Saturday, September 02, 2006

Kamenzer Warmwodka

23. Mai 2004 - Kamenz/Safe-Club
Im Auto mit Sabine Töpperwien

Erholung suchte Doktor Pichelstein lange Zeit im fernen Indien, doch vergebens. Ein April zog durchs Land, hin zum Wetter des Monats Mai. Den Gipfel der Frische bei knapp 2 Grad über Null durchfroren Wissmut am 22. Eisheiligenmonatstag in Tiefengruben bei Weimar. Im dortigen Festzelt war es selbst für Basssaiten zu kalt; Glühweintassen froren am Gaumen fest, mancher wäre über eine Fellzunge dankbar gewesen und trug die Kleider wie ein ungemachtes Winterbett. 

 

Zur selben Zeit herrschte in der Praxis für Lungenschizophrenie reges Treiben. Ein freundlicher Dresdner Besucherpulk verwandelte das Kücheninterieur zur emotionalen Olympiakapitulation Leipzigs als Whisky-Benefizium und trank den braunen Saft auf Zitroneneiswürfeln. Tourbegleiter Stev, an aufgedrehter Maiheizung, jammerte erklecklich; dem Kamenz-Konzert der russischen Doktoren am Folgetag rutschten dienstliche Verpflichtungen in die Quere. Unverrückbare Fakten sind grausame Religionen. Ihr Weihwasser heißt Schnaps. 

Wenige Stunden später lauschen The Russian Doctors im Tourgolf dem Sabine-Töpperwien-Maulheldentum deutscher Fußball-Bundesliga-Kommentatoren Richtung A14, während Doktor Makarios sich von einer letzten Gaumen-Glühweintasse befreit. Frau Töpperwien beschreit das 2:0 der Werkself von Bayer Leverkusen gegen den VFB Stuttgart in den Schlussminuten der aktuellen Saison, als wäre Ohren-Misshandlung kein Karrierehindernis mehr. Wer ähnliches sucht, leihe sich einen Pornofilm aus oder halte torverstärkten Beischlaf mit ungehemmten Dezibelfrauen. 

Der Safe-Club zu Kamenz wird an diesem nassen Samstagabend auf Kopfsteinpflastersänften erreicht. Doch weder der rote (manchmal gar gelbe) Historienturm der Pulsnitzer Lebkuchenstraße, noch die Nähe zum Geburtshaus Lessings kann über das heutige Fehlen des Tourbegleiters hinwegtrösten. Erst als der Shoediver sich bereit erklärt, sein beim Wissmut-Konzert vor 6 Monaten am selben Ort verlorenes Fußkleid gemeinnützigen Zwecken zu spenden, als Chef Krabat und weitere freundliche Clubmenschen Arme und Bierflaschen ausstrecken, rutscht der Tag voller Brust aus seiner Korsage.  

Nach dem Soundcheck folgt mütterliche Hotelsicht samt Schlüsselübergabe. Im Backstage halten es russische Doktoren mit dem Satz aus der Odyssee: „Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle“. Im Hintergrund läuft per Endlosschleife eine Georg Kreisler-Sangeskopie des pratajevnahen Titels „Taubenvergiften im Park[1]“. Das Konzert der Russian Doctors startet ab 23:00 nach kurzer Geschichtseinlage des fabulösen Mischers und wird zum Triumph. Wohlfeine Pratajev-Süffisanzen runden die 1,5 folgenden Livestunden bis in den Zugabeblock aus DIE ART-Klassikern und noch kaum gespielten, neuen Stücken ab. Eine warme Flasche Wodka wird zum leckeren Pausenschluck. Doktor Makarios lässt den tanzenden Club feiern, Doktor Pichelsteins Gitarren leisten Schwerstarbeit bis die Saiten platzen. Danach heißt es: Guter Wein muss kurz atmen - wie der erschöpfte Bühnenmensch auch. Am regen Verkaufsstand, ebenso an der Bar. Danke, Safe Club. Obwohl der Heimweg am nächsten Tag - zurück durch Schnee-, Gewitter-, Regen- und Hagelschauer - schwer missführte - immer tritt man hier wieder an. Um einfallende Hugenotten zu besänftigen, gern auch im weißen Prozessionskleid.
           
Anmerkungen des Makarios: Nur ein kurzes Sätzchen, doch bemerkens- und daher festhaltenswert war die Tatsache der tapferen Köchin. Wurde die Arme doch geplagt von gar grausamsten Zahnschmerzen. Und sie kochte trotzdem und sie kochte gut und sie lauschte den Doktoren mit Eisbeutel an der Wange. Und somit wurde sie zur Beweiserin der Theorie, Frauen halten Schmerzen besser aus als Männer. Lob und Preisung dieser Tat kommen von Herzen. Ohne Schmerzen.



[1] Zwei verliebte Wiener preisen darin vor Schönheit den Frühling und verteilen im Walzertakt begeistert Arsen an schaurig besungene Tauben im Park. Nicht ohne dabei dankenswerterweise die Spatzen zu verscheuchen.






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