Saturday, September 02, 2006

Zahnschmerzen und Bibliotheksstaubmilben


25. September 2003 – Leipzig/Stadtbibliothek

Das Bibliotheksgeschichtliche Kabinett in der 4. Etage ist kein Naherholungsgebiet. Soviel steht fest, als Makarios und Pichelstein um 18 Uhr in den Auftrittssaal geführt werden. Gemeinsam mit dem staksigen Verantwortlichen wartet man auf einen hoffentlich kräftig durchmuskelten Studenten, eingeteilt zum freundlichen Schleppzweck, denn eine Anlage zur Beschallung des Publikums hat wegzehrendes Treppengewicht. Auf mehrfache Nachfrage stellt der Verantwortliche sämtliches Trinkbare der Stadtbibliothek zur Verköstigung bereit. Alles in allem zwei kleine, sehr stille Flaschen Volvic-Mineral nebst einer halben Kanne Kaffee, gebrüht gegen 10 Uhr morgens. Genauso schmeckt die schwarze Suppe auch, Milch gibt es nicht, dafür meldet sich die studentische Hilfskraft telefonisch, er sei ’was essen gegangen, käme aber ganz bestimmt gleich wieder. Wer den zumeist unrühmlichen Umgang mit Studierenden pflegt, ist gut beraten, solche Schutzbehauptungen nicht ernst zu nehmen und fasst lieber selbst mit an. Tatsächlich steht die Technik um 19 Uhr. Pfeifend staunt das personifizierte Amotivationale Syndrom[1] wenige Augenblicke später, als die Arbeit getan ist.   

Mitten im Soundcheck hat der Künstlergott ein Einsehen. Der unerschrockene Kabelarbeiter Herr Nüchterlein wird - eine 1,5 Literflasche Schampus in Händen haltend - in den Saal geführt. Schon während die nächsten Gäste sich in der weit verwinkelten Stadtbibliothek kräftig verlaufen und einer nach dem anderen vom Verantwortlichen der Kultur zugeführt wird, knallt der Korken Richtung Decke, stößt man südwestlich auf das Unfassbare an. „Ob man das Licht ein wenig dimmen kann?“, fragt Doktor Pichelstein hinterm Neonröhrenschutz, der Sonnenbrille. „Nein, keine Ahnung wie das geht!“, ruft der V-Mann weitere Wunde Punkte auf: „Das kann nur der Hausmeister und der geht um fünf“. Doktor Makarios verfügt zu allem Ungemach über eine kräftige Portion psychosomatisch bedingter Zahnschmerzen und wartet auf die Versprechen der Pharma-Industrie.

Wenigstens auf die ist Verlass – von der Bühnenecke wird die festgestuhlte, auf dem Trockendock sitzende Gästeschar begrüßt, im Anschluss eine erste Runde Pratajev-Stücke artig beklatscht. Stev hechtet drei vor um acht in die Stuhlreihen, direkt aus Zypern kommend, Forscher D. Irtenkauf, aus Münster angereist, verpasst zwar den Konzertbeginn, verläuft sich jedoch auf Klosuche mit dem Schlussakkord nach bereits einer Stunde im Gebäude, wird vom diensthabenden Wachmann entdeckt und sanft an die Luft geführt. Die Pratajev-Songtexte „Der Arme“ und „Die Heilung“ erlangen, dort angekommen, eine völlig neue Bedeutung. Der nächste Tag naht lang noch nicht und an der Ecke kauert ein rauchender Student mit Zopf.    

Anmerkung des Makarios:

Glücklicherweise gibt es in einer Stadt wie Leipzig auch angenehmere Orte zum Verweilen, als eine sich selbst verwaltende Stadtbibliothek. Ein solcher Ort wurde gen 22:30 Uhr von einem Teil des Pratajev-Clans angesteuert. Dieser Ort trägt den Namen Moritzbastei. Es gab leckeren Wein, leckeres Brot mit dickem Fett und der ewig nörgelnde Makarios, befreit von Zahnschmerz und Bibliotheksstaubmilben konnte sagen: "Na also, es geht doch, ist doch gar nicht schwer einen Künstler glücklich zu machen"...



[1] Veterinären und Humanmedizinern ein sicherer Begriff, zum besseren Verständnis kurz erklärt: Unter einem Amotivationalen Syndrom versteht man eine nach regelmäßigem Cannabiskonsum auftretende, psychiatrisch diagnostizierte und evaluierte Arbeits- und Antriebsstörung. Sehr oft betroffen ist die Berufsgruppe der „Szenegänger“. Auch „Kiffer-Burn-Out“ oder „Kiffer-Demenz“ genannt.  Quelle: Dr. Pichelstein „Mein Leben als russischer Doktor“, bisweilen unveröffentlicht.

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