machen ihre Sache hervorragend. Wäre man Philosoph, würde vermutlich folgendes
zutreffen: Jede treibende Thekenkraft ist Teil einer großen Bewegung der
durstigen Sache Mensch. Dann ist’s fast 23 Uhr, die Schlagzahl der Getränke
wird erhöht, das Konzert beginnt und – damit war nicht wirklich zu rechnen –
die gesamte Tikobesucherschar trollt sich in den Kerkerbereich, anfangs etwas
schüchtern, dann jedoch flott, tanzend, zumindest fußwippend. Während in manch
anderen Konzerten die Ellenbogen als wichtigste Körperteile im Publikum
ausgemacht werden, sind es heute die Hände. Die machen das, was The Russian
Doctors am allerliebsten haben: sie geben Signal zum Beifall, immer wieder und
auch die Zugaben werden akkurat damit verpackt. Nach knapp zwei Stunden pusten
sich die Doktoren im Backstage gegenseitig an; Makarios’ Stimme ist bereits zu
Bett und Pichelstein hockt auf dem Schafott, ausgetrocknet, wie ein der Sonne
zu nah gekommener Kammmolch.
Draußen war gerade
Mondfinsternis, irgendwo hinter den Wolken der Erfurter Nacht. Drinnen wechseln
Tonträger den Besitzer und alle Bühnenlampen leuchten durch verhangene Schirme.
Da sträuben sich
glatt die Augenbrauen
Ganz im Soundquadrat der Fliehenden Stürme eingehüllt, starten die Doctoren Richtung Leipziger Westen zur A9. An der Tankstelle Marschnerstraße scheint Sportlerball zu sein. Aufgelöste Drahtige werden aus Bussen gespuckt und gelüsten sich am Benzingeruch. Sie stauben, bewaffnet mit immens dicken Turnbeuteln, umeinander. Doctor Pichelstein hat alle Mühe, keinen der ihren unter den Motorblock zu bekommen. Links, wie rechts, wird getankt. Mancher Tanker zerrt verzweifelt am Dickschlauch, der sich ums Auto windet, weil man blöderweise falsch an die Zapfsäule herangefahren ist.
Im
Café Wagner stellt sich der Mischverantwortliche vor; er habe gestern bei Ebay
ein neues Pult erstanden und wolle das heute einmal testen. Die Doctoren sehen
sich im Frühstadium der Verzweiflung an. So was kann nicht klappen. Um es mit
Asterix zu sagen: „Da sträuben sich glatt die Augenbrauen“. Der junge Mann
trägt Bart, macht sich frohen Mutes an den neu erworbenen, älteren
Gebrauchswert heran, während Makarios die Mikros gekonnt ausrichtet. Der
Soundcheck zieht sich hin, denn, wie zu erwarten war, stellt sich das Pult
quer. Aus dem Monitor knattert’s bedrohlich, die Fader und Podis sind total
verdreckt. Pichelstein bietet einen kräftigen Schluck Kontaktspray nebst Kettensäge
an.
Eddi
vom Majorlabel, der den Abend heute präsentiert, ist guter Dinge und wird ob
seines wohl von der Tante gestrickten Wollpullovers vom Schnapsmonopolinhaber,
dem Wirt, gehänselt. Auf dem Klo entdeckt Makarios einen geklebten Aufruf. Er
lautet: „Nieder mit Gebühren und dem Prekariat“. „Dann mal nieder mit den
Prekären“, sagt jemand aus dem Off. „Fleischtomaten esse ich nicht, ich bin
heut‘ Vegetarier“, ist noch so ein Satz, der fällt, bis scharf angerichtete
Pesto-Nudeln in einer Salzlache die sensiblen Doctorenmünder erreichen. Ab zehn
wird’s erfreulich voll im Café, Doctor Pichelstein verreist im Budweiser-Rausch
gedanklich schon mal auf die angerichtete Bühne.
Das
Intro läuft ein wenig aus dem Ruder; den Monitoren wird ein Kriegsspiel
entlockt. Mal gewinnt die Gitarre, mal der Gesang. Das Ding benimmt sich wie
eine offene Hose und in der Ferne kämpft der Mixer mit dem Mischer. Oder
umgekehrt, man erkennt es nicht genau, da auch die von Hand gesteuerte Beleuchtung
phasenweise aussetzt. Aber, alles halb so schlimm. Pichelstein spielt Sololäufe
wie in der „Heilung“ auch unter finsteren, tanztherapeutischen
Rollstuhlbedingungen. Der Applaus im Publikum steigert sich, und als endlich
die erste Gitarrensaite reißt, somit auf rotem Erlenholz weitergespielt wird,
klappt’s auch mit dem Sound. Mit gelbem Schnaps im Blick verabschieden sich
Pratajevs Erben nach dem Schlussakkord Richtung Theke, kehren unter wilden Zugaberufen
aber doch besser um. Wer einmal ein Doctors-Konzert der längeren Art erlebt hat,
weiß, dass die Tour-Setlist mehrere doppelte Böden hat.
Am
nächsten Morgen weckt ein Doctor den anderen, um sich auf die Suche nach einer
netten Frühstücksofferte zu machen. Die Stadt Jena, in der schon bald die
Liedermacherin Bettina Wegener gastieren wird, hält dafür das „Stilbruch“
bereit. Einen, rein vom Interieur her, schicken Laden, in dem die Kellner so
arbeiten und aussehen, als hätte ein Amtsgericht ihnen Arbeitsstunden
verordnet. Aber noch einmal zurück zu Bettina Wegener: Keine Panik, die graue
Eminenz der DDR-Betroffenheitslyrik geht in Rente und nennt ihre Tour: „Ich
gehe…“ Ob die drei Pünktchen hintendran Anlass zur Sorge bereiten müssen, sei
dahingestellt.
22. März 2007 – Leipzig/Kunstgeist
Kein Wintermärchen
Winter,
Du Unhold. Eigentlich gab es Dich das ganze Jahr noch nicht. Nur zur Eröffnung
der Buchmesse, am 22. März, da schlugen Deine kalten Flammen zu. Doktor
Makarios sagte vorher noch zum anderen Doktor: „Das wird heute ganz dumm in
diesem Kunstgeist. Da kommt keiner durch. Nicht mal die Leipziger schaffen das“.
