23. Mai 2004 - Kamenz/Safe-Club
Im Auto mit
Sabine Töpperwien
Erholung
suchte Doktor Pichelstein lange Zeit im fernen Indien, doch vergebens. Ein
April zog durchs Land, hin zum Wetter des Monats Mai. Den Gipfel der Frische
bei knapp 2 Grad über Null durchfroren Wissmut am 22. Eisheiligenmonatstag in
Tiefengruben bei Weimar. Im dortigen Festzelt war es selbst für Basssaiten zu
kalt; Glühweintassen froren am Gaumen fest, mancher wäre über eine Fellzunge
dankbar gewesen und trug die Kleider wie ein ungemachtes Winterbett.
Zur
selben Zeit herrschte in der Praxis für Lungenschizophrenie reges Treiben. Ein
freundlicher Dresdner Besucherpulk verwandelte das Kücheninterieur zur
emotionalen Olympiakapitulation Leipzigs als Whisky-Benefizium und trank den
braunen Saft auf Zitroneneiswürfeln. Tourbegleiter Stev, an aufgedrehter
Maiheizung, jammerte erklecklich; dem Kamenz-Konzert der russischen Doktoren am
Folgetag rutschten dienstliche Verpflichtungen in die Quere. Unverrückbare
Fakten sind grausame Religionen. Ihr Weihwasser heißt Schnaps.
Wenige
Stunden später lauschen The Russian Doctors im Tourgolf dem
Sabine-Töpperwien-Maulheldentum deutscher Fußball-Bundesliga-Kommentatoren
Richtung A14, während Doktor Makarios sich von einer letzten
Gaumen-Glühweintasse befreit. Frau Töpperwien beschreit das 2:0 der Werkself
von Bayer Leverkusen gegen den VFB Stuttgart in den Schlussminuten der aktuellen
Saison, als wäre Ohren-Misshandlung kein Karrierehindernis mehr. Wer ähnliches
sucht, leihe sich einen Pornofilm aus oder halte torverstärkten Beischlaf mit
ungehemmten Dezibelfrauen.
Der
Safe-Club zu Kamenz wird an diesem nassen Samstagabend auf Kopfsteinpflastersänften
erreicht. Doch weder der rote (manchmal gar gelbe) Historienturm der Pulsnitzer
Lebkuchenstraße, noch die Nähe zum Geburtshaus Lessings kann über das heutige
Fehlen des Tourbegleiters hinwegtrösten. Erst als der Shoediver sich bereit erklärt, sein beim
Wissmut-Konzert vor 6 Monaten am selben Ort verlorenes Fußkleid gemeinnützigen
Zwecken zu spenden, als Chef Krabat und weitere freundliche Clubmenschen Arme
und Bierflaschen ausstrecken, rutscht der Tag voller Brust aus seiner
Korsage.
Nach
dem Soundcheck folgt mütterliche Hotelsicht samt Schlüsselübergabe. Im
Backstage halten es russische Doktoren mit dem Satz aus der Odyssee: „Und sie
erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle“. Im Hintergrund läuft per
Endlosschleife eine Georg Kreisler-Sangeskopie des pratajevnahen Titels
„Taubenvergiften im Park[1]“.
Das Konzert der Russian Doctors startet ab 23:00 nach kurzer Geschichtseinlage
des fabulösen Mischers und wird zum Triumph. Wohlfeine Pratajev-Süffisanzen
runden die 1,5 folgenden Livestunden bis in den Zugabeblock aus DIE
ART-Klassikern und noch kaum gespielten, neuen Stücken ab. Eine warme Flasche
Wodka wird zum leckeren Pausenschluck. Doktor Makarios lässt den tanzenden Club
feiern, Doktor Pichelsteins Gitarren leisten Schwerstarbeit bis die Saiten
platzen. Danach heißt es: Guter Wein muss kurz atmen - wie der erschöpfte
Bühnenmensch auch. Am regen Verkaufsstand, ebenso an der Bar. Danke, Safe Club.
Obwohl der Heimweg am nächsten Tag - zurück durch Schnee-, Gewitter-, Regen-
und Hagelschauer - schwer missführte - immer tritt man hier wieder an. Um
einfallende Hugenotten zu besänftigen, gern auch im weißen Prozessionskleid.
Anmerkungen
des Makarios: Nur ein kurzes Sätzchen, doch bemerkens- und daher festhaltenswert
war die Tatsache der tapferen Köchin. Wurde die Arme doch geplagt von gar
grausamsten Zahnschmerzen. Und sie kochte trotzdem und sie kochte gut und sie
lauschte den Doktoren mit Eisbeutel an der Wange. Und somit wurde sie zur
Beweiserin der Theorie, Frauen halten Schmerzen besser aus als Männer. Lob und
Preisung dieser Tat kommen von Herzen. Ohne Schmerzen.
[1]
Zwei verliebte Wiener
preisen darin vor Schönheit den Frühling und verteilen im Walzertakt begeistert
Arsen an schaurig besungene Tauben im Park. Nicht ohne dabei dankenswerterweise
die Spatzen zu verscheuchen.


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