Saturday, September 02, 2006

Im Delphinzentrum. Bild: Subway to Peter

02. Oktober 2003 - Chemnitz/Subway to Peter

(…) erwacht jedoch früh, steigt ins Taxi, ins Tourauto, flieht ins Muldental, liebt die feuchte Landschaft, hungert sehr und nimmt schließlich die Einladung der Großfamilie Schramm, auf ihrem abgelegenen Bauernhof "Silberbergwerk" in 08399 Wolkenburg zu speisen, freundlich an. Wildschwein an Pichelstein, Entenbrust an Makarios. Nicht nur weil es sich reimt, mundet es köstlich. Beim vorletzten Happen steht die Sonne am Himmel und ein Auftritt im Chemnitzer "Subway to Peter" bevor. 

Als Preview versucht Makarios seinem Gitarristen die Stadt Chemnitz touristisch näher zu bringen, was nicht recht gelingen will. Vielleicht liegt es an der architektonischen Vielfalt, die rundum geboten wird. Wo sonst findet sich ein Glaspalast der Firma Horten neben einem Plattenbau, vor einem halbierten und mit Putz geflickten Rathaus des mittleren Alters? Im Eiscafé Cortina, bei Caffe con Grappa, erklärt sich auch das Nachwendeüberleben des hiesigen Karl-Marx-Denkmals wie von selbst. Es lockt Postkommunisten mit Kameras an, deren Frauen sich gefälligst davor zu postieren haben, sonst gibt es mindestens 1 Jahr Bautzenkeller zuhause. Ohne Karl Marx auf dem Sockel hätte sich Chemnitz touristisch gewiss völlig erledigt. Niemand würde mehr zur "Woche der Trachten" in den Secondhandshop gehen, die am Montag auf der Straße der Nationen stürmisch eingeleitet wurde. 




All das sagt nichts über das Chemnitzer Heimatlieder-Publikum im "Subway to Peter" an der Peterstraße 1 aus. Makarios und Pichelstein merken es früh: Heute ist der Abend der Abende, bereits um 21 Uhr schieben und drängeln sich Gäste durch die Kellerkneipengewölbe, die Luft ist dünn und wird von hochprozentigem Alkohol durchschnitten. Zudem bricht über das beschauliche Chemnitz die 9. Kneipennacht herein, Shuttlebusse bringen ganze Dorfjugendweihen in die Stadt. Vollständig versammelt ist auch die Pratajev Sektion Chemnitz-Zwickau. Selbst frisch gewordene Väter sind darunter, Väter, die allesamt am Folgetag das Vogtland zu bewandern haben. Das ist schon einen Schluck wert, denn jeder Schluck ist bekanntlich auch für Pratajev ein guter gewesen, womit es über den Umweg eines 70-prozentigen, tschechischen Absinthes ab 22:30 "Heimatlieder für Heimatlose" heißt, eine nicht enden wollende Spielerei mit einem Makarios voller mikrofonischer Inbrunst und einem Pichelstein, der sich auf der Gitarre selbst überholt. "Eternal Fall", "Das Schiff", "Heerlitz" usw. lauten die Zugaben, dann muss Schluss sein, die Akkus sind leer und der Kopf erwacht am nächsten Tag in einem Sozialpädagogischen Delphinzentrum schwer.

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