„Und weil der Club im Osten residiert, eh vom Wetter benachteiligt, erst recht
nicht“, meinte da der andere Doktor. Fuhr den Audi aber dennoch voller Elan
übers schillernde Glatteis hinweg, fand eine verwehte Parklücke und schleppte
kurzfristig Gitarren und Koffer übers winterliche Parkett.
Zur
Premiere des 1. Buches „Haus aus Stein“ der neuen Leipziger
Pratajev-Gesellschaft e.V., erschienen dann auch nur wenige. Und noch mehr
sagten per Funk ihren Besuch ab. Andere wiederum fanden den Kunstgeist nicht,
was woran auch immer lag. Nun denn. Getrunken wurde trotzdem; das
Schnapsmonopol lag bei der schwarzen Wirtin. Eingehüllt in Pratajevs & Uschakows
Worte und Weisen lauschte das zarte Publikum doktoresken Mündern und Saiten. Zum
zweiten Mal wurde „Neue Zähne“ gespielt. Tja, und wer den Abend verpasst hat,
dem sei gesagt: Macht nichts. Da lebt die Erleichterung, denn das nächste
Pratajev-Fest kommt bestimmt. Und diesmal wird’s ein richtiges. Der Termin sei
hier bereits genannt: Am 01.11.2007 findet in der Galerie am Heizhaus,
Hans-Poeche-Straße 2-4, hinterm Leipziger Listhaus, dort, wo sich um die Ecke
das große Messe-M dreht, das Pratajev-Sturmfest statt. Mit Max Reeg, André
Kudernatsch und die Pest, Natasha Petrowna, Nikolai Biberowitsch, The Russian
Doctors uvm. Makarios wird neue Pratajev-Gedichte rezitieren, Pichelstein sich
hingegen Pratajev-Plagiaten widmen.
06. Mai 2007 – Berlin/Duncker
Durch Taiga und Tundra
Doktor
Pichelstein ist wieder da. Drei Wochen Sri Lanka hinterließen u.a. folgende,
erstaunliche Erkenntnis: Ayurveda hat mich krank gemacht. Darüber kann die
Fachwelt jetzt tagen oder es besser sein lassen, nein, Doktor Pichelstein
schwor sich nach diesem Asien-Trip: „Zuviel Gesundheit schadet nur und der
Körper verliert jedwede Abwehr. Wenn denn mal tatsächlich ein Bakterium die
Innereien bereist, ist nichts mehr da, was sich damit auskennt.“ Kurzum: Völlig
ausgedünnt und krankgeschrieben, teegeschwängert und crackerkauend verbrachte
Makarios’ Gitarrist mehrere äußerst unruhige Tage in Flugzeugen, auf Terminals,
unter schlecht gelüfteten Bettdecken von Colombo über Amman bis Leipzig. Am
darauf folgenden Wochenende spielten Die Art ihr ersten Konzert nach so vielen
Jahren in Chemnitz; alkoholische Testversuche am Probanden Pi zeigten dort erstaunliche
Wirkungen: Wenig Schnaps, viel Trunkenheit, verteilt auf eine Nacht: Proband
benimmt sich seltsam, muss gestützt werden und verzichtet unbedingt aufs Frühstück
am nächsten Tag im Hotel.
Ein
weiteres Wochenende später konzertieren die Herren Doktoren des Sonntags im
Berliner Duncker-Club. Pichelsteins Gitarren-Kaskaden fliegen einem nur so um
die Ohren, Doktor Makarios singt ins hüfthohe Publikum hinein. Veranstalter
Herr Manegold kündet zweimal Frauenbesuch auf der Bühne an. So werden schwarze
Bretter betreten, um Geschichten darzubieten. Die Doctors befinden sich heute
auf einer poetischen Bühne und wollen den warmen Hackebällchen im
Kuno-Behältnis draußen nicht ganz trauen. „Das Hack hab ich schon im April
gekauft“, ruft der ehemalige Die Art-Lichtmischer feist in den Berliner Abend hinein.
Sorgenerfüllt greift Pichelstein in die Schüssel, kostet und lobt das
Gebratene. Während Kuno sich Schnaps nachschenkt und der dritte Doctors-Konzertbock angepriesen wird.
Lob
ans brillante Publikum an dieser Stelle, Lob auch an Herrn Manegold, der die
Nacht mit den üblichen Berliner Worten beschließt: „Ihr schlaft bei mir. Das
ist gleich um die Ecke.“ Wer diesen Satz eines Berliners kennt, der weiß, wie
lange es sehr hell werden muss, bis die Herberge auch tatsächlich erreicht wird.
Vermutlich war es Ende des 2. Weltkrieges, als die Rote Armee gefechtsmüde
Landser einsammelte, genauso ein Satz, der die Gefangenen durch Taiga und
Tundra zuversichtlich gen Sibirien laufen ließ. Man weiß es nicht und war auch
nicht dabei.
12. Mai 2007 – Chemnitz/B-Plan
In den CD-Playern der Taxen von
Chemnitz
Eine
runde Zahl: das 130. Doctors-Konzert. Beginnt es auch spät, gar in einer
Maifrühlingsnacht. Doch genug der Poesie. Der B-Plan ist sowohl Jugendclub, wie
auch Partytreff aller zusammenhängenden Generationen. Als die Doktoren
ankommen, umschwärmen Wagenladungen voller Kinder im schlimmsten Alter das
Gelände. Man reicht Kekse, Kaffee und weist auf dies und das hin. Stunden
vergehen, die Bühne steht; im Soundcheck ist von einem Gelben Fettfrosch die
Rede und letzte Kinder werden aus dem Paradies abgeholt. Lange sitzt man
zwischen Backstage und Bühne hin und her, verteilt’s Gewicht mal hier, mal da und freut sich, als es endlich
losgeht. Vor lauter Nebel weiß weder der eine noch der andere Doktor, was
unmittelbar vor der Bühne passiert. Als dann recht euphorisch Hände nach
bereits einem Song zu klatschen beginnen, da lebt die Gewissheit: Wir sind hier
nicht allein. Ein durchaus schönes Gefühl.
