Saturday, September 02, 2006

Pfarrer Mikus litt an Nasen-Selbstmord

22. Oktober 2004, Kamen/JFZ-Mitte
Anlage abbauen und woanders wieder aufbauen (mitten im Konzert)  oder: 
Als die Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Sachen Pratajev tätig wurde 

Hart war die Nacht in jeder Hinsicht. Nach Toresschluss in der ESG lag es an Doktor Pichelstein, Stev in sein ehemaliges Wohnzimmer, die Mocambo-Bar, hineinzuverleiten. Wo sonst geschehen an langer Theke Geschichten wie die des jungen Spitzbart-Norwegers, der taumelnd um ein bisschen Jointismus buhlt, das Tütchen mit dem Gras auf den pichelsteinigen Caipirinha-Deckel wirft und „Make it!“ brüllt. Gerollt, getan, zwei Züge später fällt Spitzbart auf einen Rundtisch weiterer voller Menschen. Geldstücke rotieren am Boden, Glas splittert, Kellnerin bückt sich und wischt. Und immer wieder dasselbe Bild: Der eingängliche Vorhang lichtet sich, Betrunkene torkeln in die Bar zum allerletzten Ziel, setzen sich, harter Alkohol spielt Domino, bis der Boden subito näher kommt.  

Während sich die Upart-Leitungsebene bereits tief im Ruhrgebiet mit dem ehemaligen DIE ART-Label „Rough Trade“ in Sachen Wissmut einig ist, führt Doktor Pichelstein seinem charmanten Tourbegleiter Stev Münster missionarisch vor. Besehen werden Zwinger, Dom, Friedenssaal, Promenade, die Käfige der Wiedertäufer, sowie das berüchtigte Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof. Im Geldautomaten stecken 10 Euro - und das noch vor seiner Aktivierung. Münster ist eine reiche Stadt; sogar die betrunkene Bettlerin wirft Münzen in einen vollbesetzten Kinderwagen, wie vom Freisitz des Café Stuhlmacher aus zu beobachten ist. Nur Herr Bartsch dagegen ist arm, sehr arm, freut sich aber über die Tankstellen-Nachricht, dass Geld und verlorene Börse im Plötzetal aufgefunden und abgegeben wurden.

Michael Wrobel, Chefpädagoge und Veranstalter im JFZ Kamen-Mitte, erzählt eine rührende Geschichte rund um den Hellweger Anzeiger. Jene dort eingereichte Presseankündigung der Russian Doctors ließ die heimische Lokalredaktion aufhorchen, zum Telefonhörer greifen, um die Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften mit der Frage zu alarmieren, ob denn ein Text wie „Tote Katzen im Wind“ überhaupt zuzulassen sei. Der Abend nicht besser – zum Wohle der Jugend - verboten werden müsse. Eine weitere Überprüfung aller auffindbaren Pratajev-Internetseiten folgte und so sah man letztendlich doch von unschön aufkeimenden DDR-Verhältnissen ab. Es wächst eben heutzutage in jeder Hinsicht zusammen, was zusammen gehört, könnte ein Resümee dieser Heikelei sein.

Laut Tourplan waren die Doctors heute ursprünglich für den Hoppegarten in Hamm vorgemerkt, doch Veranstalter und Inhaber überwarfen sich plötzlich mit einem Beach-Volleyball-Sandhaufen, so wurde ins programmlose, da asbest-sanierungsbereite, Jugendfreizeitzentrum Kamen ausgewichen. An der Vermittlung hatte Pfarrer Mikus großen Anteil, doch lag der aktuell nach blutigem Nasen-Suizid in der Notaufnahme einer Klinik bei Wadersloh.

Das Konzert beginnt vor einer Handvoll Jugendlicher und endet abrupt in Minute 15, um an anderer Ort und Stelle, innerlich ein weiteres Mal verlegt, neu gespielt zu werden. Die 8 Zuhörer wollen es so, keine Faust’sche Zerrissenheit nützt. Ohne lange zu zögern wird die komplette Anlage in den Kombi geschultert, Herr Bartsch startet den Motor. The Russian Doctors überfallen die Kneipe „Alte Deutsche Eiche“, betrieben wird sie von einem Wirt aus Gera; Geweihe, Schießpokale und ein riesiger Wildschweinkopf bilden prägende Teile des ruhrpott-rustikalen Interieurs. Mehrere Blöcke dauert die durch Tränkungen, mit viel altem bis jungem Beifall, unterbrochene Show. „In der Frühe eines neuen Tages ist alles gut“, spricht der Abenteuerjargon.






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