Saturday, September 02, 2006

Manch welkes Leipziger Weib

07. Oktober 2004, Leipzig/Flowerpower
Größer als das 3. Tor von Wembley - oder das 4. Tor von Miloproschenskoje



Sechs Tage nach den "Beim Bücken" Flowerpower-Videodrehs zur geplanten 1. Pratajev-DVD, fährt Doktor Pichelstein in einem Leichenlieferwagen durch den Leipziger Süden. Am Steuer sitzt André Streng, Clubchefwirt des Faszinosums an der Riemannstraße und telefoniert gen Mallorca. Im hinteren Teil der schwarzen Mercedeslimousine kauert recht lebendig Wissmut-Schlagzeuger Shiva. Das Gros der Bühnentechnik für die heutige CD-Release-Party der gefesselten Doktoren wird nicht ohne Aufsehen zu erregen transportiert. Manch welkes Leipziger Weib verstolpert sich im Gang. Dabei besagt ein altes russisches Sprichwort, dass man sich über das Vorbeifahren eines Leichenlieferwagens gefälligst zu freuen habe. Weil man selbst nicht drin liegt, in der Kiste, sondern ein anderer, und das ist schon des Anstoßens wert.
















Doktor Makarios gibt letzte Anweisungen fürs technische Procedere; im sanften Licht der Fensterdämmerung baut sich die prächtig tönende, heimische Anlage wie von selbst auf. Beim Soundcheck um 19 Uhr würfeln sich bereits erste Gäste ins Flowerpower, Wanderlehrlinge sind es. Als vor kurzem der letzte Hammer fiel, waren sie bereits betrunken. 

Rockmusik tellert aus den Boxen, ungereimte, hart bröckelnde Töne. Um 22 Uhr beginnt die Show mit dem Film "Der Wirt und Ich" und das Flowerpower ist voll wie nie um diese Uhrzeit. Einige Tage später wird André Streng Doktor Makarios anrufen und sich für einen donnerstaglichen Getränkeumsatz in schwindelnder Rekordhöhe bedanken. Kein Wunder - The Russian Doctors sind nicht phlegmatischer Natur, sondern vollenden die rohe Schönheit Russlands wie weiland S.W. Pratajev es selbst zu tun vermochte. Wer da einen trockenen Gaumen behält, dem ist auch sonst staubtrocken zumute. 

Uraufgeführt werden heute im schwarzen Doktorenornat zwei neu entdeckte Pratajev-Gedichte: "Der Hermelin" und "Die Geburt" aus dem Tierzyklus der Lieder eines Veterinärs. Hackedicht bis blitzeblau taumeln zwei Russen durch die Vorhangtür und trauen ihren Ohraugen nicht. Später prasseln die Gespräche und kuriose Lesarten wechseln wie gefesselte CDs ihre Besitzer. Ein Konzertabend, größer als das 3. Tor von Wembley - oder das 4. Tor von Miloproschenskoje - ist vorüber. Die Späte des Aufbruchs mahnt zur frühen dritten Stund.

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