Faust im Feierabend
Doktor Makarios, mit Schneid und Schnarre in der winterlichen Bronchialstimme, bringt es auf den Punkt: „Lass uns schnell fahren, in Zittau ging bereits die Welt unter“. Der Audi setzt sich in Bewegung; Stev wird an diesem Sonntagnachmittag als entschuldigt vermeldet. Verwandtschaftlicher Besuch verhindert in letzter Minute einen Ausflug ins niedere Sachsen. Die Doktorenrundfahrt heute also in Reinkultur.
Bereits am Freitag spielten Wissmut in Dresden, verbrüderten sich postkonzertum tschechisch, Samstag stand ein Zittauer Club Pate, allerorten schien der Jubel baupolizeilich bedenklich. Grüner Schnaps floss in Strömen; auch Doktor Pichelstein ließ sich an beiden Tagen nicht lumpen. Nahezu puschelig war die gestrige Abendveranstaltung. Nicht jeden Samstag spielt man Pratajev-Songs wie „Tote Katzen im Wind“, solo auf einer Psychologenparty. Und das im Angesicht der unrasierten Hauskatze Schnurri, begleitet von trommelnden Fellhänden im gebatikten Huschenkleid.
Am Rand von Leipzig verschaffen sich ein paar Krähen Überblick auf einer Tramoberleitung; unbeeindruckt von aufziehenden Schlechtwetterkapriolen. Ein winterlicher Zeitkratzer, mündend im gefürchteten Schneegewitter über der Magdeburger Börde. So wird die Fahrt zum ersten Westkonzert der Russian Doctors zur Ode an die Dauer, gefühlig unterstützt durch die New York-London-Sessions der 80-er Phil Shönfelt-Band „Khmer Rouge“. Um halb acht, nach korrekter Abfahrt „Linden Nord“ vom Hannover-Messeschnellweg, endet die vom Veranstalter des Clubs gemailte Wegbeschreibung ungefähr so: Und wenn ihr in Linden seid, dann fragt mal jemanden nach dem Faust e.V. in der Straße „Zur Bettenfedernfabrik“. Ein Unterfangen, was eine weitere halbe Stunde Soundcheckzeit kostet.
Vor Ort hören die Rochaden nicht auf; eine Tretmine explodiert neben der anderen. Verschwand die Gastroabteilung des Faust e.V. bereits um 19:30, was nun großen Hunger mit sich bringt, so erfährt man vom Veranstalter über falsch platzierte Presse im Punkto Ort und Uhrzeit. Die Mischerin vollzieht mit gramgebeugtem Gesicht jungfräuliche Akte in der Pultkabine. Licht und Ton laufen über denselben Stromkreis, was brillantes Brummen der PA-Boxen mit sich bringt. Der dünne Firnis der westlichen Zivilisation überließ dem Raum eben nur begrenzte Amperezahlen. Publikum sitzt bereits und schaut interessiert, wie Doktor Pichelsteins Mundwinkel aufs Schlüsselbein fällt. Es nützt wenig; ist die Lage noch so misslich, russische Doktoren gehen zum Lachen nicht in den Keller und sind weder Mufflon noch Eichhorn. Um 21 Uhr beginnt eine Vorlesung des Dichters Klingenberg, dann starten russische Songs. Mit breit befreitem Lächeln heißt es: „Jägerlatein“.
Monitorboxen gibt es nicht, was zur Folge hat, dass Doktor Makarios des Gitarrengewitters seines Akustikusses beraubt wird. Aber man ist sich - musikalisch betrachtet – gottseidank jagdhündisch ergeben. Nach dem Schlusspfiff gegen 23 Uhr hangelt es dicke Bonmots in Richtung Clubbühne. Dem applausenden Vernehmen nach sind auch Menschen mit rollendem Thüringer Dialekt anwesend. Hier, in Hannover, der Stadt der kleinen Trinkhallen und großen Tragödien. Rund um die Uhr herrscht Normalzustand, das wissen auch The Russian Doctors und lassen sich versöhnlich in einem Lokal nieder, in dem die kalifornische Kellnerin zur Verwunderung aller, keinen Cent Trinkgeld akzeptiert. Die rrrr-betonten Worte: „Ihr habt es nötiger als ich“, klingen noch im Ohr, als längst die Veranstalterpension zur schlafzweckmäßigen Etikette der Musikersorte Mensch geworden ist.
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