22. August 2003 - Leipzig/Rosa Linde
Ein urlaubsintensiver Pausensnack erbrachte eine Konzertpause, doch wie Pausen so sind, bringen sie heftig schöne Überraschungen in Tütchen und Kärtchen mit. So spielen Makarios und Pichelstein diesmal inkognito als "The Russian Doctors" in der gut und samtrot frequentierten "Rosa Linde" am Brühl. Eine Menge neuer Pratajev-Vertonungen wie "Jägerlatein", "Schwermut im Herbst" oder "Auch die Ratte hat ein Herz" werden uraufgeführt in einem süßen Rahmenprogramm, gestaltet von Volly Tanner plus Goscinny-Kindergeschichte, die man ihm als Fünffingerferlagsautoren gar nicht so recht zugetraut hätte. Der Abend ist vollends gelungen, als die letzte Zugabe mit dem Titel "Mich wundert gar nichts mehr" durch die rosarote Linde schwebt und noch später am gelungenen Abend überzeugt eine Leipziger Clubchefin & Veranstalterin Makarios und Pichelstein mit ihrer Idee vom "schmutzigen Abend" mit Pratajevs angeblich "schmutzigsten" Texten. Vermutlich hatte es ihr im Set vorher das Stück "Gefesselt" angetan. Darauf einen Wodka, Hausmarke und ab in die trockene Nacht.

04.September 2003 –
Einsiedel, Kulturinsel / Folklorum-Festival
Das
Folklorum-Festival auf der Kulturinsel Einsiedel, gelegen am östlichsten Punkt
der Republik, umringt von hüfttiefer Neiße und geschlagenem Holz aus Wald, wird
nach einigen Stunden bitteren Feierabendverkehrs angefahren. Um 22 Uhr, als der
Lärm der letzten Motorsägen erlischt, erreichen die Heimatlieder viele
glückliche Heimatlose. Ein Konzert vor den helfenden Händen der Einsiedler wird
es, die zwar müde von emsiger Bereiterei sind, sich dieses erste Konzert am
Vorabend des mit 7.500 Vorverkaufskarten gesegneten Festivals jedoch nicht
entgehen lassen wollen. Mancher verschüttet sogar Reissuppe vor zuviel Rührung.
Die Löffel sind aus Holz. Andere sehnen sich eine Heilung müder Knochen herbei,
die Makarios und Pichelstein mit zwei Zugabeblöcken gerne geben. Im Publikum
ist nur Frau Sprigode von der Pratajev-Außenstelle Cottbus etwas echt traurig,
scharrte auf der Anreise ein Baumstumpf am Wegesrand doch jene Stoßstange aus
Plastik zu Klump, die dazu noch geliehen war. Wie der Rest vom Auto auch. Nur
ein etwas später ausgelöster Polizeieinsatz - im vom Veranstalter
bereitgestellten, diakonischen Übernachtungshaus „Martinshof Rothenburg“ -
stimmt sie wieder froh. Gemeinsam greifen alle zum Marillenschnaps, trinken
rauchend aus dem Fenster und sehen Polizisten nach, die mit Stablampen nach
Verbrechern haschen.
05.September 2003 –
Einsiedel, Kulturinsel / Folklorum-Festival
So
ein Glück! Der Tag bricht mit großer Gewissheit an. Trotz Marillenschnaps.
Pichelstein verirrt sich im geräumigen Martinshof, auf der Suche nach einem
möglichen Kaffeeautomaten, mitten in eine Vorstandssitzung der sächsischen
Diakonie hinein. Ein mittlerer Herr der oberen Leitungsebene mustert argwöhnisch
das T-Shirt mit dem Aufdruck: 1/2 Gott am
Anker und weist den Weg zum schwarzen Morgengold. Frau Sprigode wird mit
gummigezurrter Stoßstange zurück nach Cottbus getröstet, Makarios und
Pichelstein durchwandern die Kulturinsel. Drei Schritte nach rechts / Schon
kommt polnisch Handynetz / Zwei nach geradeaus / Sieht sehr tschechisch aus /
Wieder umgedreht / Ist’s ein TD-1-Wind / Der weht. Nur an einem Ort nicht. Im beschaulichen,
oberlausischen „Netzsuche an der Neiße“. Auf der Bühne der Kulturscheune, die
angerichtet ist, wie sie Pratajev nicht besser hätte besteigen können.
Makarios
und Pichelstein wähnen sich in ländlicher Lyrik des großen russischen Dichters,
als sie die hölzerne Bühne, angereichert mit geschnitzten Rüsselhundfiguren,
erklimmen. Sogar der Programmhalter ist aus Holz. „Notenständer“ wäre ein viel
zu weit hergeholter Begriff der Neuzeit. Es erklingt als Opener „Der Rotarmist“
- bis nach 75 Minuten Setlist auch der letzte Königskunde im prächtig gefüllten
Scheunensaal erfahren haben will, einen Ex-DIE-ART-Sänger auf dem Festival zu
haben, der ein „Schiff“ zu besingen in der Lage ist, wie auch einen „Ozean“,
einen „Traum“, ein „Heimatleid“ oder ein „Sie sagte“. Nach der letzten
Gitarren-Luftkopplung am Marshall-Amp, 3 Zugabeblöcke später, versucht man sich
um den Backstagecontainer mit Absinth wieder an die sonst übliche Gelassenheit
zu gewöhnen, was lange nicht gelingen will. Makarios und Pichelstein hatten es
vorher geahnt: Auf der Kulturinsel Einsiedel zu spielen, das ist schon ein
besonderes Vorkommnis. Am nächsten Tag ist sogar eine als gemaust gemeldete
schwarz tönende Sonnenbrille wieder vor Ort. Trug sie doch ein Verehrer die
ganze Nacht lang.
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