25. Juni 2004 - Dresden/Elbhangfest I
Wenn die Böhmen mit den Sachsen fest zusammenwachsen, treffen sich einmal im Jahr Tausende rund um das Dresdener Elbhangfest. Am 25. Juni 2004 bereits zum 14. Mal. Sogar die - im Verlauf des nicht mehr frischen Jahres - sehr schwergängige Sonne wandelt lang und lüstern am Himmel. Der Logik wird Gesicht gewährt, als sich später ein halber Mond übers größte Trinkgelage Sachsens den Sternen zum Himmelstanz feilbietet.
Der Wissmut-Auftritt im Erbgericht findet mit großer Verzögerung statt, was gut ist, denn erst um 20:30 Uhr trifft der russische Doktorenbus in Leipzig ein. Michael Mikus und Gehilfe Olaf, in Diensten der ostwestfälischen Alternative Art, ließen Tourmanager Stev nebst Begleitung, sowie Doktor Pichelstein lange düster in beleibte Gläser schauen. Das Aufeinandertreffen in der Praxis für Lungenschizophrenie war für 17:00 Uhr geplant. Viele entkernte Flaschen später wird Dresden erreicht, rechtzeitig zum Wissmut-Konzert, denn in aktueller Juninacht leuchten nicht nur die Sterne, sondern auch die vortragenden Musiker von innen heraus. Das Publikum im Erbgericht tanzt husarisch, euphorisch, so, als gäbe es kein Morgen, als wäre ein Tag auf der Rasierklinge endlich aus und vorbei.
Auch Herrn Mikus zwirbeln tanzend die Sinne; während Wissmut viele und schöne Dramolette in der Nachspielzeit aus ehrwürdigen DIE ART-Klassikern spielen, lautet sein Motto: Sitzen ist für'n Arsch. Alles umpogen, was trinkend aufgebockt bei Tische hockt.
Im Verlaufe der Nacht lassen ihn diese und weitere Euphorien sieben Meter tief den Elbhang hinunterfallen. Eine Brille geht dabei verloren zu Bruch; die Gläser fräsen sich tief in die Gesichtshaut ein. Voller Moos, Nesseln und weiterer Elbhangpflanzen taucht er noch einmal zum Abschlussgetränk blutig im Gare de la Lune auf. Thomas von der Wissmutcrew bespricht bei flüssiger Grüner Fee mit Doktor Pichelstein die Anziehungskräfte der Elbe. Gemeinsam versucht man herauszufinden, welch große Motive dem Elbhangsturz vorausgegangen sein müssen und ob tatsächlich am Elbufer ein kleines Bermuda-Dreieck existiert.
26. Juni 2004 - Dresden/Elbhangfest II
Nach wenigen gefühlten Augenblicken des Schlafes erwacht Doktor Pichelstein früh um elf im Tourbus. Knappe Zentimeter daneben zieht ein karnevalistischer Festumzug mit tschechischer Blasmusik, Funkenmariechen und aufgemaschelter Ritterei vorbei. Schockgefrostet gelingt die Flucht in ein Hangcafé, wo bereits der Becherowka zum wilden Flusse schwillt. Der Dresdner versteht es, früh zu feiern; einer seiner großen Barockfürsten war schließlich August der Starke, der täglich ein Fass Wein zum halben Ochsen verschlag und seine Kinder blieben ungezahlt.
Einige Zeit danach treffen sich The Russian Doctors, um ihren 16:00 Uhr-Auftritt am Gare de la Lune-Elbhang vorzubereiten. Auch heute trachten keine Wolken danach, den sprudelnden Festtag verregnen zu lassen. Die Open-Air-Bühne steht bereit, wird mit Instrumenten beliefert, soundgecheckt, noch ein paar kühle Getränke, dann soll es wohl Zeit sein für die "Lieder von toten Katzen, besoffenen Kindern und gefesselten Frauen", wie es das Programmheft verrät.
