Saturday, September 02, 2006

Ein Streetworker und ein Pitbullterrier

 19. September 2003 - Torgau/Brückenkopf

In der bösen Zeit des letzten Weltkrieges lagen im Torgauer Brückenkopf gefasste Deserteure in den Zellen, die vorher Napoleons Truppen schon recht gemütlich fanden, ganz zu schweigen von den Ratten mit Herz, die den Brückenkopf nach Abzug der russisch-amerikanischen Verbrüderung im letzten Winter des 1000jährigen Reiches, fortan bevölkern sollten. Diese Geschichte ist nichts gegen die Anfangsneunzigerjahre, als einige wackere Torgauer Punks, ein Streetworker der Arbeiterwohlfahrt und ein Pittbullterrier mit Hammer, Sicheln und Sensen, resp. einem zügellosen Hunger auf Ratte, das alte Bauwerk für sich erobern sollten. Wäre die DDR zu diesem Zeitpunkt noch am Leben gewesen, der Song „Auferstanden aus Ruinen“ hätte seine wahre Würde genau hier, am Brückenkopf zu Torgau, unweit der Elbe, gefunden. 


 


Am 19. September gegen 22 Uhr 30 also stehen Makarios und Pichelstein auf der Bühne,  Volly Tanner führt durchs Programm; im weiteren Verlauf der Nacht werden noch die soften Punkrocker „D.H.“ und die Ramones aus Torgau namens „Sperrzone“ erwartet. Punkerpublikum bildet die Mehrheit vorm Bühnenrund. 150 zahlende Gäste stehen sich gegenseitig in Knobelbechern und Springerstiefeln. Die Luft ist dünn, der „Rotarmist“ erklingt, dann „Die schöne Welt“. Es dauert noch fünf weitere Songs, mit „Auch die Ratte hat ein Herz“ und „Jägerlatein“ ist der (von Musikern gefürchtete) lethargische Punkerbann des 21. Jahrhunderts endlich gebrochen. Sehr lange wird noch gespielt, ein DIE ART-Songblock auf derbharter Stromgitarre beendet alle Zugaben. Pichelstein sinkt ins Backstage, Makarios spricht mit einem Mädchen an der Theke, dass ihn gleich zu schlagen in der Lage ist, wie eine weitere Punkerin, ganz außer sich, Doktor Pichelstein erzählt. Da es sich bei eben dieser Punkerin um die Herbergsmutter der lange angebrochenen Nacht handelt, will man es sich jedoch nicht verscherzen. Brav spricht Pichelstein auf Makarios ein: „Dieses Mädchen wird dich gleich schlagen, also pass gut auf.“ Makarios, sehr verwundert ob dieser beängstigenden Kunde, hält es mit Pratajev und seinen schönsten Träumen, Herbergsmutter und Herbergsvater geleiten die russischen Doktoren ins Heim für eine Nacht, in dem schon ein kleiner Kampfhund wartet, um mit dicker Zunge alles mündlich abzuschlecken, was nicht schnell genug rauchen kann. Herbergsmutter spricht von Wesenstest und Hundesteuer, Pichelstein bereut den Mischbierkonsum aus Becks und Sternburger Export, Makarios ist auf Clubcolacitromix umgestiegen.

Am nächsten Tag, auf dem Weg zum Tourauto, begegnen die russischen Doktoren einem Musiker der Band „Sperrzone“, welcher die frühen Morgenstunden auf einer Parkbank verbringen durfte. Schlüssel verloren. Dafür war es ein unvergessenes Fest, da ist man sich einig.  





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