Sanne
trägt heute Fettfrosch und das auf einem T-Shirt. Weitere russische
Kleidungsmotive werden an Frauen und Männern ausgemacht. Wenn auch erst später,
denn einskommafünf Stunden läuft der Gitarren-Mähdrescher des Doktor
Pichelstein auf Hochtouren, singt und spricht der Maßstab des Doktor Makarios
aufs Publikum hinunter. Der Sound klingt prächtig, Herr Mischer und Herr
Lichtmischer geben alles. Und je betrunkener sie werden, umso mehr Nebel
schweift durch den B-Plan. Beide Doktoren gemahnen an Veterinäre in einem
nordisch-nebligen Kuhstall und benehmen sich auch so. Weil Pratajev es genauso
so verlangt hätte. Und er hätte sich ebenso an den meditativen Momenten nach
dem Konzert gesonnt.
Als
Hitchcocks Vögel durch die Nacht flatterten. Und die Tanzfläche zum Krimi
wurde. Als hernach kleines Leben der Sonne entgegenstrebte und sich im Mond
wieder fand. Als der Mond mit seiner Sichel den Weg zum Hotel wies und diese
Idylle von einem Taxifahrer der mentalen Chemnitzer Tieflandsbucht rapide
ausgelöscht wurde. Oh weh. Im Nachhinein kann man sich an eine Frau erinnern,
die aus einer CD einen Schlager sang. Doch dieser Schlager war eine bittere
Rhapsody, eine herzerweichende Rosamunde-Pilcher-Schnulze, hier kurz zusammengefasst:
Frau wird vom Mann verlassen. Mann hat die berüchtigte Andere. Frau kämpft um
Mann und verliert, stirbt, wenn man es gesanglich betrachtet. Ja, so ist das im
Leben und erst Recht in den CD-Playern der Taxen von Chemnitz. Good
night, and good luck… feat. George Clooney. Buhu.
19. Mai 2007 – Weimar/Gasthof Zur
Luise
Das
wandgeweißte Sakko
Langes
Wochenende inklusive Herrentag. Doktor Pichelstein schwört seitdem: Nie wieder
Jägermeister. Denn wenn die Herren ihren Tag haben, werden solcherlei grüne
Verbrechen gerne geschraubt, gekippt, bewältigt. Merke: Wenn das Verhältnis
Bier zu Jägermeister ungünstig fürs erste Getränk ausgeht, möglichst bereits
sehr früh am Tag, gibt es kein Entrinnen. Nun denn. In der Heldenstadt Weimar
wird indes über besagten Donnerstag hinaus getrunken. Vor der Luise versucht
eine Schar Betrunkener Geschmackskondome an die Frau zu bringen. Mit launischem
Erfolg. Sowieso muss hier bereits in den letzten Tagen eine prächtige Menge los
gewesen sein; die harte Wirtshaustochter etwa trägt Striemen am Hals (und will
den Doktoren nicht verraten, woher die stammen). Der Soundcheck folgt auf ein
kühles Willkommensbier unter Sonnenschirmen, heiß ist es nämlich auch noch. Sehr
heiß. Eigentlich steht fest, dass vergangene Weimarer Jubelorgien heute gewiss
nicht getoppt werden wollen.
Und
so wartet man, bis sich die Gastlichkeit ein wenig füllt, holt manchen
Thekensitzer vor die Bühne und spielt ein smartes Set. Schweiß fließt ob der
Hitze, ungestüm geht man zu Werke. Die harte Wirtshaustochter reicht Schnaps
auf die Bühne und auch wenn die Party nicht überbordet, so freut man sich mit
den Getreuen. Später am Abend stellt Doktor Pichelstein fest, dass manch eine
Weimarer Wand ganz schön abfärben kann und trägt es die halbe Nacht hindurch:
Das wandgeweißte Sakko. Streift es später ab und findet sein Gutenachtglück in
einem viel zu kleinen Bett. Draußen torkeln letzte laute Weimarer durch die
Straßen Goethes und Schillers. Sie sehen vom Fenster aus wie triebgeplagte
Einhörner und kollidieren mit weißmachenden Weimarer Wänden. Mancher Albtraum
findet halt in der Realität statt; Doktor Pichelstein gemahnt hier: Trinkt mit
Würde und wenn Ihr fallt, bleibt liegen. Er weiß, wovon er spricht. Torkelt
bitte nicht weiter. Bedeckt Euch mit warmen Maigräsern und wartet auf den
nächsten Tag.
22. Juni 2007 –
Dresden/Elbhangfest, Part I
Die Elbe hängt
UNESCO
hin wie her, Kulturerbe, Waldschlösschenbrücke oder Elbe-Tunnelung, Sachsens
Kartoffelpräsident in China, OK-Affaire: das alles zählt beim 17. Elbhangfest zu
Dresden nur am Rande. Obwohl dieser Rand recht üppig ist, zugegeben. Das Pfarrersmotto
lautet diesjährig: „Schau an der schönen Gärten Zier“. Wie wohlwahr das klingt.
The Russian Doctors spielen Freitagnacht auf der Gartenbühne am Gare de la
Lune. Wie im Vorjahr gleich nach den Rockys gegen Nulluhr. Unter dieser Kapelle
stelle man sich folgendes vor: 3 Stunden Coverlieder, eingedeutschte Texte; Comedian
Olaf Schubert am Schlagzeug - eigentlich heißen die Rockys Dekadance und
triggern völlig anderes Songmaterial. Der Tag war heiß und hell bisher; überall
Hagelschlag und Regen, nur am Socken der Elbe nicht. Es ist schwülwarm und bei
so einem Wetter therapiert sich der Festival-Zögling einmal mehr reichlich flüssig
gegen den Durst.
