Saturday, September 02, 2006

Kirchenkonzert: Me and Cassity & TRD


27. November 2004, Rollenhagen/Felssteinkirche 
Vierzig hackende Holzmeter sofort 

Auf der Bundesstraße 95 in Grobrichtung Mecklenburg-Vorpommern, weiß man sich des Süßhungers - nicht unbedingt politisch korrekt - zu wehren: „Frische Ost-Negerküsse“ schildern Bewohner diverser Kreisstädte auf bemalte Pappe an Zäune. Da ist der fromme Zeitungswunsch einiger Berliner PDS-Fraktionäre, doch die hiesige „Mohrenstraße“ in eine polyglottere „Königin-Von-Saba-Straße“ umzubenennen, eine hübsche Marginalie. Als dann noch ein Tankstellen-Revolverblatt die Meldung: „Polizei erschießt Weihnachtsmann“ titelt, wird es Zeit, keine weiteren Eindrücke des Tages zu sammeln. Doktor Pichelstein fällt im Fond des Nissans in rhapsodischen Schlaf.

Der östliche Norden Deutschlands ist von je her kulinarisches Notstandsgebiet. Stev tritt auf Geheiß von Doktor Makarios mitten im doch sehr historischen Fürstenberg scharf auf die Bremse, als rechts des Weges tatsächlich etwas anderes als Döner-Station oder Wurstverschlag auftaucht: Ein echtes Restaurant! Und es hat geöffnet! Es heißt verlockend: Am Yachthafen! Und so schlemmt man hinein, was Getier aus See und Stall lecker ausmacht, wenn es nicht mehr blubbern oder grunzen kann.

17 Kilometer nordöstlich von Neustrelitz entstand im 14. Jahrhundert unter dem Schutz des Nonnenklosters Wanzka die Feldsteinkirche in Rollenhagen. Es folgten Verwüstungen des 30jährigen Krieges;  1670 goss und installierte man eine neue, mächtige Glocke. Im 18. Jahrhundert folgte die Schließung der gotischen Fenster, 1960 wurde die letzte Messe gelesen. Die Kirche war sozialistisch verfallen. Ende der 90er Jahre machte sich der "Verein für Kultur und Bildung, Denkmal und Umweltpflege“ auf den wunderbaren Weg zur Schöpfung einer neuen Kulturstätte, in der heute The Russian Doctors Station machen. 

 


Zum Soundcheck taucht Mr. Cassity nebst Dirk Darmstaedter aus Hamburg auf. Letzterer war einst Sänger des One-Hit-Wonders „Jeremy Days“. „She’s my brand new toy“ hauchte er damals für die Zahnspangenfans der Clip-Hitparaden Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Heute, gemeinsam als „Me and Cassity“, bringt Mr. Darmstaedter akustisch schöne Songs zum Besten, für die sich Bob Dylan mittlerweile zu schade ist. Melancholie, born in the USA,  pur. Mr. Cassity stammt aus Kaliforniern und freut sich bei der Begrüßung ein Loch in den Bauch: „Hey, I’m Dave!“  „Hey, I’m Stev!“  „I’m Frank“. „Great! Sounds like California Beach!“

Der Auftritt der Doctors gelingt voluminös und klingt in der Feldsteinkirche so göttlich, als wäre die Kirche nie entweiht worden. Doch hoch steigen alle Weihen, als Doktor Makarios im Zugabeblock zuletzt den „Biber“ ankündigt, das umlandangereiste Publikum die Musik aus der pratajevschen Feinkostabteilung am Merchstand haben möchte, obwohl die Kaufkraft der Gegend als sehr minder einzustufen ist. Gerne würde man in Naturalien bezahlen, in Kartoffeln und Wurst, doch geht das leider nicht, da die Würste noch im Schwein und die Kartoffeln im Keller lagern. So gibt es heute ausnahmsweise bei Mr. Stev gefesselte Rabatte.




Zum heiligen Abschluss tritt die Musicbox in Aktion: „Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land“, singen nasse Kehlen tanzend im einstigen Kirchenschiff. Zuzögling Malte aus Hamm fällt Doktor Pichelstein glücklich um den Hals und singt: „Ich hab noch einen Wessi im Keller“. Sein Heiratsantrag an die Mutter eines Rollenhagener Backfischmädchens wird indes abschlägig mit folgenden Worten beschieden: „Vierzig hackende Holzmeter sofort oder eine Mille, sonst läuft da gar nichts“. 

Draußen ist das Lagerfeuer erloschen und The Russian Doctors werden vom Fahrer sicheren Weges in die Pension gefahren. Ein Hort der Ruhe, in dem man berockter Förster sein möchte: Nach Jagd und Tag, unterm Wildschweinkopf,  sich mit der Idylle der Landschaft messen.    




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