Anlage abbauen und woanders wieder aufbauen (mitten im Konzert) oder:
Als die Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Sachen Pratajev tätig wurde
Hart
war die Nacht in jeder Hinsicht. Nach Toresschluss in der ESG lag es an Doktor
Pichelstein, Stev in sein ehemaliges Wohnzimmer,
die Mocambo-Bar, hineinzuverleiten.
Wo sonst geschehen an langer Theke Geschichten wie die des jungen
Spitzbart-Norwegers, der taumelnd um ein bisschen Jointismus buhlt, das Tütchen
mit dem Gras auf den pichelsteinigen Caipirinha-Deckel wirft und „Make it!“
brüllt. Gerollt, getan, zwei Züge später fällt Spitzbart auf einen Rundtisch
weiterer voller Menschen. Geldstücke rotieren am Boden, Glas splittert,
Kellnerin bückt sich und wischt. Und immer wieder dasselbe Bild: Der
eingängliche Vorhang lichtet sich, Betrunkene torkeln in die Bar zum
allerletzten Ziel, setzen sich, harter Alkohol spielt Domino, bis der Boden
subito näher kommt.
Während
sich die Upart-Leitungsebene bereits tief im Ruhrgebiet mit dem ehemaligen DIE
ART-Label „Rough Trade“ in Sachen Wissmut einig ist, führt Doktor Pichelstein
seinem charmanten Tourbegleiter Stev Münster missionarisch vor. Besehen werden
Zwinger, Dom, Friedenssaal, Promenade, die Käfige der Wiedertäufer, sowie das
berüchtigte Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof. Im Geldautomaten stecken 10 Euro -
und das noch vor seiner Aktivierung. Münster ist eine reiche Stadt; sogar die
betrunkene Bettlerin wirft Münzen in
einen vollbesetzten Kinderwagen, wie vom Freisitz des Café Stuhlmacher aus zu
beobachten ist. Nur Herr Bartsch dagegen ist arm, sehr arm, freut sich aber
über die Tankstellen-Nachricht, dass Geld und verlorene Börse im Plötzetal
aufgefunden und abgegeben wurden.
Michael
Wrobel, Chefpädagoge und Veranstalter im JFZ Kamen-Mitte, erzählt eine rührende
Geschichte rund um den Hellweger Anzeiger.
Jene dort eingereichte Presseankündigung
der Russian Doctors ließ die heimische Lokalredaktion aufhorchen, zum
Telefonhörer greifen, um die Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften mit der
Frage zu alarmieren, ob denn ein Text wie „Tote Katzen im Wind“ überhaupt
zuzulassen sei. Der Abend nicht besser – zum Wohle der Jugend - verboten werden
müsse. Eine weitere Überprüfung aller auffindbaren Pratajev-Internetseiten
folgte und so sah man letztendlich doch von unschön aufkeimenden
DDR-Verhältnissen ab. Es wächst eben heutzutage in jeder Hinsicht zusammen, was
zusammen gehört, könnte ein Resümee dieser Heikelei sein.
Laut
Tourplan waren die Doctors heute ursprünglich für den Hoppegarten in Hamm
vorgemerkt, doch Veranstalter und Inhaber überwarfen sich plötzlich mit einem
Beach-Volleyball-Sandhaufen, so wurde ins programmlose, da
asbest-sanierungsbereite, Jugendfreizeitzentrum Kamen ausgewichen. An der
Vermittlung hatte Pfarrer Mikus großen Anteil, doch lag der aktuell nach
blutigem Nasen-Suizid in der Notaufnahme einer Klinik bei Wadersloh.
Das
Konzert beginnt vor einer Handvoll
Jugendlicher und endet abrupt in Minute 15, um an anderer Ort und Stelle,
innerlich ein weiteres Mal verlegt, neu gespielt zu werden. Die 8 Zuhörer
wollen es so, keine Faust’sche Zerrissenheit nützt. Ohne lange zu zögern wird
die komplette Anlage in den Kombi geschultert, Herr Bartsch startet den Motor.
The Russian Doctors überfallen die Kneipe „Alte Deutsche Eiche“, betrieben wird
sie von einem Wirt aus Gera; Geweihe, Schießpokale und ein riesiger
Wildschweinkopf bilden prägende Teile des ruhrpott-rustikalen Interieurs. Mehrere
Blöcke dauert die durch Tränkungen, mit viel altem bis jungem Beifall,
unterbrochene Show. „In der Frühe eines neuen Tages ist alles gut“, spricht der
Abenteuerjargon.

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