Saturday, September 02, 2006

Berlin: Die zweite Eroberung

26. November 2004, Berlin/Schokoladen
Heimatlieder von Ex-Art Makarios

Schwer klagen die Glocken und ein voller Mond führt Tourmanager Stev - am Lenkrad der heutigen Russian-Doctors-Mission - Richtung Berliner Mitte. Am Mövenpick-Rastplatz Fläming treibt ausgezeichneter Schümli-Kaffee sämtliche Gebrauchsanweisungen der Wachheit an, dann geht es weiter. Die Rennpiste Autobahn ist novembrig nass, manches Auto am Seitenstreifen wird zum hysterisch hustenden Wrack und bleibt liegen. Es gibt bedenklicheres. Soundfrau Tonja spielt in einer Noiseband und erzählt nach dem Soundcheck im "Schokoladen" von einer kürzlichen Bonner Kapellenreise, welche an einer Braunschweiger Leitplanke endete. Gitarrenkoffer schossen durch die Frontscheibe, wurden wieder gefunden, doch zum völligen Trost reichte das nicht. Darauf viel tschechisch zubereitete Kürbissuppe in Pilzen, während erste Gäste mit Entrittsstempeln verarztet werden. 

Das heutige Konzert ist laut Programm kurios angekündigt: "Russian Doctor / Heimatlieder von Ex-Art Makarios." So ist es nicht verwunderlich, dass sehr unterschiedliches Publikum anwesend ist. Unbedarfte Frankfurter Maingäste etwa sprach vor Abendplanung ein russisches Balalaika-Thema an. Ehemalige Fans von "DIE ART" blicken skeptisch Richtung Makarios, der zwar bekanntlich das "Heimatlied" 1995 verschiffte, sonst aber eher andere Genres bediente. 





Viele eingeweihte Pratajev-Fans sind ebenso zugegen und kippen das anfangs beredte Schweigen in ein klatschendes Rhythmus-Gemetzel, welches die Doktoren nach fast zweistündigem Konzert sehr glücklich macht. Gläser werden bis zur Neige ausgekostet, ein wildhaariges Schauspielmädchen tanzt Can-Can zu "Tote Katzen im Wind". Jörg-Fauser-Biograph Matthias Penzel bringt Florian Günther, Beststellerautor von "Nuttenfrühstück" bis "Taschenbillard", mit Liveberichten über den Bukowski-Intimus Carl Weissner ans steinerne Ende des Staunens. Doktor Pichelstein will von Ni Gudix, Übersetzerin des Phil Shöenfelt-Romans "Junkie Love", erfahren, was das majestätische Buchprojekt denn hergibt, doch Frau Gudix schwankt mit gläsernen Augen stumm durchs Schokoladengehölz und summt einen Nekrolog. Auf dem Boden hocken Bandmitglieder von "Krankheit der Jugend", rauchen Gras aus sich heraus, was später fuderweise weggebrochen werden muss. Die nasse Nacht verschluckt immer mehr Gestalten, nur Doktoren nicht, denn die schlafen im ersten Stock, zwischen Wohl und Wehe, gebettet auf Matratzen.


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