Angereist
durch Staus und Umgehungen traf sich der mitgereiste Tross am
Alternative-Art-Bus Stunden früher; Herr Ali, Herr Mikus, Herr Max, Herr Olaf
rührten am Verkaufsstand und richteten später aufziehbare Taschenlampen
Richtung Bückware. Daneben lagerten beide Herausgeber der Zeitschrift „Melodie
und Rhythmus“ und gemeinsam saßen sich schwarzgewandete Herren – zum Teil im
Die-Art-Shirt - durch Abend und Nacht. Aus aktuellem Anlass, hier die
Kurzwiedergabe eines Artikels aus der Melodie & Rhythmus: Der Musiker
Christian Trautmann veranstaltet am 03.07. ein Nasenkorrektur-Benefizkonzert in
der Leipziger Moritzbastei. Es geht um seine eigene Nase und Dirk Zöllner ist
dabei. Auf eine solch strubbelige Idee muss man erst mal kommen. Respekt.
Aufgeschreckt
von den Rockys verzog es hingegen Herrn Mikus in der wichtigsten Phase der
Konzertvorbereitung - samt geschulterter Kamera plus Zugangsschlüssel zu allen
Instrumenten - gen Bühnenrand, wo gerade die eingedeutschte Version des
Gassenhauers „The roof is on fire“ über geschätzte 700 Köpfe hinwegfegte. Herr
Olaf fand dann Herrn Mikus, die Gemüter blitzten auf, und beide Doktoren sogen
später erleichtert am Stagerandbierbecher.
Das
Konzert, erstmals mit neuer, blauer Bonsaiholz-Gitarre eröffnet, macht enormen
Spaß, dauert knapp zwei Stunden, dann folgen Zugabeblöcke und die Ankündigung
des Gigs der Doctors bei den Pirnaer Hofnächten Anfang August. Mit dem Hofchef
geht’s an die Theke und manche Becherfüllung zapft sich zu einem einzigartigen
Gutgefühl. Solche Nächte gibt es viel zu wenige im Jahreskalender. Und als die
schönen Gärten (Zier) beim Rückweg in die Pension von strahlender Morgensonne
erfasst werden, knipst sich das Augenlicht für die angebrochene Schlafenszeit
von selbst aus.
24. Juni 2007 – Dresden/Elbhangfest,
Part II
Der Saitensprenger
Nachmittags
gegen drei Uhr – diesmal vorm Gare de la Lune, Blickrichtung Elbhangstraße, OT
Wachwitz: Doktoren starten mit dem „Besonderen Vorkommnis“ auf hölzerner
Tangoplattform. Der Sound passt, sitzt, wackelt, hat Luft. Vor ihnen hockt,
steht und geht die sonnenlaunige Menschenmenge. Bestückt ist sie großartig -
mit Bratwürsten, Bier und ungarischen Leckereien in Händen, die gleich mehrheitlich
nicht anders können, als dem Set der Doctors Applaus zu geben. Dafür ein großes
Dankeschön an dieser Stelle - fürs reichlich zugabebelegte Künstlerbrot:
selbstredend, selbstgebacken. Am Sonntag darf man sich bekanntlich Gutes tun,
sollten schöne Amüsierkünste hochpokalisiert werden. Wer dazu nicht in der Lage
scheint, der ist und bleibt ein talentfreier Griesgram und sollte sich zum
Wohle aller, sagen wir mal, zu einem harten Apfel assimilieren. Und dabei faul
anlaufen.
Pratajev-Forscher
- und Ehrenmitglied der hiesigen Gesellschaft - Nico reiste aus Großenhain an.
Im Gepäck: Die Kleinfamilie nebst Klosterfrau und Fotoapparat. Gegen Ende des Konzertes
bluten Pichelsteinsche Finger, zurückzuführen auf eine doch recht hohe
Schlagzahl auf dem trunkenen Gitarrenruderboot. Manche Saite hängt gesprengt
von den hölzernen Hälsen und am Merchstand herrscht reges Treiben. Der
textsichere Männerchor, welcher den Song „Als das Eis kam“ voller Inbrunst mitsang,
bildet eine Thekenschlange – und wird belohnt. Soviel zum musikalischen
Weltbild pratajevscher Effizienz, soviel vom 17. Elbhangfest, verbunden mit
einem riesigen Dankeschön an Mirco vom Gare de la Lune.
30. Juni 2007 –
Grafischer Hof/Leipzig
Beschlagene Schuhe
(nicht Scheiben)
Das
erste Sommerfest im Grafischen Viertel zu Leipzig. Bratwurstduftschwangere
Wolken schwindeln Regen vor, gelassen warten die Doktoren auf den Beginn des
abendlichen Konzertes in der Heizhaus-Galerie. Draußen klopfen beschlagene
Schuhe auf palettiertem Holzbelag herum. Das nennt man Tangotanz und wird vom
Publikum sehr gemocht. Frau Alvarez und Herr Weber geben ihr Bestes. Sogar
Leipzigs Impressario Peter Degner ist gekommen, um sich mit dicker Zigarre,
gekühltem Weißwein und einer noch weißeren Gesamterscheinung – von der Brille
bis zu den Schuhen - nichts entgehen zu lassen.
Währenddessen
und darüber hinaus baut sich die Bühne in der Galerie nicht von allein auf; die
Doktoren hüllen sich in einen kleinen Soundcheck und tauchen zufrieden wieder
an frischer Luft auf. Veranstalter Heizer, so wird er nicht nur heute gerufen,
behält den Überblick und freut sich aprés über ein schickes Konzert im
Kunstraum, der dito fürs Pratajev-Sturmfest am 01.11.2007 gebucht ist. Und mit
einem letzten Kühlbier (das eigentlich ein Heizer-Bier ist, denn die
Thekenkräfte riefen bei jeder Getränkebestellung der Doktoren stets: „Schreib’s
auf den Heizer“) in der Hand schließt sich dieses erste abendliche
Samstagskaptitel. Und da man sehr wach und ausgeschlafen den Mittag begann,
versteht sich die anschließende Fahrt ins Flowerpower doch von selbst. Heimspiele
haben eben grasgrüne charaktereigenschaften.
