27. November 2004, Rollenhagen/Felssteinkirche
Vierzig hackende Holzmeter sofort
Auf der Bundesstraße 95 in
Grobrichtung Mecklenburg-Vorpommern, weiß man sich des Süßhungers - nicht
unbedingt politisch korrekt - zu wehren: „Frische Ost-Negerküsse“ schildern
Bewohner diverser Kreisstädte auf bemalte Pappe an Zäune. Da ist der fromme
Zeitungswunsch einiger Berliner PDS-Fraktionäre, doch die hiesige
„Mohrenstraße“ in eine polyglottere „Königin-Von-Saba-Straße“ umzubenennen,
eine hübsche Marginalie. Als dann noch ein Tankstellen-Revolverblatt die
Meldung: „Polizei erschießt Weihnachtsmann“ titelt, wird es Zeit, keine
weiteren Eindrücke des Tages zu sammeln. Doktor Pichelstein fällt im Fond des
Nissans in rhapsodischen Schlaf.
Der östliche Norden Deutschlands
ist von je her kulinarisches Notstandsgebiet. Stev tritt auf Geheiß von Doktor
Makarios mitten im doch sehr historischen Fürstenberg scharf auf die Bremse,
als rechts des Weges tatsächlich etwas anderes als Döner-Station oder
Wurstverschlag auftaucht: Ein echtes Restaurant! Und es hat geöffnet! Es heißt
verlockend: Am Yachthafen! Und so schlemmt man hinein, was Getier aus See und
Stall lecker ausmacht, wenn es nicht mehr blubbern oder grunzen kann.
17 Kilometer nordöstlich von
Neustrelitz entstand im 14. Jahrhundert unter dem Schutz des Nonnenklosters Wanzka die Feldsteinkirche in Rollenhagen. Es folgten
Verwüstungen des 30jährigen Krieges;
1670 goss und installierte man eine neue, mächtige Glocke. Im 18.
Jahrhundert folgte die Schließung der gotischen Fenster, 1960 wurde die letzte
Messe gelesen. Die Kirche war sozialistisch verfallen. Ende der 90er Jahre
machte sich der "Verein für Kultur und Bildung, Denkmal und Umweltpflege“
auf den wunderbaren Weg zur Schöpfung einer neuen Kulturstätte, in der heute
The Russian Doctors Station machen.
Zum Soundcheck taucht Mr. Cassity
nebst Dirk Darmstaedter aus Hamburg auf. Letzterer war einst Sänger des One-Hit-Wonders
„Jeremy Days“. „She’s my brand new toy“ hauchte er damals für die
Zahnspangenfans der Clip-Hitparaden Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre.
Heute, gemeinsam als „Me and Cassity“, bringt Mr. Darmstaedter akustisch schöne
Songs zum Besten, für die sich Bob Dylan mittlerweile zu schade ist. Melancholie,
born in the USA, pur. Mr. Cassity stammt
aus Kaliforniern und freut sich bei der Begrüßung ein Loch in den Bauch: „Hey,
I’m Dave!“ „Hey, I’m Stev!“ „I’m Frank“. „Great! Sounds like California
Beach!“
Der Auftritt der Doctors gelingt
voluminös und klingt in der Feldsteinkirche so göttlich, als wäre die Kirche
nie entweiht worden. Doch hoch steigen alle Weihen, als Doktor Makarios im
Zugabeblock zuletzt den „Biber“ ankündigt, das umlandangereiste Publikum die
Musik aus der pratajevschen Feinkostabteilung am Merchstand haben möchte,
obwohl die Kaufkraft der Gegend als sehr minder einzustufen
ist. Gerne würde man in Naturalien bezahlen, in Kartoffeln und Wurst, doch geht
das leider nicht, da die Würste noch im Schwein und die Kartoffeln im Keller
lagern. So gibt es heute ausnahmsweise bei Mr. Stev gefesselte Rabatte.
Zum heiligen Abschluss tritt die
Musicbox in Aktion: „Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Russland ist
ein schönes Land“, singen nasse Kehlen tanzend
im einstigen Kirchenschiff. Zuzögling Malte aus Hamm fällt Doktor Pichelstein
glücklich um den Hals und singt: „Ich hab noch einen Wessi im Keller“. Sein
Heiratsantrag an die Mutter eines Rollenhagener Backfischmädchens wird indes
abschlägig mit folgenden Worten beschieden: „Vierzig hackende Holzmeter sofort
oder eine Mille, sonst läuft da gar nichts“.
Draußen ist das Lagerfeuer
erloschen und The Russian Doctors werden vom Fahrer sicheren Weges in die
Pension gefahren. Ein Hort der Ruhe, in dem man berockter Förster sein möchte:
Nach Jagd und Tag, unterm Wildschweinkopf,
sich mit der Idylle der Landschaft messen.
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