Saturday, September 02, 2006

Soundcheck: 11 Minuten, 23 Sekunden

29. November 2003 - Strausberg/Tonne

Zwischen Berlin und Polen liegt zum Beispiel Strausberg. Die ansässige Barnimer Alternative e.V. unterhält dort neben dem "Alten Gutshof" (incl. Ku-Stall), der "Blaupause" auch einen perfektschön restaurierten Altbauclub mit Namen "Tonne". Im dichten Novembernebel tasten sich die Doktoren langsame 200 Kilometer heran. Spät wird es, man hätte etwas eher aus Leipzig losfahren sollen, es ging aber nicht, da fremde, muldentalige Unheilige das Tourauto in einen höflichen Hinterhalt lockten, nicht ohne das Tor zur Straße danach für immer zu schließen. Wenn die Bildzeitung die Gazette für die Wut des oft zitierten "kleinen Mannes" ist, hätten die Doktoren gleich mehrere Exemplare weglesen können. Doch große Doktorenmänner, speziell russische Doktorenmänner mit Namen Makarios, kappen selbst solche deppensiven Selbstinszenierungen mit freundlichen Worten in der Kammlage einer Anliegerwohnung. Dort hatte sich das Muldental verschanzt. 

Die Handschläge von Veranstalter Lutz prasseln ob der Verspätung vor Ort erleichtert nieder; der Sound ist in 11 Minuten, 23 Sekunden gecheckt. (Den Tourrekord dieser technischen Meisterdisziplin hält weiter die Saalestadt Halle mit exakt 10 Minuten.) Durstige Doktoren trollen sich Richtung Theke. Das Muldental, der Nebel, die Fahrt - alles wird ad absurdum geführt, denn: Doktor Makarios hat heute Geburtstag. Der Rotkäppchenkorken singt ein Pufflied dazu, die "Tonne" füllt sich zum sakrosankten Ort. Genügend Gäste stellen die neue Legehennenverordnung der Bundesregierung auf harte Prüfstände. Der Käfig ist golden, der Applaus großes Theater, Doktor Makarios vergibt verbale Stimulanzien. Fußballreporter Günther Koch käme ins Schwärmen: Hohe Effizienz, starke Defensive, gutes Kombinationsspiel, klasse Ergebnis.

Pratajev lebt in den Herzen und Zungenpiercings der Strausberger Menschen weiter. Wenn auch, wie nach der Zugabe am Merchstand, ein reger Betroffenheitskult durch die Tonne huscht. Ein Fan erläutert, die Texte Pratajevs seien ja "ganz schön böse", kauft eine Heimatliederplatte und leidet. "Wer Pratajev liebt, verlangt nicht viel", möchte man ihn trösten. "Drum sei du ein Teil des Guten in der Welt", noch in sein Schnapsgebet einflößen und dann zu Bett gehen. Um 3 Uhr in der Früh bringt ein Schulbus die russischen Doktoren in ihr - von der Herbergswirtin - frisch gemachtes.

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