
21. Oktober 2004, Münster/Evangelische Studentengemeinde
Der Glaube heiligt die Mittel
Gar
seltsame Dinge werden den Russischen Doktoren in den nächsten 4 Tagen
widerfahren. Auftritte - als Flairbegleiter in den tiefen, wilden Westen der
Republik - von denen man noch lange sprechen wird. Eigentlich sollte es am
heutigen Frühdonnerstagnachmittag Richtung Kölsch, ins ARTheater gehen, doch
Kalenderirrtümer auf beiden Seiten ließen ausgerechnet Münster für sich
sprechen. Jene Mittelalterperle, in der Doktor Pichelstein glatte neun Leben
oder Jahre verbrachte, bevor das Logbuch Leipzig im August 2002 aufgeschlagen
wurde.
Thomas
Bartsch, UpArts genialer Druck-, Layout- und Animationskünstler (Nebenberuf:
Bergbezwinger, Fahrradheißsporn), dito Geschäftspartner des Doktor Makarios,
lenkt den schwarzen Kombi rasch über die Autobahnen. Im Fond harren
Tourbegleiter Stev nebst Doktor Pichelstein der Dinge. Damit die 200 km/h in
der Spur bleiben, wurde Doc M. als Mahner am Himmelstor vorn platziert. Ja, die
sonnige Gegend strahlt schön, braune Blätter prasseln herab, der Brocken ist
erstaunlich gut beleuchtet, der Fahrer staunt und Makarios ergänzt: „Vorsicht, Leitplanke.“
Der erste Rasthof heißt
Plötzetal, Herr Bartsch verliert das Portemonnaie
nach rascher Restaurant-Speisung. Ohne Kapital und Identitätsnachweise muss es
weiter gehen; die Evangelische Studentengemeinde Münsters wartet bereits. Ein
sehr ungewöhnlicher Auftrittsort, mehrheitlich konsultiert von kritischen,
kirchlich engagierten jungen Menschen, denen man es eindrucksschwanger schwer
recht machen kann. Das angeschlossene Wohnheim wird dann auch gerne mit einem
eher „Betreuten Wohnen“ verwechselt, in dem kein papiernes Hinweisschild auf
irgendwas fehlen darf. Viele Flurbewohner stammen aus fernen Ländern;
freundliches Miteinander regiert. Unter all diesen Vorzeichen ist es nicht
verwunderlich, dass im Hauptsaal der ESG bei Ankunft der russischen
Kombidoktoren eine gar nicht klemmhuschig gestylte, multikulturelle Bauchtanzgruppe zur Aufführung wackelt.
Veranstalter Herr Maleyka begrüßt die verdatterten
Leipziger Gäste mit einem Hüftschwung an Güte und führt in die Kellerbar zum
Ausschank. Doktor Makarios teilt mit, dass Hinweisschilder auf das geplante Konzert in der Tiefe hilfreich seien, was zunächst
ungehört bleibt. Doktor Pichelstein richtet Anlage und Backline, Stev kostet
zwei Teller Erbsensuppe. Erste Gäste treffen bereits ein und fordern
pünktlichen Beginn ab 21:00. Weitere dagegen verirren sich zunächst in die Orientaldarbietung
und wundern sich ob der gar nicht russischen Verhältnisse dort. Pratajevs
Andenkenpfleger hatten sie sich kaum so vorgestellt.
Um 22:00 kocht die Kellerbar. Eine literarische
Einführung ins Programm gelingt mit großer Überzeugung, das Konzert umso mehr, und die Flasche Merlot wird am
Tresen mit einem Euro in Rechnung gestellt. Wen wundert’s - das Publikum teilt
sich schnell in Betrunkene und Nichtbetrunkene, wobei letztere irritiert
dreinschauen und Tier- wie Frauenbild der Pratajevschen Lehre irgendwie
„schlimm“ finden. Da nutzt es auch nicht zu erwähnen, dass die meisten jener
vorgetragenen Songtexte aus dem Russland der 50er Jahre stammen, ergo Tier- und
Frauenbilder dort in jenen Zeiten anders beleumundet waren als heute. Nein,
viel Verbales gibt es bis tief in die Nacht für Herrn Bartsch & Stev feat.
The Russian Doctors noch zu tun. Der Glaube heiligt immer die Mittel. Ist er
auch heute ein Orthodox-Evangelischer.

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