21. August 2004 - Großenhain/CWH, Open Air
Bereits beim letzten Auftritt der Russischen Doktoren, am 13. Juni des Vorjahres, war die Gegend um Großenhain weiträumig gesperrt, heute ist es nicht nur die Gegend, sondern auch die Stadt selbst. Fahrer Mikus flucht nicht schlecht, führt den blauen Alternative-Art-Bus aber - bevor die Dunkelheit das Conny-Wessmann-Haus in tiefste Finsternis verpackt - sicher an den Rand der "Grind The Nazi Scum" Open-Air-Bühne. Gegen Mitternacht sollen Doktor Makarios und Doktor Pichelstein als Headliner auf einem Punkmetalfestival spielen und so etwas gab es noch nie.
Im Backstage, einige Gläser Tequilla später, wird aus Michael Mikus "Pfarrer Mikus"; Kai-Uwe Kohlschmidt will es so. Mit "Russ and the Velvets" darf der ex-Sandow-Chefsänger ab 21 Uhr die akustische Beherrschung des öffentlichen Raumes übernehmen. Das Angebot, auch einen Song der Doctors zu singen, steht, fällt jedoch später diversen Schnapsmischungen zum Opfer, lange nachdem der Knappliter Tequilla den kohlschmidtschen Künstlerorkus durchfloss.
Während die Velvets den Weg zur Bühne zerwandern, gibt Veranstalter Sven Doktor Pichelstein auf die harmlos tönende Frage: "Wie war's denn gestern, am ersten Festivaltag?" Antworten, die aus betretenen Minen Tretminen formen könnten: 1500 EURO Sachschaden, angeregt von ex-Großenhainer Wessijungs in Form zerschnittener Stromkabel, die einen Kurzschluss verursachten, somit Videobeamer, PC- und Lichttechnik komplett zerstörten. Im weiteren Verlauf dieses Kadavergehorsams fielen Zaunteile, wurde gestürmt, geblutet, geprügelt. Ergo: Wenn arbeitslose Großenhainer Jugendliche zu Lehrlingen aus Meppen im Emsland oder Rinteln bei Hameln werden, wird's militärisch und somit völlig Sinnloses mit größter Überzeugung getan.
Die Festival-Ankündigung der Sächsischen Zeitung vom 18. August lautete: "Knüppelei mit Anspruch" und kündigte Bands wie "Blumentopferde", "Napalm Entchen", "Fat Mama Lovers" oder "Die angepizzten Monitorboxen" auf den Punkt genau an. Kurz bevor The Russian Doctors die Bühne besteigen, brüllen "Die Peiniger" Arschgeweihe aus mancher Lendentätowierung. Ihr musikalischer Grindgestus eines Türstehers relativiert sich jedoch mit den Ansagen der Songs; hier sprechen wild durcheinander: Alfred Jodokus Kwak (Holland) und Schnatterinchen (GDR) in seltsamer Reinkultur das Wort zum Bösen.
Dann ist es so weit, Doktor Pichelstein richtet die Gitarren aus, Doktor Makarios verstärkt das Wort. Das Intro läuft, Kai-Uwe Kohlschmidt tanzt besorgniserregend heftig den Russen im Keller, die schöne Welt lockt Scharen aus Zelten und Schonungen hervor. Ansagende Lanzen werden für Pratajev gebrochen, Biber rennen durchs Dorf, Restfiguren der Punkära lassen tanzend vor der Bühne alles stehen und liegen, danach sogar sich selbst.
Ein trunkener Schlagzeuger schleicht beim Song "Harte Wirtin" auf die Bühne und wird nach wenigen falschen Takten vom Veranstalter persönlich erlegt. Pfarrer Mikus filmt euphorisch, lässt dabei leider den aufgebauten Merchstand im Regen stehen. "Sie sagte" und das "Heimatlied" werden auf neu erschienener DIE ART-LP "Das Schiff" wallend und nass - aber live gespielt. Visitatoren rufen Zugaben herbei, zum Regen passt er super, hier kommt er, der "Ozean".
Vollbracht ist es, die Bühne wird abgebaut, der Weg ins Pensionsbett der Familie Zeise scheint nicht mehr fern. Am Lagerfeuer aus Tonne legt ein Punk Feuer an die F6 im Mundwinkel und berichtet über das Schicksal seiner armen, alkoholkranken Ratte. Dann hupt ein Shuttle-Taxi als Wink mit dem ganz großen Zaunpfahl.
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