Unter Bäumen, im Musikantengarten, spielen diverse Instrumente noch diversere Folklieder. Ein unter Tisch liegender, guter, braver, vernünftiger, eigentlich musikbegeisterter Hund, drückt seine Freude darüber mit kläglichem Gejaule aus. Und wäre die Sonne nicht schon längst aufgegangen, scheint sie noch heller, als der durstige Pratajev-Drachenboot-Fanclub Dresden das Open-Air-Gelände betritt. Frau Doktor Pichelstein schreitet sogleich zur Operation Kuss, die süße Verköstigung nimmt seinen Lauf.
Doktor Pichelstein, der sich seiner Haarpracht mittels Skalpraub seit vorgestern beraubt sieht, trägt eine russische Sternmütze. Das Intro läuft, die Doktoren beschreiten die Bühne nicht ganz leichten Schrittes. Doch wie sagte der portugiesische Fußballnationaltrainer Felipe Scolari noch in der letzten Woche vorm Englandspiel der Europameisterschaft: "Jedes Spiel ist ein Epos, es ist Geschichte, ist eine Schlacht." Diese weisen Worte beherzigend, preschen The Russian Doctors schnell und gewandt durchs Heimatlieder-Set, wunderbar unterstützt durch den alle Songs mitsingenden Drachenboot-Fanclub.
Das drallvolle Elbhangkonzert zog alle nur denkbaren Register Pratajevs auf einmal. Während großes Klatsch- und Singtheater mehrheitlich auf der einen Seite vorherrschte, blickten andererseits truthahnsteil aufgepuderte ältere Damen sehr streng in Richtung Doktor Makarios' Sprachduktus. Vermutlich leuchtete ihnen das verbale Bewusstsein eines Dichters wie Pratajev weder ein noch aus. Den Mund zum Strich verbissen, harrten sie der Dinge und bekamen zum Dank eine flachgelegte Grillwurst am Stand. Hätte es noch eine kleine Rauferei vor der Bühne gegeben, wäre der selige S.W. Pratajev selbst mit ihnen zufrieden gewesen. Doch auch so würdigten The Russian Doctors Pratajevs großes russisches Werk mit der letzten von vier Zugaben, mit einer gehörigen Dankesportion ans Team des Gare de la Lune bei "Sonne und Brot".
Über den weiteren Verlauf des Tages sollte Stillschweigen gewahrt werden; nur so viel sei noch verraten: Herrn Mikus zog es erneut ins Bermuda-Dreieck, wo er - samt Tourbusschlüssel - viele Stunden als vermisst, trunken und nicht zu erreichen galt. Um es mit Murphy's Law zu verbinden: Nichts war, wie's sein sollte. Doch wen die Euphorie einmal packt, bleibt selten bei Verstand. Wir können das verstehen.
Anmerkungen des Dr. Makarios:
Sollte ich diesmal eine lobende Erwähnung vergessen, so sei's mir verziehen, denn viele, ja ungezählte Menschenscharen kreuzten den Weg... Am Beginn der Dankeshymne muss diesmal unbedingt ein weibliches Wesen stehen.
Haus- und Hofköchin des Gare de la Lune ihres Zeichens, machte sie den Wissmut- und Russian Doctors-Tross in den frühen Morgenstunden (wohl, es war gegen 03:00 Uhr) glücklich, durch zaubern eines leckeren Mahles in grandiosem Umfang. Ihr Name blieb im Verborgenen, doch sollte es jemals ein Denkmal der unbekannten Köchin geben, so wird die Statue ihr Antlitz tragen, felsenfest versprochen. Unvergessen natürlich unsere Freunde des Mondbahnhofs, Mirko, Björn und Rudi, wir sagen es gern und immer wieder: Bei Euch fühlen wir uns wohl, auch ohne Absinth wär das so. Ein lieber Gruß geht an den Schuhwerfer von Kamenz, die Trophäe ging allerdings in den Wirren des Festes verloren. Möglich, dass nun ein Elblurch den Schuh als Behausung nutzt. Die Lack- und Piercinghexe aus dem Erzgebirge, nebst Mann und Schwester drück ich noch mal in schwarzblauer Nacht - das nächste Mal wird durchgemacht... Miss Wissmut-Sonne Michi sei ebenso geherzt wie unsere Neusachsen Steffi und Klaus.
Bis zum nächsten Fest, was bekanntlich nicht lang auf sich warten lässt
Der II. Russische Doctor
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