21. Juli 2007 – Zerbst/K6
An Dessau kommt keiner vorbei
Zerbst
liegt in Sachen-Anhalt und wenn man es erreicht, ist’s ein schöner Moment. Aus
Leipzig kommend bietet die Autobahn 9 drei interessante, ja beinahe
eskapistische Möglichkeiten dafür. Gleich für die erste entscheidet man sich
heute und durchfährt Straßen, an denen Holzkreuze bezeugen, dass anhaltinische
Alleebäume eben doch stärker, lebendiger sind als manche blechumrahmte
Diskobesuchercrew. Warum keine Landesmittel für ausreichende Verleitplankung an
solchen Manöverstrecken bereitgestellt werden, bleibt ein Rätsel. Schön ist
nur, dass ebenso Geld für montierte Blitzer fehlt. So fahren die Doktoren etwas
schneller, denn gegen 19 Uhr soll die Pensionswirtin des „Am Klosterhof“ um den
Zimmerschlüssel erleichtert werden. Durch z.B. Dessau, das mit einer
Schildmalerei auf sich aufmerksam machen möchte. Die Jim-Morrison-artige
Drohung lautet: „An Dessau kommt keiner vorbei“. Natürlich nicht, wie denn
auch? So ein Schild wäre im westlichen Bad Oeynhausen übrigens undenkbar.
Städte, durch die der Verkehr nur so sprudelt, wollen eher in aparter Ruhe
gelassen werden und dubiose Vereinsstrukturen,
Interessensgemeinschaftsvertreter, Grundstücksaufwerter, fordern ständig eine
so genannte Ortsumgehung. Damit sie ihre lieblich schnurrenden Rasenmäher vorm
Haus auch hören können, wenn es samstags, in aller Frühe, auf die Feldarbeit
geht. Bleibt noch zu erwähnen, dass jemand aktuell das Zerbster
Ortseingangschild, aus Rosslau kommend, abmontiert hat. Wo das jetzt hängt,
möchten wir gerne wissen. Betonen aber, nichts mit dieser Perfidität zu tun zu
haben.
Das
K6 heißt so, weil es an der Kastanienallee 6 liegt. Und früher mal als Köllingsche Fabrik durchging. Fragt man
einkaufbereicherte Nachbarn, wissen sie’s nicht genau; nur das
Tankstellenpersonal, schräg gegenüber, weiß Auskunft und schon steigen die
Equipment-Trägerraketen leichten Fußes über die Kopfsteine bis hin zum heutigen
Sommerfest auf. Beide Doktoren heute im weißen Hemd, und das bereits vor dem Konzert.
Der Soundcheck liegt irgendwie zwischen Kuchen, Willkommensbieren und leckeren
Spaghettitellern, die – besonders – von Magdeburgern liebevoll vertilgt werden.
„Wir können ruhig über Magdeburg lästern“, eröffnet ein Berliner Besucher die
Debatte. Fortgeführt wird sie gerne.
Sven
vom K6 gibt alles, schraubt und schiebt die Regler. Doktor Pichelstein singt
heute durch zwei Mikrofone; eines wird auf den Monitor gelegt. Der Sound stimmt
und mit einer satten Portion Hardcoreschule startet das Set des Sommerfestes
gegen 23 Uhr. Der Club füllt sich, resp. an der Bar füllt man sich auf, und die
Doktoren danken an dieser Stelle für alle butterweichen Sehnsüchte, die
gutwillig erfüllt wurden. Zur Geisterstunde ertönt das pratajevsche Intro; an
der Frequenz wird kurz nachgebessert, dann akkordet die rote Gitarre zum
Makarios-Gesang. Heute keine Balladen, nur deftige Zerbster Küche. Die
Song-Speisekarte schmeckt dem Publikum. Man muss dazu natürlich auch immer
sagen: Sind ein Sänger und ein akustischer Gitarrist angekündigt, kommen
bestimmte, ja schlimme Wolf Biermann’sche Vorbehalte auf. Aber da Doktor
Pichelstein - wie in Kürze, im Sachsen-Anhaltinischen Free-TV-Zerbst, zu
erfahren sein wird - Europameister in
der Disziplin: „Schnellster Akustik-Gitarrist“ ist, folgt die bessere Belehrung
stets auf dem Fuße, respektive aus den PA-Boxen.
„Zerbst
im Sturm erobert“, titelt Doktor Makarios nach der 3. Zugabe und dem einzigen
Ruhesong des Abends: „Der Arme“. Hernach gelüstet man nach weiteren prickelnden
Getränken; die Amüsierkünste in Harmonistan ufern über und als irgendwann ein
Hemdherr am klappernden Schlüssel das K6 durchschreitet, weiß man gerne: Aha,
das muss der Taxifahrer sein, der vor einiger Zeit seinen weiten Weg hierher
aufnahm. Und so fährt er dahin, durch den Sommerregen, bis die Pension erreicht
ist. Und wer bisher nicht wusste, dass mündlichem Knoblauchgeschmack mit dem
Aufessen von Bananen ein Ende gesetzt werden kann, dem sei gesagt, dass diese
Weisheit lediglich eine magdeburgerische ist.
04. August 2007 – Pirna/Hofnacht
Ein
Sommernachtstraum
Während ein katholischer,
deutscher Bischof allen Ernstes vermutlich weiterhin darüber sinniert, ob die christliche
Schöpfungslehre nicht Teil des Sexualkundeunterrichtes werden kann, fahren die
Doktoren dienstlich nach Pirna. Ziel der Reise ist die mittlerweile bereits
dritte Einladung zur dortigen Hofnacht. „Eine Sommernacht in den schönsten
Höfen der Stadt“ lautet die dazugehörige Kampagne mit der Unterschrift: „Feiern
und genießen in einer alten Stadt“. Gelungen ist auch das folgende
Flyer-Wortspiel: „pirnatürlich“. Wie soll man das nur richtig aussprechen? Doch soviel zur Ankündigung; The
Russian Doctors spielen im wirklich allerschönsten Hof der Stadt, in der Langen
Straße 36. Mirkos Bus hält direkt davor, alles fasst mit an und schon steht die
Bühne. Nur die Beleuchtung hält der ungeahnten Manneskraft des Elbhang-Mirkos
nicht stand. Eine der beiden PA-Boxen erliegt jener sinnlichen Schwerkraft zu
Pirna, die wie eine wunderbare Vorahnung, bereits vorm Konzert, in der
sonnendurchfluteten Luft liegt. Doktor Pichelstein lächelt, vermutlich liegt’s
am Prosecco,
der bereits auf der Fahrt von Dresden hierher lieblich am Gaumen kitzelte.
