Saturday, September 02, 2006

Incognito als: The Russian Doctors & Auf der trunkenen Kulturinsel


22. August 2003  - Leipzig/Rosa Linde

Ein urlaubsintensiver Pausensnack erbrachte eine Konzertpause, doch wie Pausen so sind, bringen sie heftig schöne Überraschungen in Tütchen und Kärtchen mit. So spielen Makarios und Pichelstein diesmal inkognito als "The Russian Doctors" in der gut und samtrot frequentierten "Rosa Linde" am Brühl. Eine Menge neuer Pratajev-Vertonungen wie "Jägerlatein", "Schwermut im Herbst" oder "Auch die Ratte hat ein Herz" werden uraufgeführt in einem süßen Rahmenprogramm, gestaltet von Volly Tanner plus Goscinny-Kindergeschichte, die man ihm als Fünffingerferlagsautoren gar nicht so recht zugetraut hätte. Der Abend ist vollends gelungen, als die letzte Zugabe mit dem Titel "Mich wundert gar nichts mehr" durch die rosarote Linde schwebt und noch später am gelungenen Abend überzeugt eine Leipziger Clubchefin & Veranstalterin Makarios und Pichelstein mit ihrer Idee vom "schmutzigen Abend" mit Pratajevs angeblich "schmutzigsten" Texten. Vermutlich hatte es ihr im Set vorher das Stück "Gefesselt" angetan. Darauf einen Wodka, Hausmarke und ab in die trockene Nacht. 


















04.September 2003 – Einsiedel, Kulturinsel / Folklorum-Festival  

Das Folklorum-Festival auf der Kulturinsel Einsiedel, gelegen am östlichsten Punkt der Republik, umringt von hüfttiefer Neiße und geschlagenem Holz aus Wald, wird nach einigen Stunden bitteren Feierabendverkehrs angefahren. Um 22 Uhr, als der Lärm der letzten Motorsägen erlischt, erreichen die Heimatlieder viele glückliche Heimatlose. Ein Konzert vor den helfenden Händen der Einsiedler wird es, die zwar müde von emsiger Bereiterei sind, sich dieses erste Konzert am Vorabend des mit 7.500 Vorverkaufskarten gesegneten Festivals jedoch nicht entgehen lassen wollen. Mancher verschüttet sogar Reissuppe vor zuviel Rührung. Die Löffel sind aus Holz. Andere sehnen sich eine Heilung müder Knochen herbei, die Makarios und Pichelstein mit zwei Zugabeblöcken gerne geben. Im Publikum ist nur Frau Sprigode von der Pratajev-Außenstelle Cottbus etwas echt traurig, scharrte auf der Anreise ein Baumstumpf am Wegesrand doch jene Stoßstange aus Plastik zu Klump, die dazu noch geliehen war. Wie der Rest vom Auto auch. Nur ein etwas später ausgelöster Polizeieinsatz - im vom Veranstalter bereitgestellten, diakonischen Übernachtungshaus „Martinshof Rothenburg“ - stimmt sie wieder froh. Gemeinsam greifen alle zum Marillenschnaps, trinken rauchend aus dem Fenster und sehen Polizisten nach, die mit Stablampen nach Verbrechern haschen.

05.September 2003 – Einsiedel, Kulturinsel / Folklorum-Festival  

So ein Glück! Der Tag bricht mit großer Gewissheit an. Trotz Marillenschnaps. Pichelstein verirrt sich im geräumigen Martinshof, auf der Suche nach einem möglichen Kaffeeautomaten, mitten in eine Vorstandssitzung der sächsischen Diakonie hinein. Ein mittlerer Herr der oberen Leitungsebene mustert argwöhnisch das T-Shirt mit dem Aufdruck: 1/2 Gott am Anker und weist den Weg zum schwarzen Morgengold. Frau Sprigode wird mit gummigezurrter Stoßstange zurück nach Cottbus getröstet, Makarios und Pichelstein durchwandern die Kulturinsel. Drei Schritte nach rechts / Schon kommt polnisch Handynetz / Zwei nach geradeaus / Sieht sehr tschechisch aus / Wieder umgedreht / Ist’s ein TD-1-Wind / Der weht.  Nur an einem Ort nicht. Im beschaulichen, oberlausischen „Netzsuche an der Neiße“. Auf der Bühne der Kulturscheune, die angerichtet ist, wie sie Pratajev nicht besser hätte besteigen können. 



 













Makarios und Pichelstein wähnen sich in ländlicher Lyrik des großen russischen Dichters, als sie die hölzerne Bühne, angereichert mit geschnitzten Rüsselhundfiguren, erklimmen. Sogar der Programmhalter ist aus Holz. „Notenständer“ wäre ein viel zu weit hergeholter Begriff der Neuzeit. Es erklingt als Opener „Der Rotarmist“ - bis nach 75 Minuten Setlist auch der letzte Königskunde im prächtig gefüllten Scheunensaal erfahren haben will, einen Ex-DIE-ART-Sänger auf dem Festival zu haben, der ein „Schiff“ zu besingen in der Lage ist, wie auch einen „Ozean“, einen „Traum“, ein „Heimatleid“ oder ein „Sie sagte“. Nach der letzten Gitarren-Luftkopplung am Marshall-Amp, 3 Zugabeblöcke später, versucht man sich um den Backstagecontainer mit Absinth wieder an die sonst übliche Gelassenheit zu gewöhnen, was lange nicht gelingen will. Makarios und Pichelstein hatten es vorher geahnt: Auf der Kulturinsel Einsiedel zu spielen, das ist schon ein besonderes Vorkommnis. Am nächsten Tag ist sogar eine als gemaust gemeldete schwarz tönende Sonnenbrille wieder vor Ort. Trug sie doch ein Verehrer die ganze Nacht lang.



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