Saturday, September 02, 2006

Die alte Heimat Westfalen





21. Oktober 2004, Münster/Evangelische Studentengemeinde 
Der Glaube heiligt die Mittel  

Gar seltsame Dinge werden den Russischen Doktoren in den nächsten 4 Tagen widerfahren. Auftritte - als Flairbegleiter in den tiefen, wilden Westen der Republik - von denen man noch lange sprechen wird. Eigentlich sollte es am heutigen Frühdonnerstagnachmittag Richtung Kölsch, ins ARTheater gehen, doch Kalenderirrtümer auf beiden Seiten ließen ausgerechnet Münster für sich sprechen. Jene Mittelalterperle, in der Doktor Pichelstein glatte neun Leben oder Jahre verbrachte, bevor das Logbuch Leipzig im August 2002 aufgeschlagen wurde.

Thomas Bartsch, UpArts genialer Druck-, Layout- und Animationskünstler (Nebenberuf: Bergbezwinger, Fahrradheißsporn), dito Geschäftspartner des Doktor Makarios, lenkt den schwarzen Kombi rasch über die Autobahnen. Im Fond harren Tourbegleiter Stev nebst Doktor Pichelstein der Dinge. Damit die 200 km/h in der Spur bleiben, wurde Doc M. als Mahner am Himmelstor vorn platziert. Ja, die sonnige Gegend strahlt schön, braune Blätter prasseln herab, der Brocken ist erstaunlich gut beleuchtet, der Fahrer staunt und Makarios ergänzt: „Vorsicht, Leitplanke.“

Der erste Rasthof heißt Plötzetal, Herr Bartsch verliert das Portemonnaie nach rascher Restaurant-Speisung. Ohne Kapital und Identitätsnachweise muss es weiter gehen; die Evangelische Studentengemeinde Münsters wartet bereits. Ein sehr ungewöhnlicher Auftrittsort, mehrheitlich konsultiert von kritischen, kirchlich engagierten jungen Menschen, denen man es eindrucksschwanger schwer recht machen kann. Das angeschlossene Wohnheim wird dann auch gerne mit einem eher „Betreuten Wohnen“ verwechselt, in dem kein papiernes Hinweisschild auf irgendwas fehlen darf. Viele Flurbewohner stammen aus fernen Ländern; freundliches Miteinander regiert. Unter all diesen Vorzeichen ist es nicht verwunderlich, dass im Hauptsaal der ESG bei Ankunft der russischen Kombidoktoren eine gar nicht klemmhuschig gestylte, multikulturelle Bauchtanzgruppe zur Aufführung wackelt.

Veranstalter Herr Maleyka begrüßt die verdatterten Leipziger Gäste mit einem Hüftschwung an Güte und führt in die Kellerbar zum Ausschank. Doktor Makarios teilt mit, dass Hinweisschilder auf das geplante Konzert in der Tiefe hilfreich seien, was zunächst ungehört bleibt. Doktor Pichelstein richtet Anlage und Backline, Stev kostet zwei Teller Erbsensuppe. Erste Gäste treffen bereits ein und fordern pünktlichen Beginn ab 21:00. Weitere dagegen verirren sich zunächst in die Orientaldarbietung und wundern sich ob der gar nicht russischen Verhältnisse dort. Pratajevs Andenkenpfleger hatten sie sich kaum so vorgestellt.

Um 22:00 kocht die Kellerbar. Eine literarische Einführung ins Programm gelingt mit großer Überzeugung, das Konzert umso mehr, und die Flasche Merlot wird am Tresen mit einem Euro in Rechnung gestellt. Wen wundert’s - das Publikum teilt sich schnell in Betrunkene und Nichtbetrunkene, wobei letztere irritiert dreinschauen und Tier- wie Frauenbild der Pratajevschen Lehre irgendwie „schlimm“ finden. Da nutzt es auch nicht zu erwähnen, dass die meisten jener vorgetragenen Songtexte aus dem Russland der 50er Jahre stammen, ergo Tier- und Frauenbilder dort in jenen Zeiten anders beleumundet waren als heute. Nein, viel Verbales gibt es bis tief in die Nacht für Herrn Bartsch & Stev feat. The Russian Doctors noch zu tun. Der Glaube heiligt immer die Mittel. Ist er auch heute ein Orthodox-Evangelischer.  





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