25. September 2003 – Leipzig/Stadtbibliothek
Das
Bibliotheksgeschichtliche Kabinett in der 4. Etage ist kein Naherholungsgebiet.
Soviel steht fest, als Makarios und Pichelstein um 18 Uhr in den Auftrittssaal
geführt werden. Gemeinsam mit dem staksigen Verantwortlichen wartet man auf
einen hoffentlich kräftig durchmuskelten Studenten, eingeteilt zum freundlichen
Schleppzweck, denn eine Anlage zur Beschallung des Publikums hat wegzehrendes Treppengewicht.
Auf mehrfache Nachfrage stellt der Verantwortliche sämtliches Trinkbare der
Stadtbibliothek zur Verköstigung bereit. Alles in allem zwei kleine, sehr
stille Flaschen Volvic-Mineral nebst einer halben Kanne Kaffee, gebrüht gegen
10 Uhr morgens. Genauso schmeckt die schwarze Suppe auch, Milch gibt es nicht,
dafür meldet sich die studentische Hilfskraft telefonisch, er sei ’was essen
gegangen, käme aber ganz bestimmt gleich wieder. Wer den zumeist unrühmlichen
Umgang mit Studierenden pflegt, ist gut beraten, solche Schutzbehauptungen
nicht ernst zu nehmen und fasst lieber selbst mit an. Tatsächlich steht die
Technik um 19 Uhr. Pfeifend staunt das personifizierte Amotivationale Syndrom[1] wenige Augenblicke später,
als die Arbeit getan ist.
Mitten
im Soundcheck hat der Künstlergott ein Einsehen. Der unerschrockene
Kabelarbeiter Herr Nüchterlein wird - eine 1,5 Literflasche Schampus in Händen
haltend - in den Saal geführt. Schon während die nächsten Gäste sich in der weit
verwinkelten Stadtbibliothek kräftig verlaufen und einer nach dem anderen vom
Verantwortlichen der Kultur zugeführt wird, knallt der Korken Richtung Decke,
stößt man südwestlich auf das Unfassbare an. „Ob man das Licht ein wenig dimmen
kann?“, fragt Doktor Pichelstein hinterm Neonröhrenschutz, der Sonnenbrille.
„Nein, keine Ahnung wie das geht!“, ruft der V-Mann weitere Wunde Punkte auf: „Das
kann nur der Hausmeister und der geht um fünf“. Doktor Makarios verfügt zu
allem Ungemach über eine kräftige Portion psychosomatisch bedingter Zahnschmerzen und wartet auf die Versprechen
der Pharma-Industrie.
Wenigstens
auf die ist Verlass – von der Bühnenecke wird die festgestuhlte, auf dem
Trockendock sitzende Gästeschar begrüßt, im Anschluss eine erste Runde Pratajev-Stücke
artig beklatscht. Stev hechtet drei vor um acht in die Stuhlreihen, direkt aus
Zypern kommend, Forscher D. Irtenkauf, aus Münster angereist, verpasst zwar den
Konzertbeginn, verläuft sich jedoch auf Klosuche mit dem Schlussakkord nach
bereits einer Stunde im Gebäude, wird vom diensthabenden Wachmann entdeckt und sanft
an die Luft geführt. Die Pratajev-Songtexte „Der Arme“ und „Die Heilung“
erlangen, dort angekommen, eine völlig neue Bedeutung. Der nächste Tag naht
lang noch nicht und an der Ecke kauert ein rauchender Student mit Zopf.
Anmerkung des
Makarios:
Glücklicherweise
gibt es in einer Stadt wie Leipzig auch angenehmere Orte zum Verweilen, als
eine sich selbst verwaltende Stadtbibliothek. Ein solcher Ort wurde gen 22:30
Uhr von einem Teil des Pratajev-Clans angesteuert. Dieser Ort trägt den Namen
Moritzbastei. Es gab leckeren Wein, leckeres Brot mit dickem Fett und der ewig
nörgelnde Makarios, befreit von Zahnschmerz und Bibliotheksstaubmilben konnte
sagen: "Na also, es geht doch, ist doch gar nicht schwer einen Künstler
glücklich zu machen"...
[1] Veterinären und Humanmedizinern ein sicherer Begriff,
zum besseren Verständnis kurz erklärt: Unter einem Amotivationalen
Syndrom versteht man eine nach regelmäßigem
Cannabiskonsum auftretende, psychiatrisch diagnostizierte und evaluierte Arbeits-
und Antriebsstörung. Sehr oft betroffen ist die Berufsgruppe der „Szenegänger“.
Auch „Kiffer-Burn-Out“ oder „Kiffer-Demenz“ genannt. Quelle: Dr. Pichelstein „Mein Leben als
russischer Doktor“, bisweilen unveröffentlicht.
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