Während der Wind durch die offenen Scheiben das Haar flattern ließ.
Die
Bühne also spricht: Nimm mich! Dann muss sie wohl weiblich sein. Und ehe die
Doktoren geradeaus kucken können, noch bevor ein kaltes, leckeres Bier die Kehlen
flutet, füllt sich der zu bespielende Hof mit Gästen, Freunden und Fans. Erste
Songs werden angestimmt, man klopft beflissentlich aufs Handgelenk, weil da
wohl eine Uhr ihr Unwesen treiben muss. Doktor Pichelstein stimmt beide
Gitarren, Doktor Makarios testet das Gesangsgerät und schon verreist man
tatsächlich in eines der längsten Konzerte des aktuellen Jahres 2007. Die
Stimmung ist unglaublich und die Leute im Hof stehen sich in den Schuhen. Wer
Etikette wahren will, sitzt an Holzbänken und schickt die Nachbarin zum
Bierholen nach unten. Direkt vorm Doktor Pichelstein kommentieren beinharte
Semester jeden Song. Manchmal eher besorgt (Fetisch-Block), dann wieder harsch
protestierend (Tote Katzen im Wind, Furchtbarer Irrtum) und immer wieder
mitsingend (Schnaps-Lieder). Schön gerät hier auch der viel spätere Schluss:
Die Männer kauften ihren Tierliebhaberinnen Tote-Katzen-CDs am Merchstand.
Hoffen wir mal, dass alle vermuteten Ehen darob noch lange anhalten. Um es auf
den fingerblutigen letzten Gitarrenakkord zu bringen: Über zwei Stunden Songs,
darin enthalten: erstaunlich heftige Zugabeblöcke und ein Publikum, welches
sich die Doktoren immer wieder wünschen. Das liebevoll den Rosa-Biber-Schnaps
aus dem Ersatz-Postsack hervorzaubert und sogar aufs Grillfleisch verzichtet.
Nur um keine Konzert-Sekunde zu verpassen.
Später
in der Nacht, das Equipment ist frisch zusammen gestaut, Doktor Makarios trägt
Schlapphut, gerät ein Schulpflichtiger ins Geschehen, starrt ungläubig auf die
leere, grüne Flaschenarmee auf den Holztischen und ruft: „Papa, kuck mal, das
gibt’s ja nicht…“. Doch, möchte man rufen, das gibt’s. Und mit einem Besuch im
Nachbarhof endet der Hofnachtsausflug. Doktor Pichelstein schwankt bereits,
Doktor Makarios lobt noch einmal das leckere Kesselgulasch der Veranstalter,
dann wird der Bus erklommen und er fährt schnurstracks an den Elbhang, zum
Mirko-Haus. Wo sich der schnellste Gitarrist der Welt selig über den Schlaf
hermacht. Oder ist es umgekehrt? Danke, Hofnacht, Danke für diesen
Sommernachtstraum. Bis 2008.
Klanglabor
verlassen...
Während
auf dem Kanapee das Girl sich mit dem Schlips aus Lurch vergnügte, der
Pferdelunge smarte Gitarrenweisen hinzugefügt wurden, brachiale Gitarren auf
einer Herzensratte prasselten, schlug die Turmuhr Mitternacht. Und die Arbeit
war getan. Ein Doktor ließ flüssiges die sangeswunde Kehle hinunter plätschern,
ein anderer Doktor hielt sich erschöpft an weichen Handgelenken
fest. Durchs Veit'sche Klanglabor schnarrten noch Ideen diverser
Bonustracks und ein Prumskibeat schlich sich ins Mischpult ein. Mal sehen,
was der so anrichtet.
26.10.2007 - Leipzig/Burgcafé
Tänzelnde Hände in
kussechter Nacht
The
Russian Doctors begeben sich in christliche Hände, tänzelnde Hände, geschaffen,
um die Welt ein Stück schöner reifen zu lassen. Doktor Pichelstein würde an
diesem milchigen Oktoberabend gerne viel heben und tragen, klappt heute nicht.
Das Notfallzentrum "Klinik am Thonberg" diagnostizierte vortags:
K49.9 - LV; T14.0-G. Der Sonographiebefund schlug in dieselbe Kerbe.
"Sehen Sie? Spannen Sie bitte mal den Bauch an. Ja, so. Wenn ich hier
drücke, genau, hier sitzt der Schmerz... Normalerweise muss das so aussehen
(Doktor patscht die Sonokamera auf die ungepeinigte Seite)... hier liegt das
Bauchfell perfekt. Und nun wieder die andere Seite. Husten Sie mal...
Schmerzen? Jaja, die Hämatome verschwinden wieder. Sehen zwar bedrohlich aus,
großflächig. Die weiten sich noch aus. Alles blauviolett, sehe ich. Vielleicht
ein bisschen Heparin drauf. Spannungsschmerzen? Ja? Kein Wunder. Ist ja auch
ein Muskelfaserriss; stellen Sie sich vor, ich würde sie der Länge nach
aufschneiden, dann..."
Shiva, ARTiger Schlagwerker, eilt zur Hilfe und als die Eckenbühnentürme stehen, die Vorband-Blaskapelle "Großer Gott, wir loben Dich" anstimmt, warten beide Doktoren schmauchend vorm Café. Paradiesischer Geruch liegt in der Connewitzer Luft; Hühnchen geben sich der Bratung und Auftischung hin. Kinder staunen die Backline an: "Keine E-Gitarre? Schade." Doch schon beim "Schleim am Arm" wächst Doktor Pichelsteins größter Fan des Abends über sich hinaus. Grundschulpflichtig, den Kleidungskragen wild nach vorn schlagend - ein wahrer Luftgitarrenchamp. Jeden Refrain in der Wiederholung mitsingend. Und so klingt der Abend aus, wird zur kussechten Nacht, die sich wie ein Lippenstift über Leipzig legt. Streicht hier und dort herum und zuletzt malt sie, die Nacht, die Flowerpowertheke becksfarbig an.
30.10.2007 - Dresden/Zschonergrundbad
Im Festzelt, am
Badgrund
Festwirt
Herr Weber machte es vorab spannend: Findet der Helloween-Abend statt? Mit
reichhaltigem Buffet, Gästelisten, zeltig oder heimelig? Drei Tage vorm
Buseinstieg der Herren Doktoren gebar das Knäuel der Vermutungen Sicherheit und
genau so viele Einheiten später erreicht man das talstrahlende Dresden.
Genauer: Das Zschonergrundbad; drum herum wachsen Nussbäume, im Bad selbst
Gestrüpp und wer historisch beide Augen verschließt, vermag ebensolches zu
träumen: Hübsche, einladend üppige Dresdnerinnen, in den 50er Jahren,
kopfbedeckt mit weißen Blümchenmuster-Badekappen, die ihren Hintern entig
lüften und von aufgebrachten Jungsozialisten mit Nüssen beworfen werden. So
könnte es einst gewesen sein.
Kalt
ist's, Heizpilze werden entflammt und Doktor Pichelstein gibt sich an
aufgebauter Tränke einer Beratung hin, unterstützt von Mario aus Pirna. Eve,
die Fotohostess, hält den Abend fest in Händen und nach dem Soundcheck
sickert's Publikum hinein. Manche sieht man Kürbissuppen schlürfen, andere
vertilgen krachend' Brot unter bester Schnapszufuhr. Pichelsteins
Muskelfaserriss der Leiste wird en gros debattiert; gewagte Thesen spinnen sich
darüber, wie so etwas wohl zustande kommen kann. Hernach legt Makarios den
Schalter um; der CD-Abspieler verstummt, das Konzert beginnt mit den
"Veterenären aus Murmansk". Oft fragt man sich, warum es nicht, wie
der Duden vorschreibt: "Veterinäre" heißt. Nun, alles eine Frage der
sprachlichen Reife, würden Ethnologen behaupten. Und damit wollen wir ihnen
Recht geben.
Vor
der Pause und danach reißen insgesamt sechs Gitarrensaiten; sogar die dicke E.
Wer des Gitarrenspielens mächtig ist, wird sich an dieser Stelle schon
anerkennend wundern. 1.19 mm Durchmesser sterben nicht so einfach vor sich hin,
zumal vorab neu aufgezogen. Später wird Doktor Pichelstein am runden Tisch von
Materialfehlern sprechen, natürlich nur, um den Satz aller Sätze - nach einem
2stündigen Konzert - zu erhaschen: Na, du haust aber auch immer auf den
Gitarren herum, alle Achtung!
Stunden
danach entschlüpfen die Doktoren einem Funkzentraltaxi, gesteuert von einem
rasanten Armenier. Der Mann überholt nicht nur die Autos vor ihm, nein, auch
sprachlich galoppiert er allen davon. Schwer scheint's, nicht vom richtigen Weg
abzukommen. Und behaglich, gemütlich und schön ist's, endlich in die Kissen
fallen zu dürfen. Weich sind sie und warm werden sie rasch beschlafen, den
Schweiß des Abends knäuelig aufsaugend.
Die Pratajev-Gesellschaft informiert:
Ab 20 Uhr, im „Noch Besser Leben“, am 01.11.2007
findet er statt, der erste große Pratajev-Kongress der neuen Gesellschaft e.V.
Und da an diesem Tag gewiss kein Wind den Atem anhalten wird, wurde dem Abend
im Voraus der rühmliche Titel
„Pratajev-Sturmfest“ verpasst.
Pratajevs feine Gesellschaft:
Die
Pratajev-Gesellschaft e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, das Andenken und Werk des
russischen Dichters S.W. PRATAJEV
(1902 - 1961) kulturell zu pflegen und sieht
sich in der Pflicht, heute fast vergessene literarische und musikalische
Hinterlassenschaften wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Sergeij Waschowitsch Pratalinko, geboren im Dörfchen
Kurtschinsk-Robersk im nördlichen Sibirien, gelang es einst,
revolutionär-fiktive Romane in vielerlei Herzen zu schreiben. Seine
sozialistisch-heldenhaften Figuren wurden zu Idolen und Idealen. Vor allem in
der ländlichen, russischen Bevölkerung wurde er kulthaft verehrt. Kurz vor Vollendung seines letzten
Romans "In den Todeslabyrinten Kaszauliens" starb Pratajev während
einer Gruftbesichtigung in Irsocks-Matovsk. S.W. Pratajev hinterließ neben Prosa und Lyrik auch
„Medizinische Schriften“ und ging selbst als Figur in die Sagenwelt seiner
Heimat ein. Neueste Forschungsergebnisse - nebst anekdotischem - wurden bereits
in Büchern zusammengetragen. Als Herausgeber nennen wir Holger Makarios Oley,
1. Ehrenvorsitzender der Pratajev-Gesellschaft e.V. Zuletzt im 1. Almanach der
Pratajev-Gesellschaft „Haus aus Stein“, erschienen im Morgana-Verlag. Im Januar
2008 erscheint das Nachfolgebuch, diesmal im „Verlag Andreas Reiffer“.
Das
Sturmfest:
Aus den Büchern und Werken Pratajevs
liest der 1. Ehrenvorsitzende der Gesellschaft, Holger Makarios Oley, auch
bekannt als Frontmann der Band „Die Art“, sowie – gemeinsam mit Doktor
Pichelstein – Sänger von Pratajevs Leib- und Seelenformation „The Russian
Doctors“. Jener Doktor Pichelstein betätigt sich seit einiger Zeit auf dem
Gebiet der Plagiatforschung im Sinne der Pratajev-Gesellschaft. Einige dieser
Fälschungen - u.a. wurden sie von Wladimir Petrowitsch Uschakow in der inneren
Mongolei der später 60er Jahre in Umlauf gebracht – werden also zu hören sein.
Zudem einigte man sich auf einige bisher völlig ungehört Songs der Russian
Doctors im Repertoire, die den Redefluss beider Doktoren ab und zu in wilden Gitarrengesang
ummodeln sollen. Hinzu stoßen live auf die Bühne des „Noch Besser Leben“ zwei
nicht minder unbekannte, Leipziger Pratajev-Ehrenmitglieder. Die Rede ist hier
von den Herren Max Reeg und André Kudernatsch. Der eine bekannt als
Radio-PSR-Stratege, der andere durch seine Kautsch-Moderationen.
01.12.2007 – Frankenberg/Privatparty
Ach, der gelbe Schnaps. Ausgeschenkt in kleinen und großen Bechern. In langen Reihen, von der Theke bis zur Bühne gereicht. Über Indien gesprochen, warum auch immer. Mittags, aufgewacht im Kinderzimmer, ein Pochern an der Tür und Sanne sei für alles Dank.
Dabei sah's bei Abfahrt
der Doktoren im Sturmtief Leipzig noch ganz kritisch aus. Aber nur, was die
Auswahl des Konzertautos betraf. Der Bus weilte in Berlin und eine komplette PA
lässt sich schlecht in den Pichelstein-A3 verklappen. Blieb nur jener BMW-Kombi
mit Automatikschaltung, bei dem seit längerem die komplette Elektronik streikt.
Mit defektem ABS, somit knirschenden Bremsen, mit Verlust der Tank- und
Geschwindigkeitsanzeige. Innerlich funktionierte eigentlich nur das Radio.
Genauer gesagt: Der MDR Sachsen-Funk mit seinen bahnbrechenden
Schlagerschnulzen der frühen 60er Jahre.
"Mit 17 fängt das
Leben erst an", summt Doktor Makarios auf der Bundesstraße Richtung
Chemnitz, "Ich kenn ein Girl am Zuckerhut", später Doktor
Pichelstein. Meilensteine der Musikhistorie, die gerne über die Gefahren des
Autofahrens hinwegtäuschen wollen. Wie Recht sie haben.
Das Konzert wird - und
das muss unbedingt gesagt werden - stark betrunken gespielt. Vor allem Doktor
Pichelstein schwitzt den Schnaps kräftig ins Hemd; routiniert schnellen
Gitarrenakkorde aus den Boxen, begleitet von Makarios' Weisen. Drei Blöcke sind
am Schluss vorbei und nach dem letzten lassen sich erste Vertreter der
Chemnitz-Fraktion den Pratajev-Text "Das Idyll" draußen, auf der
Wiese, ordentlich durch den Kopf gehen. Gerne zitieren wir einige Zeilen
daraus: "Und hoffentlich muss ich nicht brechen / das könnte sich, wenn es
die Mädchen sehen/ ganz bitterböse rächen".
Schnell noch eine (von
vielen) Varianten über den Gelben Schnaps:
Schwerpunkt: Wodka, vermengt mit: Eierlikör, Apfelsaft, Soda, Zitrone. Danke für diesen Abend und jene Nacht, die Doktoren spielten werktätig in der Frankenberger Türentischlerei und fordern hiermit, gemeinsam mit der IG Bau: 40-Stunden-Nächte für alle.
Schwerpunkt: Wodka, vermengt mit: Eierlikör, Apfelsaft, Soda, Zitrone. Danke für diesen Abend und jene Nacht, die Doktoren spielten werktätig in der Frankenberger Türentischlerei und fordern hiermit, gemeinsam mit der IG Bau: 40-Stunden-Nächte für alle.
15.12.2007 - Luftbad
Zschonergrund/Wasserwirte-Party
Im Wasserwirtshaus
Eine
Sängerin aus dem nördlichen Delmenhorst, welches durch die letzte Platte von
Element of Crime bekannt wurde, jedenfalls Sarah Connor, wiederum bekannt als
begnadete, strophenfeste Up-sängerin des Deutschlandliedes – genau. Davor
fürchten wir uns alle. Warum wir uns alle fürchten? Sarah Connor rückt am Tag
vor Heiligabend auf Leipzig vor. Am Steuer eines Coca-Cola-Weihnachtstruck. Unzählige
Plakate verkünden es; Freude und Leid liegen eng beisammen. Okay, Coca-Cola hat
den Weihnachtsmann erfunden. Darum geben wir Cola dem Whiskey hinzu. Aber nur,
wenn er besonders billig war. Doch von all dem soll noch keine Rede sein.
Heute, am Samstagabend, geht’s ins Luftbad Zschonergrund, genauer gesagt: auf
die Party des „Studiengangs Wasserwirtschaft, Spezialisierung Industrie- und
Siedlungswasserwirtschaft“ an der TU Dresden. Organisiert vom Gastgeber Daniel,
kein Unbekannter in der Branche. Die russischen Doktoren wissen das zu
würdigen.
Im Tourbus ist’s mollig warm, Doktor Makarios
weilte bis vor kurzem auf DIE-ART-Reisen, brachte kalten Nordwind mit, und
schläft sich erst mal aus. Schönste Navigationen bringen Dr. Pichelstein ans erleuchtete
Ziel und damit direkt an den Glühweintopf von Herrn Weber. Dankend wird
getrunken, schon baut man an der Bühne, bald soundcheckt man, bald raucht es
überm Grill und heißer Wein verpuppt den Pichelsteinschen Winterschnupfen zum
andächtigen Geschnäuz.
Gespielt wird in mehreren Blöcken; Doktor
Makarios nimmt sich zuerst die Abteilung Medizin und Heilung vor, danach
erklingen Schnapslieder, der russische Fetisch kommt nicht zu kurz; zwischendurch
reißen die Saiten, die schöner nie klingen, freut man sich hier zu sein, auf
einer Wirtsparty der gelungenen Art. Nie waren Wirte so wertvoll wie heute,
erst Recht, wenn sie dem Wasser nahe kommen. Es dichterisch bestimmen und all
das, was darin herumschwimmt, zu Poesie verarbeiten. Der Grundstoff allen
Lebens, ja, was wären wir ohne die Wasserwirte. Denn wir wissen: Nach
Feierabend widmen sie sich dem Schnaps, der Gemütlichkeit und vorm Heizpilz
erklingt deshalb ein letztes Mal in diesem Jahr die „Schnapsbar“, denn das
historische 140. Konzert der Doctors ist zugleich das letzte seiner himmlischen
Art im Jahr 2007.
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